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TV-Serie über Amoklauf in einem Einkaufszentrum : Was die „Die Macht der Kränkung“ auslösen kann

Im Griff einer toxischen Männlichkeit: Die TV-Serie von ZDFneo über einen fiktiven Anschlag in Wien.

TV-Serie über Amoklauf in einem Einkaufszentrum : Was die „Die Macht der Kränkung“ auslösen kann

Konkurrenten: Mario (Paul Wollin, li.) und Georg (Murathan Muslu) bewerben sich beide um den Teamleiter-Posten. Ihre Rivalität…Foto: ZDF/Petro Domenig

Schon mal was vom „Mesokosmos“ gehört? Zwischen dem winzig kleinen Mikrokosmus und dem riesig großen Makrokosmos bezeichnet der Begriff die Sphäre menschlich kreierten Miteinanders. Familien zum Beispiel oder Gesellschaften, verteilt meist auf Städte, Dörfer, Straßen oder einen mikrokosmischen Mesokosmos von makrokosmischem Ausmaß: Das Einkaufszentrum.

Bereits im frühen Zombiefilm symbolisierten solche Konsumtempel eine Moderne am Abgrund, die untote Leichen das faulige Fleisch vom Gerippe nagen. Zuletzt rief das Monster der Netflix-Serie „Stranger Things“ in einer Shopping Mall zum letzten Gefecht. Jetzt macht das ZDF die künstlich beleuchtete „Sunshine City“ zum Handlungsraum der sechsteiligen Zivilisationszerfleischung „Am Anschlag“ – ein grandioses Terrorismusdrama ohne allzu viel Terrorismusdramatik, das unsere Spezies auf engstem Raum in den Untergang taumeln lässt.

Zu Beginn jeder Folge kurz angedeutet, zeigt Umut Dag in Zeitlupentempo, wie ein Amoklauf die fiktive Sonnenscheinsiedlung seiner realen Heimatstadt Wien in ein Blutbad verwandelt. Danach allerdings zoomt der Regisseur pro Episode einen Tag weniger zurück aufs Leben seiner Protagonisten im Angesicht des drohenden Massakers: der Wachmann Georg (Murathan Muslu) und die Managerin Mira (Julia Koschitz), der Kellner Lorenz (Jonas Holdenreder) und die Friseurin Saschi (Lea Voss), der Arzthelfer Oliver (Daniel Langbein) und die Ärztin Sarah (Johanna Wokalek) – sie alle leben am Anschlag mal privilegierter, meist prekärer Existenzen voller Demütigungen, die jede für sich Anlass zum Ausrasten gäbe.

[„Am Anschlag“, ZDFneo, Dienstag, und in der ZDF-Mediathek.]

Denn darum geht es der fachliterarischen Vorlage des Psychiaters Reinhard Haller: „Die Macht der Kränkung“. Fernsehgerecht zubereitet von Agnes Pluch, dringt ihr Drehbuch tief in die Psychen verschiedenster Charaktere ein und sondiert dort das jeweilige Potenzial zum Massenmord, wie ihn auch der untergründig mitschwingende Amoklauf im Münchner OEZ vor fünf Jahren darstellte. Resultat: in den Cafés und Boutiquen, Salons und Praxen, Büros und Firmen der sonnenlichtlosen „Sunshine City“ köcheln die Individuen so ziel-, halt- und wehrlos im eigenen Saft schwindender Selbstachtung, dass jedes und jeder zum Amoklauf taugt.

Frei von jeder Effekthascherei

Denn je länger wir fasziniert zusehen, wie die humanen Dampfkessel im Mesokosmos Shoppingcenter frei von jeder Effekthascherei Überdruck aufbauen, desto deutlicher wird, um was es Pluch und Dag wirklich geht: toxische Männlichkeit. Wenn Muslus Wächter Security-Mann zwischen seiner blinden Ehefrau (Antje Traue) und dem cholerischen Kollegen (Paul Wollin), Burnout-Diagnose und Versagensangst zerrieben wird, bäumt sich der steroidsüchtige Muskelprotz auch gegen die uralte Erwartungshaltung vom unbeugsamen Alleinernährer auf.

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Wenn Koschitz’ Businessfrau mit Bleistiftrock und Bulimie an gläserne Decken misogyner Netzwerke stößt, stehen die testosteronstrotzenden Platzhirsche darin fürs (letzte) Aufbäumen alter Emanzipationsverweigerer der Marke Trump. Und wenn Wokaleks Arztpraxis wegen verweigerter Unterhaltszahlungen kurz vor der Pleite steht, verkörpert die Allmacht des Ex-Gatten ihre schwerer erträgliche Ohnmacht. Ob es am Ende ein Mann sein wird, der zur Waffe greift, ist also nicht nur angesichts einer Quote von 98 Prozent Männern, die der Kriminologe Christian Pfeifer bei Amokläufen errechnet hat, also höchstwahrscheinlich.

Es ist aber auch ein bisschen egal. Nur oberflächlich betrachtet nämlich mag es „Am Anschlag“ um ein anregendes Who-dunnit für Krimifans gehen. Darunter gelingt es Buch und Regie, den Mikrokosmos einer menschlichen Zweckgemeinschaft zum grandiosen Drama zu machen. Mit einem EKZ als Mesokosmos, den Umut Dag zum transparenten Spiegelkabinett dekoriert. Ein durchsichtiges Arbeitsambiente, wo alle einander – quasi als architektonische Entsprechung sozialer Medien – ständig im Blick haben.

Alles in dieser aseptischen Alltagshölle ist dabei auf – besonders für Frauen – schmerzhafte Art nachvollziehbar und damit so real wie die dokufiktionalen Bestandteile mit echten News („Tagesschau“) echter Nachrichtensprecherin (Aline Abboud) und echtem Kränkungsexperten (Reinhard Haller), die gemeinsam ein ungemein wahrhaftiges Kammerspiel begleiten. Es ist schon jetzt ein Höhepunkt das ablaufenden Fernsehjahres.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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