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Militärgeschichte : Mit Wüstenfuchs Rommel nach Afghanistan

Warnung vor einem politisch dubiosen Bestseller: Sönke Neitzels Militärgeschichte „Deutsche Krieger“ will vom Vorbildcharakter der Wehrmacht nicht lassen.

Militärgeschichte : Mit Wüstenfuchs Rommel nach Afghanistan

So weit die Stiefel tragen. An welchen soldatischen Vorbildern soll sich die Bundeswehr orientieren?Foto: imago images / PPfotodesign

Sönke Neitzels Buch über die Befindlichkeiten deutscher Soldaten seit der Reichsgründung vor 150 Jahren versprach ein paar handfeste politische Skandale. Im hinteren Teil seiner „Deutschen Krieger“, in dem es um die Auslandseinsätze der Bundeswehr geht, hatte der Potsdamer Militärhistoriker ein paar Köder für die Presse ausgelegt, die auch prompt anbiss.

[Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte. Propyläen Verlag, Berlin 2020. 816 Seiten, 35 €.]

Da fahren deutsche Soldaten 1991 über das verlängerte Wochenende nach Jugoslawien, um ein bisschen Krieg zu üben; da prahlen US-Soldaten im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan mit der Exekution gefangener Taliban, ohne dass die Deutschen dies zur Anzeige bringen; da decken Stabsoffiziere der Bundeswehr Operationen der Amerikaner, bei denen der Tod zahlreicher Zivilisten bewusst einkalkuliert wird. All das ist zweifellos skandalös und bedarf der Aufklärung. Sönke Neitzel – der Edward Snowden der Bundeswehr.

Der eigentliche Skandal wird darüber verkannt. Er liegt im Buch selber, genauer gesagt in der Art und Weise, wie der Autor auf den ersten 250 Seiten Bausteine für eine deutsche „Kriegerkultur“ zusammenträgt, die er im zweiten Teil als neue Bezugsgröße empfiehlt. „Im Kalten Krieg hatten sowohl die ehemaligen Wehrmachtoffiziere als auch die Ausrichtung der Streitkräfte auf den Kampf dafür gesorgt, dass der Zweite Weltkrieg – und teilweise auch der Erste – nicht aus dem kollektiven Gedächtnis des Militärs verschwand.“

Heute sei „der tapfere Landser … als Vorbild“ leider ausgemustert. Unter Berufung auf die angelsächsische Militärgeschichtsschreibung, die das Handwerkliche des Krieges immer schon vom ideologischen Überbau getrennt habe, fordert Neitzel, endlich ein starkes deutsches Narrativ für die Militärgeschichte des 20. Jahrhunderts zu entwickeln.

Heldentaten deutscher Landser

Im Frühjahr 2017 war bei der Aufdeckung der terroristischen Planungen des rechtsradikalen Oberleutnants Franco A. ans Licht gekommen, dass die Wehrmacht hinter den Kasernenmauern offenbar noch immer hoch im Kurs steht. Wehrmachthelme, eine Maschinenpistole von der Ostfront, Zeichnungen und Sinnsprüche an den Wänden der Gemeinschaftsräume sollten die Erinnerung an das Heldentum deutscher Landser wachhalten. Ursula von der Leyen stellte als verantwortliche Ministerin umgehend klar, dass die Wehrmacht „in keiner Weise traditionsstiftend für die Bundeswehr“ sei.

Der Fall Franco A., mit dem er seine Darstellung eröffnet, habe gezeigt, so Neitzel, wie weit das öffentliche Bild der Bundeswehr und das Selbstverständnis bei der Truppe auseinanderklafften. Es bestehe zwar ein enger Zusammenhang zwischen Rechtsradikalismus und Verherrlichung der Wehrmacht, die Empörung darüber tauge aber nicht zur Erklärung des Phänomens, ja, sie stelle die Dinge auf den Kopf.

Würde die Bundesregierung eine ehrliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Streitkräfte geben, müsste sie nämlich einräumen, dass Soldaten nicht dazu da sind, Brunnen in Afghanistan zu graben, sondern um Gewalt anzudrohen und ausüben, um zu kämpfen, zu töten – und zu sterben. Das sei nun einmal die Kernkompetenz einer Armee. Da diese Wahrheit der Bevölkerung aber schon lange nicht mehr vermittelbar sei und die Politik kneife, fühle sich der Soldat alleingelassen und für den Kampfeinsatz schlecht vorbereitet.

Bis hierher kann man Neitzel folgen. Durchaus nachvollziehbar umschreibt er das Dilemma einer Bürgerarmee, deren Sinn von der Mehrheit der Deutschen in Zweifel gezogen wird. Seine Schlussfolgerung freilich, die Bundeswehr habe erst in Afghanistan zu sich selbst gefunden, sei erst „in Afghanistan erwachsen geworden“, weil sie „endlich mal kämpfen musste“, verlangt genauso heftigen Widerspruch wie seine zweite Kernthese: die vom notwendigen Vorbildcharakter der Wehrmacht.

Gegen den Traditionserlass

Neitzel stellt sich ostentativ gegen den Traditionserlass der Bundeswehr, der jede Bezugnahme auf die Streitkräfte des „Dritten Reichs“ verbietet, und behauptet, dass ein Soldat der Bundeswehr, der nach geeigneten Vorbildern suche, automatisch bei der Wehrmacht lande. Der Traditionserlass beschädige deswegen seine soldatische Identität. Vorbildlich sei die Wehrmacht nicht nur, weil sie 1939 bis 1942 Praktiken wie Schnelle Bewegung, Auftragstaktik und Führung von vorn perfektionierte, sondern weil bei ihr noch soldatische Kernelemente wie Gehorsam und Pflichterfüllung, Tapferkeit und Kameradschaft galten.

Neitzel tut so, als habe er eine Militärgeschichte von unten geschrieben und die Kriegsjahre vornehmlich aus Sicht der Frontsoldaten geschildert. In Wirklichkeit handelt es sich bei den 150 Seiten über die Wehrmacht, die im Zentrum stehen, um nichts weniger als eine kontrafaktische Darstellung des Zweiten Weltkriegs, die immer wieder die Frage aufkommen lässt, warum die Deutschen den Krieg denn nun eigentlich verloren haben.

Neitzel kramt noch einmal den Mythos von der Wehrmacht als der schlagkräftigsten Streitmacht der Welt hervor und revitalisiert die Legende von den „verlorenen Siegen“. So nannte Feldmarschall Erich von Manstein seine 1955, im Gründungsjahr der Bundeswehr, erschienenen Erinnerungen, in denen er nachzuweisen versuchte, dass die Generale fast durchweg genial gewesen seien, Hitler ihnen aber leider ins Handwerk gepfuscht und damit alles vermasselt habe.

Zum Beispiel in Dünkirchen Ende Mai 1940. Weil die Deutschen es versäumten, den letzten Hafen der Alliierten einzuschließen, entkamen knapp 340 000 Soldaten der britischen Armee und ihrer Verbündeten über den Kanal.

Begeisterung für operative Erfolge

Natürlich weiß auch Sönke Neitzel, dass es nicht Hitler war, der den Haltebefehl gab, sondern dass es zwischen den Panzergeneralen und dem Oberkommando des Heeres auf der einen und dem Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A auf der anderen Seite zu einem erbitterten Streit über das weitere Vorgehen gekommen war, den Hitler dann entschied.

Neitzel spekuliert ausgiebig darüber, „was passiert wäre, wenn es diesen Haltebefehl nicht gegeben hätte“, und kommt zu dem Schluss: „Falls je die Aussicht auf einen politischen Ausgleich zwischen London und Berlin bestand, dann in jenen kritischen Maitagen 1940.“ Politischer Ausgleich? Das Europa, das aus einem solchen „Ausgleich“ hervorgegangen wäre, will man sich besser nicht vorstellen.

In seiner Begeisterung für zahlreiche operative Erfolge der Wehrmacht verkennt Neitzel, dass die strategischen Möglichkeiten und Ressourcen des Deutschen Reiches nun einmal nicht ausreichten, Hitlers größenwahnsinnige Vorgaben umzusetzen. Wären die 250 000 Mann der Heeresgruppe Afrika, die im Mai 1943 in Tunesien in Gefangenschaft gingen, rechtzeitig ausgeschifft worden, so eine von Neitzels abenteuerlichen Was-wäre-geschehen-wenn-Konstruktionen, dann hätten die Alliierten bei ihrer Landung in Sizilien zwei Monate später ihr blaues Wunder erlebt. Neitzel übersieht, dass die britische See- und Lufthoheit in diesem Teil des Mittelmeers eine komplette Evakuierung von zwei Armeen schon Ende 1942 nicht mehr zuließ.

Eine kontextfreie Militärgeschichte, die so tut, als spielten sich militärische Operationen im politischen Vakuum ab, und sich weigert, die Kriegsziele zu diskutieren, muss spätestens an der Darstellung des Russlandfeldzugs scheitern. Der Überfall sei „ein aus damaliger Sicht durchaus konsequenter Schritt“ gewesen, schreibt Neitzel. Aus Sicht eines Generalstabsoffiziers war dieser Schritt alles andere als konsequent, nämlich eine Verlegenheitslösung, entstanden aus der Not, die Briten nicht in die Knie zwingen zu können.

Gewalterfahrungen der Soldaten

Neitzel fährt fort: „Als die Wehrmacht in den Morgenstunden des 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, stand sie im Zenit ihres Könnens und ihrer Kraft.“ Man muss sich den Satz auf der Zunge zergehen lassen. Schließlich begann an diesem Tag ein grausamer Vernichtungskrieg, der am Ende 20 Millionen Russen das Leben kostete.

Man dürfe sich durch die Monstrosität der Verbrechen nicht irritieren lassen, beharrt Neitzel, sie seien im kollektiven Bewusstsein ohnehin allgegenwärtig. Wenn man die militärischen Kampfhandlungen in den Mittelpunkt stelle, gewinne man jedoch ein ganz anderes Bild von der Gewalterfahrung deutscher Soldaten an der Ostfront.

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Dem hehren Bild vom tapfer bis in den Untergang kämpfenden deutschen Landser stellt Neitzel den im Kampfeinsatz mental überforderten, überdies schlecht ausgerüsteten Bundeswehrsoldaten gegenüber. Er mahnt ein neues Traditionsverständnis an, das einem Infanteristen auf Friedensmission die Rückbindung an den Erfahrungsschatz der Wehrmacht ermögliche. Rommels Afrikakorps als Blaupause für den Afghanistan-Einsatz!

Neitzel muss zugeben, dass die übergroße Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten sich nur schwer für die Feldzüge der Wehrmacht begeistern lässt und die Tradition den meisten ziemlich egal ist. Also versucht er es andersherum.

Ohne ein neues Konzept, bei dem wieder Disziplin, Einsatzfreude und ein klares Bekenntnis zu deutschen Kampfeinsätzen im Vordergrund stehen müssten, werde es der Bundeswehr nicht gelingen, „die vielen Soldaten, die die Volksparteien an die AfD verloren haben, zurückzuholen“. Wenn dafür erst die deutsche Militärgeschichte von Langemarck bis Kunduz „auf Linie“ gebracht werden muss, sollte der Versuch, ein paar Rechtsradikale einzufangen, tunlichst unterbleiben. Dafür ist bis auf Weiteres der Verfassungsschutz zuständig.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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