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Yuriy Gurzhys Kriegstagebuch (11) : Friedensshow am Brandenburger Tor trifft Bunkerkonzert von Charkiw

Der ukrainische Autor und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Wie er von hier aus den Krieg in der Ukraine verfolgt, schreibt er in diesem Tagebuch.

Yuriy Gurzhys Kriegstagebuch (11) : Friedensshow am Brandenburger Tor trifft Bunkerkonzert von Charkiw

Natalia Klitschko bei ihrem Auftritt beim “Sound of Peace”-Konzert in Berlin.Foto: Joerg Carstensen/dpa

20. März 2022
Heute (wie auch gestern) verbringe ich den Tag mit Fieber und Kopfschmerzen im Bett, nach zwei Jahren hat auch mich Corona erwischt. Ich wollte gestern Abend im „Space Meduza“, der ukrainischsten Bar Berlins, bei einem Benefizkonzert auftreten und mein neues Lied über das russische Kriegsschiff zusammen mit dem Publikum singen, aber das ging dann leider nicht.

Heute habe ich mir vorgenommen, die Übertragung der Veranstaltung am Brandenburger Tor online anzuschauen. „Sound Of Peace“, in nur einer Woche auf die Beine gestellt, ist ein Riesenfestival, das zum Spendensammeln für die Ukraine aufruft. Die Webseite dazu ist in gelb und blau gehalten, den Farben der ukrainischen Nationalflagge. Das Festivallogo ist eine Friedenstaube.

Die Band Selo i Ludy streamt regelmäßig aus dem Schutzbunker

„Macht mal Lärm, seid ihr dabei oder was?“, schallt es aus meinem Laptop. Auf einer großen Bühne spielt eine Band nach der anderen, gutaussehende deutsche Popstars treten auf, hinter ihnen sieht man das Brandenburger Tor. Die Sonne scheint, der Himmel über Berlin ist blau, das Bild ist perfekt. Das Ganze wird von vielen Kameras gefilmt und sieht beeindruckend aus.

„Diese Welt braucht Liebe!“, schreit ein Soulsänger und Hunderttausende im Publikum scheinen ihm zuzustimmen. Seid lieb zueinander, that’s all we can do!“, sagt er am Ende seines Auftrittes. Und dann reden die Moderatoren und ihre Gäste vom Frieden. Wie wichtig es ist, Frieden zu haben. Wie wichtig der Frieden für uns alle ist. Wie toll es ist, dass so viele Leute sich versammelt haben, um ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Ich habe den Eindruck, dass man gern vorspulen möchte – zu dem Moment, wo der Krieg zu Ende wäre. Aber er ist leider noch nicht zu Ende.

In einem anderen Browserfenster fängt bei mir ein weiterer Stream an. Selo i Ludy, eine Charkiwer Band, die für ihre humorvollen Coverversionen der Hits von A-ha, Bon Jovi, Modern Talking und Queen bekannt ist, hat es geschafft, in den letzten Wochen regelmäßig aus ihrem Schutzbunker zu streamen. Heute spielen hier auch andere Bands und Musiker aus Charkiw, die die Stadt nicht verlassen haben. Die meisten von ihnen haben in den letzten Wochen keine Musik gemacht, es ist das erste Mal, dass sie ihre Instrumente wieder in der Hand halten. „Rock für Territorale Verteidigung“ heißt die Veranstaltung, der Kontrast zur Aktion am Brandenburg Tor könnte kaum stärker sein.

[Alle aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]

In Berlin betritt die russische Rocklegende Boris Grebenschikov die Bühne. Vor wenigen Monaten hat er in Charkiw gespielt, ich bin mit Serhij Zhadan zu seinem Konzert gegangen. Wir sind beide mit den Songs seiner Band Aquarium aufgewachsen – und wie viele anderen Ukrainer haben wir in den letzten Jahren das Interesse für die Musik aus Russland so gut wie komplett verloren.

Beim „Sound of Peace“ wirkt Grebenschikov fehl am Platz, genauso wie ein anderer russischer Star, Noize MC, der auch zwei Stücke singt. Den beiden Musikern ist es gelungen, aus Russland auszureisen. Die wenigen ukrainischen Acts, die an der Veranstaltung in der deutschen Hauptstadt teilnehmen, sind weiblich. Männer dürfen die Ukraine gerade nicht verlassen.

Während auf die Leinwand in Berlin immer wieder ein Schwarzweißvideo von deutschen Prominenten projiziert wird, in dem diese berichten, wie schwer es für sie ist, die richtigen Worte zu finden, scheint das für die Leute in Charkiw kein Problem zu sein, auch wenn ihre Übertragung nicht von bester Qualität ist und immer wieder abbricht. Hier weiß man ganz genau, wovon man spricht, die Worte sind klar und deutlich. Während man im Charkiwer Keller musiziert und Gedichte vorliest, wird die Stadt beschossen. Das Haus des Bandleaders von Selo i Ludy, Alexander Goncharov, ist schon vorher von russischen Bomben zerstört worden.

Lesen Sie hier die anderen Teile von Yuriy Gurzhys Kriegstagebuch:

  • Erinnerung an ein fantastisches Konzert in Mariuopl (Teil 10)
  • Unsere Bar zu Schutt und Asche gebombt (Teil 9)
  • Boris singt mit seiner Klasse einen Hit für den Frieden (Teil 8)
  • Mein alter Kiez in Charkiw, menschenleer (Teil 7)
  • Erzählt uns nichts von Kapitulation (Teil 6)
  • Haus zerbombt, Kind aus Keller gerettet (Teil 5)
  • Gitarre packen, sammeln, Kisten einladen (Teil 4)
  • Georgiy geht in den Keller (Teil 3)
  • Und dann rollen Panzer durch meine Straße (Teil 1)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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