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Zeitungsstadt in historischen Fotografien : Ein Buch zeichnet Berlins Weg zur Pressemetropole nach

1929 erschienen in Berlin fast 150 Zeitungen. Ein neuer Bildband zeigt, wie sie Stadtbild und Leben im 20. Jahrhundert bestimmten.

Zeitungsstadt in historischen Fotografien : Ein Buch zeichnet Berlins Weg zur Pressemetropole nach

1919 verschanzten sich Spartakisten hinter einer Barrikade aus Papierrollen und Zeitungspapierpaketen.Foto: bpk

So spannend die Lektüre einer Tageszeitung auch sein mag – wenn die kleine Enkelin mit Opa schmusen will, hat das Blatt zu warten. Im vorliegenden Fall traf es den Tagesspiegel, wie einer 1954 fotografisch festgehaltenen Familienszene zu entnehmen ist. Von der Zeitung selbst ist allerdings nur die Anzeige für Creme Mouson klar erkennbar. Die gibt es noch immer, wie den Tagesspiegel.

Das Foto findet sich in dem von Oliver Ohmann gemeinsam mit der bpk-Bildagentur herausgegebenen Bildband „Unter Druck. Die Zeitungsstadt Berlin in historischen Fotografien“. Genaugenommen im letzten Drittel, schließlich reicht der nachgezeichnete Zeitraum von 1880 mit dem Foto eines Lesers der Satire-Postille „Kladderadatsch“ bis zum 16. Juli 1990, als sich kurz nach der Währungsunion eine Schlange von Ost-Berlinern vor der Sparkasse am Alexanderplatz das Warten auf die D-Mark mit Zeitungslesen vertrieb. Und der Tagesspiegel tauchte nun mal erst am 27. September 1945 auf – mit der Schlagzeile „Drei süddeutsche Staaten“, wie auf dem ebenfalls ins Buch gehobenen Faksimile der allerersten Seite zu sehen ist.

Es ist heute, angesichts des voranschreitenden Online-Journalismus, kaum mehr vorstellbar, wie sehr die gedruckte Zeitung einst Stadtbild und Alltag im öffentlichen wie privaten Leben bestimmte. Wie bei der morgendlichen Fahrt in U- oder S-Bahn zuverlässig der Blätterwald raschelte, im Westen wie im Osten.

Wie Straßenverkäufern bei sensationellen Ereignissen, Morden etwa, Attentaten, Kriegserklärungen, die Blätter aus der Hand gerissen wurden. Geradezu surreal muss heutigen E-Paper-Anhängern auch das Foto eines Zeitungskiosks von 1932 in der damaligen Kaiserallee, der heutigen Bundesallee, erscheinen: Eine Wand aus 966 verschiedenen Zeitungs- und Zeitschriftentiteln, der Verkäufer von dieser Papierflut förmlich an den Bildrand gedrückt.

Mitunter wurde so ein Blatt schon mal für militärische Ziele zweckentfremdet, in noch ungedruckter Form wie beim Spartakusaufstand im Januar 1919, als die tonnenschweren Zeitungsrollen den Kämpfenden als Schutz und Barrikade dienten. Dabei erhielt nicht nur das aufgewickelte Zeitungspapier tiefe Wunden, sondern ebenso mussten die Verlagsgebäude dran glauben, wie Fotos des damals demolierten „Vorwärts“-Hauses oder des Mosse-Hauses zeigen. Unter ganz anderen historischen und sozialen Umständen kamen am 14. April 1968, nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, sechs Lieferfahrzeuge des Springer-Verlages in der Kreuzberger Kochstraße zu Schaden.

Zeitungsstadt in historischen Fotografien : Ein Buch zeichnet Berlins Weg zur Pressemetropole nach

1955 verteilten „Jungpioniere“ das Propagandaorgan der SED-Nachwuchsorganisation.Foto: bpk / Hildegard Dreyer

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Die Berliner Zeitungsgeschichte nahm allerdings schon lange vor der Erfindung der Fotografie ihren Anfang, wie der Journalist und Autor Oliver Ohmann in einer nur wenige Seiten langen, doch inhaltsreichen Einführung ins Thema schildert. Im Januar 1617 gab demnach der kurfürstliche Post- und Botenmeister Christoff Frischmann erstmals so etwas wie eine Berliner Zeitung heraus.

Mit heutigen Blättern hatte sie wenig gemein, und Berlin spielte als Thema sowieso keine Rolle. Für das Medium einer Zeitung bestand dort kaum Bedarf, sprach sich doch in der Kleinstadt sowieso alles schnell herum. Erst Kleists „Berliner Abendblätter“, erstmals am 1. Oktober 1810 erschienen und letztmals bereits wieder am 30. März 1811, konnten als lokale Tageszeitung gelten, besonders wegen der täglich abgedruckten Polizeirapporte, in denen es häufig um eine in Berlin und Umgebung ihr Unwesen treibende Brandstifterbande ging.

[„Unter Druck. Die Zeitungsstadt Berlin in historischen Fotografien“. Herausgegeben von Oliver Ohmann in Zusammenarbeit mit der bpk-Bildagentur. Edition Braus, Berlin. 124 Seiten, etwa 150 Abbildungen, 24,95 Euro.]

Bis zur Zeitungsmetropole Berlin war es da noch ein weiter Weg. Das Tempo auf dem Weg dorthin wurde durch die Reichsgründung 1871 und den Aufstieg Berlins von der preußischen Residenzstadt zur Hauptstadt des Kaiserreiches forciert, selbst dessen Zusammenbruch änderte nichts an der aus Berlins Rotationen quellenden Papierflut: 1929, kurz vor der Weltwirschaftskrise, erschienen hier fast 150 Zeitungen, prägten Häuser wie Ullstein, Mosse, Scherl die öffentliche Meinung.

Zeitungsstadt in historischen Fotografien : Ein Buch zeichnet Berlins Weg zur Pressemetropole nach

966 Titel hatte ein Kiosk auf der heutigen Bundesallee 1932 im Angebot, auch am Leipziger Platz waren es nicht wenige.Foto: bpk

Mit dieser Vielfalt war es nach 1933 bald zu Ende, bis am 3. Februar 1945 das alte Zeitungsviertel zu Klump gebombt wurde und am 29. April 1945 mit dem Durchhalte-Blättchen „Panzerbär“ auch die letzte Berliner Zeitung den Geist aufgab. Erst am 21. Mai ging es weiter, mit der sowjetischen Lizenz für die „Berliner Zeitung“. Im September folgte mit US-Lizenz der Tagesspiegel.

Das Berliner Zeitungswesen war eben stets ein Spiegelbild der Stadtgeschichte. Es zeichnet den vorliegenden Bildband aus, dass er diese in vielen Facetten in Erinnerung ruft – über Fotos, in denen bedrucktes Papier in dieser oder jener Form mal im Mittelpunkt steht, mal nur am Rande Aufmerksamkeit genießt, aber stets in zeittypischer Weise.

Dabei wird zugleich der auf viele Menschen verteilte Produktionsprozess gewürdigt, von der schreibenden und fotografierenden Zunft über das Personal von Setzerei und Rotation bis hin zum Verkauf und der Lektüre durch Leserinnen und Leser, mit einem kleinen Seitenblick auf die von Architektenhand entworfenen Verlags- und Druckhäuser. Und selbst die im Januar 1938 den Andruck der „Nachtausgabe“ kontrollierende Persönlichkeit wurde nicht vergessen: Peter, der Hauskater des Scherl-Verlags.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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