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Wachsender Extremismus in Berlin : Verfassungsschutz warnt vor Angriffen auf Journalisten

Der Berliner Verfassungsschutz legt einen beunruhigenden Jahresbericht 2021 vor. Die AfD-Gruppe „Flügel“ und die Klimaschützer „Ende Gelände“ fehlen jedoch.

Wachsender Extremismus in Berlin : Verfassungsschutz warnt vor Angriffen auf Journalisten

Hass auf Israel. Radikale Palästinenser und deutsche Sympathisanten demonstrierten im Mai 2021 in Neukölln. Es gab antisemitische…Foto: Christian Mang/REUTERS

Der Einstieg überrascht. Der Berliner Verfassungsschutz befasst sich im Jahresbericht 2021 zunächst nicht mit einem speziellen Extremistenmilieu, sondern beschreibt eindringlich den Hass von Fanatikern auf Journalistinnen und Journalisten.

Die Verachtung und der Hass, die Medienschaffenden entgegenschlagen, seien “nicht weniger als ein Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit”, warnt der Nachrichtendienst im “Sonderthema: Journalistinnen und Journalisten im Fokus von Verfassungsfeinden”. Ein ganzer Berufszweig solle als “System der Lügenpresse” in Misskredit gebracht werden. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Verfassungsschutzchef Michael Fischer stellen den Bericht diesen Dienstag im Roten Rathaus vor.

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Im vergangenen Jahr seien in Deutschland so viele Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten dokumentiert worden wie nie zuvor, schreibt der Verfassungsschutz. Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit hatte bis November 2021 insgesamt 95 Angriffe gezählt. Eine Zahl für Berlin gibt es im Jahresbericht des Verfassungsschutzes nicht, doch er nennt harte Fälle.

Im April 2021 musste eine Fernsehübertragung vor dem Bundeskanzleramt unterbrochen werden, weil Impfgegner massiv störten. Im August wurde Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (DJU), in Kreuzberg von Coronaleugnern am Rande einer Demonstration vom Fahrrad gestürzt, zu Boden geschlagen und getreten.

Im Dezember entriss ein Querdenker in Friedrichshain einem Reporter das Handy. Der Betroffene war der für den Tagesspiegel tätige Julius Geiler. Auch weitere Kollegen wurden massiv attackiert.

Rechtsextremisten führen “Feindeslisten”

Der Verfassungsschutz schildert auch, dass Hass auf Medien bei allen extremistischen Szenen verbreitet ist. Rechtsextremisten schlagen zu, führen “Feindeslisten” und versuchen im Internet, mit Fake News die Berichterstattung von Journalistinnen und Journalisten zu kontern.

Islamisten wie auch Autonome drohen, wenn ihnen Berichte in Presse, Rundfunk, Fernsehen und Online-Portalen nicht passen. Attacken, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, zählten “zum Aktionsrepertoire aller extremistischen Phänomenbereiche”, heißt es im Jahresbericht des Verfassungsschutzes. Das sei für eine freiheitliche Demokratie “nicht hinnehmbar”.

Und der Fanatismus wächst. Das extremistische Spektrum in Berlin näherte sich 2021 der Marke von 10.000 Personen. Womöglich wurde sie sogar schon überschritten. Der Verfassungsschutz berichtet von insgesamt 9950 Extremisten, das sind 290 mehr als im Vorjahr und ein Zuwachs um über 400 gegenüber 2019.

Allerdings nennt der Nachrichtendienst keine Zahl zum Milieu der radikalen Coronaleugner, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und weiteren “Delegitimierern”, die sich bei den Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie radikalisiert haben.

Der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen hatte kürzlich von ungefähr 300 Delegitimierern im Bundesland gesprochen. Der Verbund der Verfassungsschutzbehörden tut sich allerdings schwer, dass zersplitterte Spektrum der Coronaprotestierer bundesweit in Zahlen zu fassen. Berlin ist nicht das einzige Land, das auf konkrete Angaben verzichtet. Dennoch wird die Gefahr ausführlich geschildert.

Verschwörungstheoretiker vernetzen sich bei Telegram

Berlin sei 2021 eine der zentralen Bühnen gewesen, die von den Anhängern des “Spektrums der verfassungsschutzrelevanten Staatsdelegitimierung wiederholt für ihre Kundgebungen und Demonstrationen missbraucht wurden”, heißt es im Jahresbericht.

Genannt werden mehrere aggressive Demonstrationen, bei denen es unter anderem zu den schon erwähnten Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten kam. Außerdem vernetze und radikalisiere sich das Spektrum in den sozialen Medien und über Messengerdienste. Der Verfassungsschutz nennt Telegram als “maßgebliche Plattform zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Fake News zum Pandemiegeschehen”.

Sorge bereitet der Behörde auch die wachsende Bereitschaft radikaler Coronaleugner zu Gewalt. Im August 2021 wurden auf eine Corona-Schnelltest-Station in Spandau zwei Brandanschläge verübt. Im selben Monat folgte ein ähnlicher Angriffsversuch bei einem Testzentrum am Bahnhof Lichtenberg. Im Dezember schlug ein Maskengegner in Tram einen Mann zusammen, der auf die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln hingewiesen hatte.

Kleinpartei “Der III. Weg” gibt den Ton an

Für Rechtsextremisten sei die Pandemie allerdings 2021 nicht mehr das alles dominierende Thema gewesen, sagt der Verfassungsschutz. Die Szene habe vielmehr versucht, die Flutkatastrophe im Ahrtal, den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die Entwicklungen an der polnisch-belarussischen Grenze zum Anlass zu nehmen, “ein vermeintliches Staatsversagen zu propagieren und Ängste vor einer Flüchtlingskrise heraufzubeschwören”.

Gleichzeitig verschoben sich im rechtsextremen Spektrum die Gewichte. Die Kleinpartei “Der III. Weg” gibt zunehmend den Ton an. Im August hängten Aktivisten am Brandenburger Tor Plakate mit der Parole “Kommunisten töten” auf. Die umtriebige Neonazi-Partei konnte in Berlin die Zahl ihrer Mitglieder von 30 auf 60 verdoppeln.

Insgesamt blieb die rechtsextreme Szene mit 1440 Personen (darunter 750 “gewaltorientierte”) stabil. Das gilt auch für die zum Teil rechtsextremen Reichsbürger (670 Personen wie schon 2020 und 2019). Die Mehrheit der Neonazis und weiteren Rechten (850 Personen) hält sich allerdings von Parteien und anderen Organisationen fern und bleibt nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes “weitgehend unstrukturiert”.

Die NPD, die einst in mehreren Bezirksverordnetenversammlungen saß, sackte weiter ab (2021: 180 Mitglieder, 2020: 200). Die AfD erwähnt der Berliner Verfassungsschutz aus rechtlichen Gründen nicht.

Außerdem taucht die AfD-interne Gruppierung “Der Flügel”, die im Jahresbericht 2020 noch genannt wurde, im neuen Report nicht mehr auf. Die AfD hatte im August 2021 beim Berliner Verwaltungsgericht erreicht, sie könne “die Löschung einzelner Angaben im Berliner Verfassungsschutzbericht 2020 zur parteiinternen Gruppierung des ,Flügels’ verlangen”.

Rechtsextremisten bei der Berliner Polizei

Ein Problem, das den Berliner Sicherheitsbehörden peinlich ist, nennt der Verfassungsschutz auch: Rechtsextremisten und Reichsbürger in den eigenen Reihen. Von Januar 2017 bis zum August 2021 gab es 74 Verdachtsfälle mit insgesamt 93 Personen. Der Verdacht auf rechtsextremistische Netzwerke im öffentlichen Dienst hat sich laut Verfassungsschutz bislang jedoch nicht bestätigt.

3800 Linksextremisten in Berlin

Traditionell stärkste Extremistenszene ist in Berlin das linksradikale Spektrum. Der Verfassungsschutz spricht von 3800 Personen, darunter 950 gewaltbereite. Damit setzt sich seit Jahren der Trend fort, dass die Szene um etwa 200 Personen wächst. Entscheidender Faktor ist der ungebrochene Zulauf zum Verein “Rote Hilfe”.

Die Berliner Ortsgruppe ist mit 2350 Mitgliedern (2020: 2150, 2019: 1900) der größte linksextreme Akteur in der Stadt. Die Rote Hilfe unterstützt finanziell und politisch Linksradikale, die mit der Justiz in Konflikt geraten. Das macht den Verein für die Szene insgesamt trotz der in ihr schwelenden Meinungsverschiedenheiten attraktiv.

Der Verfassungsschutz bescheinigt den rund 550 Autonomen (minus 20), seit Jahren mit “Aggression und Gewalt gegen den Bedeutungsverlust” zu agieren. Mit Sorge sieht die Behörde, dass Autonome gezielt Personen angreifen und schwere Verletzungen in Kauf nehmen. Im September flogen Brandflaschen auf das Gebäude des Zentralen Objektschutzes der Polizei. In einem Bekennerschreiben hieß es, “das Ziel unserer Aktion waren die Fahrzeuge auf dem eingezäunten Gelände, in dem Wissen, dass sich sich die Bullen ebenfalls auf dem Gelände im Bungalow aufhalten”.

Im Jahresbericht taucht jedoch nicht mehr die radikale Klimaschutzgruppierung “Ende Gelände Berlin” auf. Der Verfassungsschutz hatte sie 2020 noch der linksextremen Szene zugerechnet und die Billigung von Gewalt betont.

Israelhasser randalierten in Berlin

Das Spektrum der Islamisten ist das zweitgrößte Extremistenmilieu. Ein Teil fiel im Mai 2021 in Berlin mit Krawallen und antisemitischen Hassparolen auf, als die palästinensische Terrororganisation Hamas vom Gaza-Streifen aus Israel mit tausenden Raketen beschoss und der Staat mit massiven Luftangriffen antwortete.

Der Verfassungsschutz spricht von 2260 Islamisten in der Stadt, das sind 90 mehr als im Jahr zuvor. Die mit Abstand größte Szene bleibt die der Salafisten (1100 Personen), die allerdings stagniert. Zulegen konnten jedoch ausgerechnet zwei Organisationen, die bundesweit einem Betätigungsverbot unterliegen.

Die libanesisch-schiitische Terrororganisation Hisbollah (“Partei Gottes”) wuchs um 50 Personen auf 300, die international agierende, sunnitische Hizb-ut-Tahrir (“Partei der Befreiung”) nahm um zehn auf 70 Personen zu. Die bislang nicht verbotene palästinensische Terrororganisation Hamas wird nun vom Verfassungsschutz auf 100 Personen geschätzt (plus 20).

An den israelfeindlichen Ausschreitungen im Mai 2021 beteiligten sich auch ausländische Extremisten, die nicht dem Islamismus zugerechnet werden. Das betrifft vor allem die linksextreme palästinensische Terrororganisation PFLP. Sie war eine der treibenden Kräfte bei den aggressiven Anti-Israel-Demonstrationen.

Der Verfassungsschutz rechnet ihr 40 Personen zu, zehn mehr als 2020. Insgesamt hat sich das Spektrum “Auslandsbezogener Extremismus” in Berlin zahlenmäßig kaum verändert (2021: 1650 Personen, 2020: 1660). Die weitaus größte Vereinigung ist die linke kurdische Terrororganisation PKK mit unverändert 1100 Mitgliedern. Stabil blieb ebenfalls die rechtsextreme türkische Ülkücü-Bewegung, auch bekannt als “Graue Wölfe” (400 Personen).

Scientology stagniert

Der Verfassungsschutz beobachtet zudem weiter Scientology. Die sektenartige Organisation versuchte 2021 vergeblich, mit eigenen Vorschlägen zur Bekämpfung der Pandemie Aufmerksamkeit zu erringen. Scientology blieb bei 130 Mitgliedern hängen.

Im Jahresbericht werden auch die Gefahren durch Spionage und Cyberattacken aus problematischen Staaten wie Russland benannt. Im vergangenen Jahr wurden 19 Hackerangriffe “mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund” auf politische und wissenschaftliche Einrichtungen sowie auf Verbände und Unternehmen in Berlin bekannt.

Damit hat sich die Zahl der Attacken gegenüber 2020 mehr als verdoppelt. Damals waren es neun. Mit dem Thema Cyberabwehr befasst sich in Berlin auf der Ebene der Inlandsnachrichtendienste allerdings vorrangig das Bundesamt für Verfassungsschutz.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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