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Gewalt gegen Frauen in der Türkei : Die Frau, die Erdogans Männern den Krieg erklärt

Wie die Feministin Fidan Ataselim in der Türkei gegen häusliche Gewalt und für die Achtung der Gesetze kämpft.

Gewalt gegen Frauen in der Türkei : Die Frau, die Erdogans Männern den Krieg erklärt

Die Wut treibt Ataselim und viele Frauen auf die StraßeFoto: Susanne Güsten

Der türkische Staatsanzeiger war gerade erschienen, da schaltete Fidan Ataselim ihre Kamera ein und sagte der Regierung den Kampf an. Mit einem Federstrich habe Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan das Istanbul-Abkommen zum Schutz der Frauen vor Männergewalt gekündigt, sagte Ataselim. „Wie übel muss diese Regierung dran sein, dass sie das Leben von Millionen Frauen aufs Spiel setzt, um einer gesellschaftlichen Randgruppe gefällig zu sein?“ Damit werde die Führung nicht durchkommen, versprach Ataselim und rief zu landesweiten Frauenprotesten auf; dann lud sie das Video in den sozialen Medien hoch. Kurz darauf gingen überall in der Türkei wütende Frauen auf die Straße.

Trotz Polizeigewalt und Festnahmen dauern die Proteste bis heute an. Wenn es nach Ataselim geht, wird sich daran auch nichts ändern. Die 32-jährige Feministin kämpft seit einem Jahrzehnt für das Istanbul-Abkommen.

„Wir werden die Frauenmorde stoppen“ heißt die Kampagne, deren Generalsekretärin Fidan Ataselim ist, ein Aktionsbündnis Tausender Frauen in der Türkei, die gegen Männergewalt und für konsequentere Anwendung der Gesetze zum Schutz der Frauen kämpfen. Denn eigentlich hat die Türkei recht gute Gesetze gegen häusliche Gewalt – auch ohne das Istanbul-Abkommen, dessen Vorgaben längst in nationales Recht umgesetzt und in einem Frauenschutzgesetz verankert sind.

Das Problem, erklärt Ataselim, war schon immer die fehlende Achtung und mangelnde Umsetzung dieser Gesetze. Hunderte Frauen werden jährlich von ihren Ehemännern, Ex-Partnern oder männlichen Angehörigen umgebracht, viele von ihnen haben vorher bei Polizei und Justiz um Schutz gebeten, der ihnen gesetzlich zusteht. Vergeblich.

“Jahr für Jahr steigt die Zahl der Frauenmorde”

Zweiundzwanzig schriftliche Anzeigen und Hilfsersuchen hatte etwa Ayse Tuba Arslan in Eskisehir eingereicht, bevor sie getötet wurde. Den 23. Antrag fanden Ermittler nach ihrem Tod in ihrer Handtasche. Die 44-jährige war wieder einmal auf dem Weg zur Staatsanwaltschaft, als sie von ihrem Ex-Mann auf offener Straße mit einem Beil getötet wurde. Nicht weniger als 60 Anzeigen hatte Sevtap Sahin in Ankara erstattet, bevor ihr Ex-Mann sie ermordete. Sogar die Muttter des Mörders hatte die Polizei alarmiert. „Mein Sohn ist unterwegs, um meine Schwiegertochter zu töten“, meldete sie der Wache. Doch die Beamten weigerten sich noch am Tatort, die Wohnungstür aufzubrechen, hinter der die 40-jährige gerade erwürgt wurde. Das sei Privatsache.

Ebenso lebenswichtig wie die Gesetzgebung sei deshalb die gesellschaftliche Wertschätzung von Frauen, sagt Ataselim, deshalb sei das Istanbul-Abkommen unverzichtbar. „Seit 2010 zählen wir Frauenmorde. Jahr für Jahr steigt die Zahl. Nur in einem einzigen Jahr ist sie bisher gesunken, das war 2011 – das Jahr, in dem das Istanbul-Abkommen unterzeichnet wurde“, sagt die Aktivistin.

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„Dass der Staat damals ein politisches Zeichen für Frauenrechte setzte – das allein hat schon gereicht, um die Zahl der Frauenmorde deutlich zu senken.“ Danach sei die Gewalt wieder angestiegen, weil das Abkommen und das Frauenschutzgesetz nicht angewandt wurden. Der Austritt aus dem Abkommen werde eine Signalwirkung haben und die Frauengewalt weiter hochtreiben, fürchtet die Frauenbewegung.

“Wir wollen nicht sterben”

Nur öffentlicher Druck könne etwas bewegen, betont Fidan Ataselim. Deshalb entsendet ihr Bündnis zu möglichst jedem Frauenmord-Prozess eigene Beobachterinnen, die durch Öffentlichkeit verhindern sollen, dass der Richter ein Auge zudrückt und den Täter laufen lässt.

Zugleich versuchen die Frauen, das Thema präsent zu halten und gehen immer wieder auf die Straße. Ein merkwürdiger Anblick ist die Frauendemo in Istanbul: Hunderte Frauen in bunten Mäntel, umstellt von Polizisten in Kampfmontur, manche mit schweren Waffen im Anschlag. „Wir sagen: Jetzt ist Schluss damit!“, brüllt Fidan Ataselim unter dem Applaus ihrer Mitstreiterinnen. „Wir nehmen es nicht mehr hin, dass täglich Frauen umgebracht werden, weil ihnen Polizei und Justiz den Schutz verweigern!“

 Fidan Ataselim hat sich inzwischen eine neue Aktionsform einfallen lassen. Auf eine haushohe Leinwand ließ sie das handschriftliche Hilfsersuchen einer verfolgten Frau drucken und auf ein mehrstöckiges Gebäude in Istanbul spannen. „Ich will nicht sterben“, steht über der Strafanzeige. Das Transparent hing keine 24 Stunden, die Behörden ließen es in der Nacht herunterholen. Die Aktivistinnen stellten daraufhin die Druckvorlage ins Internet. Im ganzen Land ist das Protestmotiv jetzt zu sehen: als Plakat auf Werbeflächen von oppositionsregierten Kommunen, als Transparent auf Balkons. „Wir schreiben es an jede Wand”, verkündete das Frauenbündnis: „Wir wollen nicht sterben.“

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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