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Vendée Globe – Sturm am Kap Hoorn : Wenn alles gesagt ist

Der Stress lässt nie nach. Auch am 52. Tag des Rennens um die Welt ist das Hauptfeld dicht beisammen. Und die Aussichten sind ungemütlich.

Vendée Globe - Sturm am Kap Hoorn : Wenn alles gesagt ist

Wenn das Meer seine Farbe verliert. Ein Foto von Stephane Le Diraison, der beim Vendée Globe derzeit an 19. Position liegt.Foto: Le Diraison / Time for Oceans

Gegen Ende dieses Jahres ist nicht mehr viel zu sagen. Auch Boris Herrmann geht das so. Er hat sein Smartphone für die Aufnahme vorbereitet und den Record-Button gedrückt, aber dann sitzt er nur da, in seiner riesigen, kleinen Welt, auf seiner Rennyacht mitten im Südpazifik unweit des angeblich einsamsten Erdpunkts, an seiner grenzenlosesten Stelle. Gegen den Wind und das überschießende Wasser ist Herrmann durch das Kajütdach geschützt, und was er sagen könnte, fällt ihm, dem um die richtigen Worte nie Verlegenen, nicht ein oder es gibt nichts mehr zu sagen.

In wie vielen solcher Videobotschaften hat sich der 39-Jährige seit dem Start vor über 50 Tagen schon erklärt. Dem immer gleichen Trott aus Wind- und Wellenspiel hat er seine Sicht darauf entgegengesetzt, und diese Sicht wurde mehr und mehr zu einem „Spiegel der See“, wie der von ihm verehrte Joseph Conrad eines seiner schönsten Bücher genannt hat. Was eigentlich bedeutet: zu einem Reflexionsglas der Seele.

Herrmann ruft: „Accellerate! Beschleunige! Go go gooo!“

Dann ruft er: „The Vendée Globe!“ Immer wieder, immer lauter, als müsste er sich in Erinnerung rufen, dass es nur dieses eine Rennen gibt, das einen an diesen Punkt führt. „Damn it!“ Verdammt noch mal.

Und während die „Seaexplorer“ Fahrt aufzunehmen beginnt, hört man im Hintergrund den unvergleichlichen Gesang der Foils, der sich mit dem Jaulen des Windes in der Takelage mischt, und man spürt die aggressive Energie an der Art, wie Herrmann auf seinem Sitz hin und her gerissen wird, und daran, wie er besorgt nach vorne blickt. „Was als nächstes kommt?“, fragt er, „ich habe keine Ahnung.“

Vendée Globe - Sturm am Kap Hoorn : Wenn alles gesagt ist

Ohne Lärmschutz geht es nicht. Boris Herrmann an Bord der “Seaexplorer”. Nach fast zwei Dritteln des Rennens hat sich seiner eine…Foto: Boris Herrmann / Seaexplorer YCM

Man bricht zu einer solchen Reise nicht auf und kommt als derselbe zurück. Selbst wenn das Vendée Globe Race immer mehr zu einem hochtechnisierten Wettlauf um den Erdball geworden ist, entblößt es die Solosegler – vor der Welt, die sie an dieser Erfahrung teilhaben lassen, aber auch vor sich selbst.

Boris Herrmann hat diesbezüglich schon einige innere Festungen preisgegeben: sein Bedürfnis nach Austausch, seine Angst vor der Einsamkeit, sein Hadern, sein Wunsch nach Kontrolle. Das Ringen mit den eigenen Grenzen hat den Deutschen, blendend aussehend, charmant und klug, noch beliebter gemacht. Er ist zum Darling der internationalen Presse geworden, der besser als die maulfaulen Bretonen begreiflich machen kann, worin die vielfältigen Herausforderungen bestehen. Die Wetterlage analysiert Herrmann ebenso verständlich wie psychische Probleme. Es wundere ihn nicht, sagte der französische Top-Segler Sydney Gavignet kürzlich, dass Herrmann für die Farben Monakos segele, „er redet wie ein Prinz“.

Am vorletzten Tag des Jahres sieht sich Herrmann an einer Weggabelung und weiß zunächst nicht, wie er sich entscheiden soll. Kap Hoorn, der gefürchtete Zacken, befindet sich 1600 Meilen voraus. Nördlich des Hauptfelds aus elf Booten zieht ein Sturmtief in dieselbe Richtung. Während der führende Yannick Bestaven („Maitre CoQ IV“) und sein unmittelbarere Verfolger Charlie Dalin („Apivia“) eine Weile mit dessen Front mithalten werden, müssen sich die anderen neun Skipper entscheiden: Suchen sie ihr Glück weiter im Norden in der Nähe des Sturmzentrums, wo die Böen Orkanstärke erreichen können. Oder weichen sie nach Süden aus, wo der Wind schwacher sein, aber aus einem ungünstigeren Winkel auftreffen dürfte.

Vendée Globe - Sturm am Kap Hoorn : Wenn alles gesagt ist

Niemand hätte dem 46-jährigen Unternehmer Yannick Bestaven vor dem Rennen eine solche Leistung prophezeit. Nun führt er das Rennen…Foto: Jean-Marie Liot

Zu allem Überfluss wird dieser für die Region typische „Roller“ noch einmal verheerende Kraft entwickeln, wenn er von der Spitze Südamerikas abgebremst wird und an den 3000 Meter hohen Anden entlangrollt wie ein alter Treckerreifen. Vor allem Yannick Bestaven dürfte diese ungünstige Konstellation zu spüren bekommen, dem Kap Hoorn sein Image als Schrecken der Seefahrer verdankt. Er könnte es natürlich ruhig angehen lassen und Tempo rausnehmen. Aber wird er das tun?

Vermutlich nicht. Er sieht die Chance, seinen knappen Vorsprung von 150 Meilen auf das Hauptfeld auszubauen und auf 700 Meilen zu vergrößern. Und was, wenn Dalin ihm durch die sich schließende Wettertür folgen kann? Dann müsste Bestaven erst Recht alles dafür tun, sich ein Polster zu verschaffen, da Dalins „Apivia“ als Neubau berühmt ist für sein Speedpotenzial in leichteren Bedingungen. Und die warten im Windschatten des Horns.

Bis jetzt hat sich Bestavens „Maitre CoQ IV“ in den rauen Verhältnissen des Südens glänzend bewährt. Dass er nicht das Geld hatte – oder aufbringen wollte – für einen Satz größerer Tragflächenschwerter und stattdessen mit dem kleineren Foil-Paar von vor vier Jahren aufgebrochen ist, hat sich als Glücksgriff erwiesen. Das Leistungsspektrum der Lifting-Foils ist offenbar erheblich breiter als das der Flying-Foils der jüngsten Generation. Sie machen das Gefährt einfach zu schnell, was die Skipper in unruhigen Seegangsverhältnissen veranlasst, die Geschwindigkeit immer wieder zu drosseln.

Auch Herrmann demonstriert diese Dynamik eindrucksvoll in seinem Video, als er zunächst noch begeistert, dann mit wachsender Sorge die Beschleunigung seiner „Seaexplorer“ auf 34 Knoten beobachtet. Er hat Mühe, sich auf seinem Sitz zu halten. „Ich mag es nicht, wenn sie über 30 Knoten segelt, ist auch nicht nötig“, sagt er.

Vendée Globe - Sturm am Kap Hoorn : Wenn alles gesagt ist

Lichtspiel. Es ist auch eine Kunst, immer wieder neue Fotos von derselben kleinen, abgeschotteten Welt zu machen.Foto: Boris Herrmann

Am Ende des Tages wird er sich an siebter Position liegend für die Südroute entschieden haben. Der Seegang sei im Süden weniger rau, hofft er. Allerdings muss er sich nun an der Eisbarriere entlangtasten, die als imaginäre Leitplanke den Aktionsradios begrenzt. Sie zu missachten, würde empfindliche Zeitstrafen nach sich ziehen.

Dass mit Herrmann derzeit mindestens sechs weitere Teilnehmer nicht mehr als 130 Meilen von einem Podiumsplatz entfernt liegen, zeigt die ungewöhnliche Leistungsdichte in diesem Feld. Vier Jahre zuvor trennten den führenden Armel le Cléac’h bereits 600 Meilen von Alex Thomson auf Rang zwei. Und Jérémie Beyou auf Rang drei lag 1500 Meilen zurück. Damals spielte es keine Rolle, ob einer von ihnen mal einen schlechten Tag erwischte, kaum geschlafen hatte oder seinen Rhythmus verlor.

Diesmal treibt die unmittelbare Konkurrenz jeden jederzeit an. Es ist schwerer, sich nach dem eigenen Rhythmus zu richten, wenn ständig anderer um einen herumfahren und mit jeder Meile, die man geschafft hat, die Angst wächst, alles wieder zunichte zu machen mit einem schlechten Manöver.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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