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Gedanken zum Totensonntag : Ewigkeitswerte

Trauerriten ändern sich, wie auch der Umgang mit dem Tod. Die gesamte Begräbniskultur ist in Bewegung geraten. Die Tendenz zu anonymen Formen nimmt zu. Warum wir öffentliche Erinnerungsorte brauchen.

Gedanken zum Totensonntag : Ewigkeitswerte

Der Tod gehört zum Leben. Auf öffentlichen Friedhöfen werden wir uns unserer Endlichkeit bewusst.Foto: dpa

Was bleibt mir hier in diesem Leben von den Verstorbenen? Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski hat geschrieben: „Einen Menschen lieben heißt, ihn so zu sehen, wie Gott ihn gemeint hat.“ Ein solches Bild der Liebe ist kein idealisiertes Bild. Es verdrängt die negativen Seiten nicht, auch die Schuld nicht, etwas versäumt oder einem anderen Menschen Verletzungen zugefügt zu haben. Mit dem Blick der Liebe können Verletzungen geheilt und als „alte Geschichte“ erzählt werden, die versöhnend überwunden wurde. Denn die Liebe hält das Negative nicht für das Wesentliche der Persönlichkeit. Das Bild eines geliebten verstorbenen Menschen, das ich in mir trage, ist der Wirklichkeit der Auferstehung vielleicht näher, als wir es ahnen können. Ein solches Bild der Liebe bekommt seine Kraft, auch seine tröstende Kraft, vom Vertrauen auf diese Wirklichkeit Gottes, die stärker ist als der Tod.

So vorläufig und anfechtbar unsere Vorstellungen vom ewigen Leben auch sein mögen – sie öffnen uns den Weg zu tiefem Gottvertrauen. „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin“, schreibt Paulus. Insofern haben auch schlichte Vorstellungen, wie etwa die, dass ein geliebter Mensch aus der Ewigkeit heraus in wohlwollender Liebe meinen irdischen Weg begleitet, etwas von der Gewissheit bewahrt, dass alles, was ein Mensch geglaubt, gehofft und geliebt hat, Ewigkeitswert behält.

Bei einer Beerdigung, die ich vor einigen Jahren als Pfarrer gehalten habe, war außer mir und den Sargträgern niemand auf dem Friedhof. Der Verstorbene hatte zu Lebzeiten seine Beerdigung geregelt und genau verfügt, wie er sich diese vorstellte. Er hatte das Lied ausgesucht, das gesungen werden sollte. Angehörige hatte er keine mehr. Die Situation war auch für die Sargträger berührend. Anstatt, wie sonst, sich schnell zu entfernen, blieben sie am Grab stehen. Gemeinsam haben wir für den Verstorbenen gebetet und ihn der Gnade Gottes anbefohlen.

Trauerriten ändern sich, wie auch der Umgang mit dem Tod sich verändert hat. Die gesamte Begräbniskultur ist in Bewegung geraten. Die Tendenz zu anonymen Formen nimmt zu. Manchmal wird ein Verstorbener sang- und klanglos beerdigt. Aber es gibt auch das andere – eine Beerdigung wird zu einem Event.

Wenn sich heute ein ehemaliger Postbediensteter im gelben Sarg mit Posthorn oder ein passionierter Taucher im Taucheranzug beerdigen lässt, dann ist das alles professionell organisierbar. Und auch das Internet verändert die Trauerkultur: Virtuelle Kerzen zum Gedenken können angezündet werden. Die ersten Steinmetze stellen Grabsteine her, in die ein QR-Code eingraviert ist, ein Code, mit dem über das Internet ein Film oder eine andere multimediale Anwendung abgerufen werden kann. Mit dem Smartphone gescannt, gelangt der Grabbesucher über einen Link zu einer Trauerseite, zu einem virtuellen Kondolenzbuch oder einer Bildergalerie.

Gedanken zum Totensonntag : Ewigkeitswerte

Markus Dröge ist seit 2009 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.Foto: Mike Wolff

Es ist nicht allein der finanzielle Rahmen, der über die Art der Beerdigung entscheidet. Es sind auch die unterschiedlichen Antworten, die Menschen auf die Frage finden, was von einem Leben, von meinem Leben, bleiben soll. Für den Augustinermönch Martin Luther war am Ende des Mittelalters die entscheidende Frage diese: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Ganz persönlich bangte Luther um sein Heil im Jenseits. Dies ist den meisten Menschen heute fremd, ob Christen oder Atheisten. Nicht die bange Sorge um das ewige Seelenheil, sondern das Wohl im Hier und Jetzt stehen für uns auf dem Spiel. Bei einer solchen Lebenshaltung weckt der Tod Unsicherheit und Angst. Er ist die endgültige Abkehr von dem Gedanken, dass ich aus meinem Leben etwas machen kann und soll. Er zeigt deutlich, dass das Leben nicht verfügbar ist. Umso drängender wird die Frage, was denn dann bleiben soll.

Aber nicht erst heute ändert sich der Umgang mit dem Tod. Die Geschichte der Trauer- und Beerdigungsrituale zeigt, dass die Riten sich beständig verändert haben. Tempora mutantur et nos mutamur in illis – die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in ihnen. Waren noch vor 50 Jahren die christlichen Riten in unserem Land vorherrschend, so werden heute oftmals im Geist unserer Zeit neue Formen gesucht. Auch die Bedeutung des Friedhofes wandelt sich. Im Mittelalter wollten die Menschen ihren Heiligen nahe sein und ließen sich in und um die Kirche herum bestatten. Mit der Reformation kam dann die Idee auf, der Friedhof müsse ein Andachtsort sein. Friedhöfe, wie der Dorotheenstädtische Friedhof in Mitte oder der Friedhof am Halleschen Tor und viele weitere wurden vor den Toren der Stadt angelegt. Orte wurden geschaffen, an denen abseits des hektischen Alltags, Raum und Zeit ist, den Verstorbenen nahe zu sein und angesichts der eigenen Endlichkeit über das nachzudenken, was das Leben wertvoll macht und was auch nach dem Tod seinen Wert behalten soll.

In den letzten Monaten diskutierten die Bürgerschaften in Bremen und Hamburg, ob eine Urne, die die Asche eines Verstorbenen bewahrt, nicht auch in der Schrankwand zu Hause einen angemessenen Ort hat, statt auf dem Friedhof begraben zu werden. Der Friedhofszwang wird infrage gestellt, und das Bestattungsrecht soll geändert werden. Hinterbliebene, denen der Gang zum Friedhof aus gesundheitlichen Gründen schwerfällt, hätten so in ihrer Wohnung einen Ort für ihre Trauer. Diesen Wunsch kann ich gut verstehen. Auch das Gefühl, den geliebten Menschen nach dessen Tod nahe sein zu wollen, finde ich in der ersten Trauerphase nachvollziehbar. Zur Trauer gehört es aber auch, loslassen zu können. Nach Ende der ersten Trauerphase, etwa nach sechs bis acht Wochen, sollte eine Beisetzung auf dem Friedhof stattfinden.

Friedhöfe sind Orte, denen wir die Verstorbenen anvertrauen können. Und sie sind öffentliche Orte, an denen auch andere Menschen trauern können. Jeder Mensch lebt in einem Geflecht von Beziehungen, hat Freunde, Verwandte, Arbeitskollegen. Auch sie wollen Abschied nehmen. An welchem Ort könnten sie ihrer Trauer Ausdruck geben, wenn zukünftig ein Mensch nach seinem Tod völlig privatisiert wird und nur noch im Hause des nächsten Verwandten einen Gedenkort findet? Friedhöfe sind Orte gemeinsamer Trauer, an denen Menschen anderen Trauernden begegnen und so die Nähe derer spüren, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.

In den letzten Jahrzehnten ist der Tod aus unseren Wohnungen und Häusern in Kliniken, Pflegeheime und Hospize verlegt worden. Viele Menschen kennen den Anblick eines Toten nur noch aus dem Fernsehfilm. Aber der Tod gehört zum Leben wie auch die Orte, an denen wir uns unserer Endlichkeit bewusst werden können. Unsere Kultur würde ärmer, gäbe es keine öffentlichen Friedhöfe mehr.

Aber auch diese öffentliche Friedhofskultur ist im Wandel begriffen. Kolumbarien oder die Bestattung unter Bäumen sind im Trend. Im Vorfeld einer solchen Entscheidung werden oft pragmatische Gründe genannt: Es wird keine Grabpflege nötig sein. Und wer hat nicht lieber ein anonymes Grab als ein ungepflegtes? Wer weiß, ob die Hinterbliebenen sich um das Grab kümmern können? Als Pfarrer habe ich es allerdings immer wieder erlebt, dass diese Sorge eines sterbenden Menschen gar nicht dem Wunsch der Angehörigen entsprach. Im Trauergespräch spürte ich die Verunsicherung. Die Hinterbliebenen wussten nicht, wie sie mit dem Wunsch des Verstorbenen nach einem anonymen Grab umgehen sollten.

Denn ganz anders, als der Verstorbene es gedacht hatte, der „niemandem zur Last fallen“ wollte, hätten sie gerne einen Erinnerungsort gehabt und diesen auch gerne gepflegt. Es ist nicht so selten, dass Angehörige nicht damit zurechtkommen, bei einer anonymen Grabstelle keinen Ort für ihre Trauer zu finden. Auf anonymen Grabfeldern beobachten Friedhofsmitarbeiter immer wieder, wie Menschen an der Stelle, an der sie die Urne vermuten, eine Blume ablegen oder ein Plüschtier.

Die Menschenwürde endet nicht mit dem Tod. Deshalb legt die evangelische Kirche darauf Wert, dass auch an Urnengräbern, Urnensammelgräbern, Baumgrabstädten und Kolumbarien zumindest Namensschilder an die dort Beerdigten erinnern. Die Menschen sollen nicht namenlos dem Vergessen ausgeliefert sein.

Am Totensonntag, auch Ewigkeitssonntag genannt, gehen Menschen auf Friedhöfe und schmücken die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen. Der Blick richtet sich auf das Ende der eigenen Zeit und darüber hinaus. Am letzten Sonntag im Kirchenjahr, eine Woche, bevor die Adventszeit beginnt, werden in den Gottesdiensten die Namen der Verstorbenen genannt und zusammen mit ihren Angehörigen in die Fürbitte mit aufgenommen. Der christliche Glaube vertraut darauf, dass der Mensch im Sterben in die neue Wirklichkeit Gottes aufgenommen wird: Wir gehen von der einen Hand Gottes, die uns in diesem Leben geführt und bewahrt hat, in die andere Hand Gottes, die uns in Ewigkeit gnädig hält.

Gott bleibt auch in diesem Übergang weiterhin an unserer Seite. „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“, so gibt der Beter des 139. Psalms in wunderbar poetischer Weise seiner Hoffnung Ausdruck.

Mit diesem und anderen Bildern erzählt die Bibel vom ewigen Leben, und auch in der Kunst haben Glaubende ihre Vorstellungen von dem, was nach dem Tod sein wird, gestaltet. In einer mittelalterlichen Figurengruppe im Freiburger Münster etwa hält der Erzengel Michael eine große Handwaage, eine „Seelenwaage“, in die Höhe: In den beiden Waagschalen rechts und links schauen kleine Köpfe hervor, die Seelen Verstorbener. Hier entscheidet das „seelische Gewicht“ über ewiges Leben oder Hölle. Die Seele auf der Seite des Engels wiegt schwerer und hängt mit ihrer Schale tiefer, als die leichtere Seele auf der Seite des Teufels neben ihm. Die Bilderwelt des Mittelalters, mit Hölle, Teufel und Fegefeuer, war zur Zeit Martin Luthers prägend. Heute ist sie uns fern. Und dennoch lässt sich die Wirklichkeit des Todes nicht verdrängen.

Der Theologe Heinz Zahrnt hat beschrieben, wie er als Pfarrer lebenslang mit dem Tod zu tun hatte. „Alles ernsthafte Nachdenken über das Leben ist ein Rendezvous mit dem Tod“, schreibt er in seinem achtzigsten Lebensjahr. „Alles Leben steht im Horizont des Todes – ja, aber der Todeshorizont scheint nicht mehr mit mir zu wandern, sondern auf mich zuzukommen.“

Wir können nur in Bildern von dem Leben nach dem Tode reden. Denn es geht um eine Wirklichkeit, die wir noch nicht kennen. In dieser Wirklichkeit sind die Kategorien von Raum und Zeit aufgehoben. Es geht um eine Wirklichkeit, die wir mit unserer Vernunft nicht letztlich erfassen können. Wir können nur von den Glaubenserfahrungen, die wir in diesem Leben machen, auf das schließen, was sein wird.

Meine Vorstellungen vom ewigen Leben mache ich am Fundament des christlichen Glaubens fest. Das Leben und die Lehren von Jesus Christus bezeugen die Liebe Gottes zu uns Menschen. Ich habe Vertrauen in diese Liebe. Sie hat diese Welt berührt, und sie berührt auch mein Herz, als ein Hauch der Ewigkeit. Deshalb glaube ich, dass die Reise jedes Menschen ein Ziel haben wird. Am Ende wird nicht das Nichts das letzte Wort behalten, sondern die gnädige Vollendung der Fragmente des Lebens.

Als ich vor zwei Jahren bei einer Kunstaktion in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche gebeten wurde, meinen „letzten Koffer“ zu packen, habe ich darin einige meiner Tagebücher gelegt und dazu ein Tagebuch mit leeren Seiten. Gott wird die Geschichten meines Lebens weiterschreiben, schöner, vollkommener, besser als ich sie mit meinem Leben geschrieben habe.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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