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Wagner an der Deutschen Oper Berlin : Flucht aus dem Konservatorium

Macht, Missbrauch, Musik: Anna Viebrock, Jossi Wieler und Sergio Morabito wollen an der Deutschen Oper Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ entgiften.

Wagner an der Deutschen Oper Berlin : Flucht aus dem Konservatorium

Johan Reuter (in blau) ist das Zentrum der Aufführung.Foto: Thomas Aurin

Gottverlassene Korridore, holzvertäfelte Wände, stillstehende Zeit, die die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit durchlässig werden lässt: Anna Viebrock hat bei ihrem Bühnenbild für Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ in bewährter Weise Maß genommen und ins Schwarze getroffen. Als Vorlage für das Konservatorium Dr. Pogner, in dem sie zusammen mit ihren Regie-Teamkollegen Jossi Wieler und Sergio Morabito Wagners Oper über den rechten Gesang ansiedelt, dient die Münchner Musikhochschule.

Die residiert nicht nur in einer vormaligen Nazi-Zentrale, sondern jüngst wurde auch der Rektor, ein anerkannter Pianist, wegen sexueller Nötigung verurteilt und sitzt nun in Haft. Ein starker Resonanzraum, wenn man sich mit Macht, Missbrauch und Musik auseinandersetzen will.

Und diesen Eindruck vermittelt das dienstälteste Regie-Trio des deutschen Musiktheaters schon, bevor der Vorhang sich in der Deutschen Oper hebt. „Lehrer, Regisseure, Dirigenten können ein toxisches Klima erzeugen, um Höchstleistung anzutreiben – ähnlich wie im Hochleistungssport“, sinniert Jossi Wieler auf der Website des Opernhauses. „Dadurch können Freiheit, Talent und Freude bei jungen Menschen verloren gehen, künstlerische Kriterien schwinden – die Kreativität wird von abstrakter Disziplin überblendet. Das ist, was uns interessiert.“

Ein lohnender Ansatz, denn Wagners Meistersinger bilden als selbsternannte Bewahrer deutscher Kunst eine rigide Gruppe von Handwerkern, die die Jugend an erstarrten Regeln misst und ihre Lehrjungen und Gesellen ganz selbstverständlich züchtigt. Es steckt viel Gewalt im System, das sich selbst als ebenso kunstsinnig wie national begreift.

Plastikclogs statt maßgefertigte Schuhe

Genau angeschaut aber wird es nicht. Einige Meistersinger-Professoren suchen zwar schon sehr engen Kontakt zu den Studierenden, die sind aber die ganze Zeit damit beschäftigt, Stühle hin und her zu schleppen oder am Abend ungestört Orgien nachzugehen. Tüdelige Spießigkeit hier und infantile Übersprunghandlungen dort führen zu einem Kuddelmuddel, an dem Fragen nach Verantwortlichkeit von vornherein abgleiten.

Seltsamerweise kreist der Abend immer wieder um bunte Plasikclogs, die von ihrem Hersteller als „bequem, ergonomisch, antimikrobiell, geruchsabweisend, recycelbar“ angepriesen werden. Hans Sachs, der ja eigentlich Schuhmachermeister und Poet ist, geht da lieber barfuß. Er arbeitet am Konservatorium des vermögenden Dr. Pogner als Professor für Schlagzeug, hantiert mit Drumsticks herum und ist zugleich für die Körperarbeit der angehenden Meistersinger zuständig. So kommt er auch Eva, der Tochter des Chefs, sehr nahe und renkt den zusammengeschlagenen Beckmesser (mimennah: Philipp Jekal) wieder ein, als sei nix passiert.

Die Uhr auf der Festwiese zeigt 19:33

Klamotte statt Klarsichtigkeit, Klischee anstelle von Konfrontation: Die berüchtigte Prügelszene der Johannisnacht entspinnt sich bei Viebrock-Wieler-Morabito um einen Liederabend, bei dem sofort alle einschlafen. Später wird dann doch noch an der Bedeutungsschraube gedreht, wenn vor dem Finale auf der Festwiese die eigenen Gesetzen folgende Digitaluhr plötzlich 19:33 anzeigt und Menschen scharenweise in den Schatten sinken. Das Durchbrechen einer anderen Zeit in den kontaminierten Räumen ist ein typischer Viebrock-Moment, so unbeholfen und fern jeder Magie hat man ihn jedoch nie gesehen. Vielleicht hat sich nach beinahe drei Jahrzehnten der Vorteil der Teamarbeit, diskutierend gemeinsam zu einem Ziel zu gelangen, in sein Gegenteil verkehrt, und die Außenwelt, der die Deutungsarbeit gilt, ist aus dem Blick gefallen.

Es überrascht nicht, dass Eva und ihr Walther nicht in dieser seltsamen Bildungseinrichtung bleiben und schon vor dem eigentlichen Meistersang nur eines wollen – weg von hier. So laufen sie hinaus durch den Zuschauerraum, während ihnen Hans Sachs sein „verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst“ nur noch hinterherrufen kann. Aber auch das ist letztlich egal, weil Sachs nun den Populisten herauskehrt, markig auf Tische springt – und plötzlich auch leisetretende Plastikclogs trägt.

Klaus Florian Voigt agiert als Stolzing punktgenau

Johan Reuter gibt alles, um diesen Sachs, von dessen Charisma Wagners „Meistersinger“ elementar abhängen, lebensprall aufzuladen. Er ist körperlich präsent und schlägt sich auch im Bühnenhintergrund souverän durch seine Partie; nur fehlt ihm ein Extra an Kraftreserve, um den ganzen manipulativen Horizont der Figur auch voll auszuloten. Unter Lemuren ist man zu schnell der coolste Hund. Spannend immerhin, welche Wege die Sänger:innen angesichts des Bühnenwirrwarrs einschlagen. Für einen gestandenen Darsteller wie Albert Pesendorfer als Pogner wird der Abend so zum Desaster, weil es scheint, als hätte er sich seine Partie gar nicht angesehen und schwimme großspurig im Nirgendwo.

Am cleversten geht Klaus Florian Vogt damit um, hier einmal mehr den betörenden Außenseiter Stolzing abzuliefern. Extrem reserviert in der Interaktion blüht er für die entscheidenden Minuten mit großer Präzision auf, ein Zustand, den außer ihm niemand erreicht an diesem Abend. Das liegt weniger an Markus Stenz, der für den erkrankten Donald Runnicles den Taktstock übernommen hat. Die vereinzelten Buhs für sein Dirigat werden dem Abend musikalisch sicher nicht gerecht, auch wenn man sich zu Beginn mehr Fluss und überhaupt noch etwas mehr Mut zu kammermusikalischem Ton vorstellen könnte. Aber auch der hätte Heidi Stober nicht retten können, für die die Rolle der Eva hörbar über ihren Möglichkeiten bleibt.

Man muss die „Meistersinger“ als Stück nicht mögen, ja, es gibt gute Gründe, ihnen zu misstrauen. Von einem erfahrenden Regie-Trio aber darf man erwarten, dass es seine Aversionen so lange hinterfragt, bis daraus Theater werden kann. Barrie Kosky hat genau das in Bayreuth getan und ist so zu einer szenisch wie musikalisch elektrisierenden Inszenierung gelangt. Viebrock-Wieler-Morabito begnügen sich mit saftlosen Seltsamkeiten, die auf ihre Art ein toxisches Klima erzeugen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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