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„Tot, gefangen oder siegreich“ : In Brasilien droht eine Attacke wie auf das US-Kapitol

Brasiliens Präsident Bolsonaro heizt den Machtkampf mit Parlament und Oberstem Gericht an. Zum Unabhängigkeitstag wird sogar ein Militärputsch befürchtet.

„Tot, gefangen oder siegreich“ : In Brasilien droht eine Attacke wie auf das US-Kapitol

„Bolsonaristas“ demonstrierten bereits im August für ihr Idol. Am 7. September sind neue Aktionen geplant.Foto: imago images/Agencia EFE

Die Frauenstimme bebt vor Zorn: „SOS Brasilien: Präsident Bolsonaro, aktiviert die Streitkräfte, um unsere Freiheit zu schützen und uns vom Kommunismus zu befreien.“ Sie ist in einer der Tausenden brasilianischen Whatsapp-Gruppen zu hören, in denen sich die Anhänger des ultra-rechten Staatsoberhaupts austauschen.

Derzeit läuft dort die Mobilisierung für die landesweiten Demonstrationen am 7. September, dem Unabhängigkeitstag Brasiliens. Überall, aber vor allem in der Hauptstadt Brasília, wollen die „Bolsonaristas“ in großer Zahl für ihr Idol auf die Straße gehen – und gegen all jene protestieren, die ihm angeblich Steine in den Weg legten: der Oberste Gerichtshof und der Kongress.

Bereits am Montagabend durchbrachen hunderte Unterstützer Bolsonaros mit Lastwagen und Autos eine Polizeiabsperrung in der Hauptstadt. Wie die Polizei von Brasília mitteilte, gelangten sie auf die aus Sicherheitsgründen gesperrte Allee, die zum Kongress und zum Obersten Gerichtshof des Landes führt.

Auf Videos im Internet war ein kleiner Autokorso zu sehen, der die Straße entlang fuhr. Demonstranten zu Fuß schwenkten Fahnen. „Wir sind gerade hereingestürmt“, rief einer der Demonstranten in einem Video. „Die Polizei konnte die Menschen nicht zurückhalten“. Er kündigte an, dass die Demonstranten am Dienstag auch das Oberste Gericht stürmen wollten.

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Jair Bolsonaro selbst spricht von einem entscheidenden Tag für Brasilien. Beobachter befürchten nun, dass es bei Märschen mit Hunderttausenden Menschen auch zu Angriffen auf den Obersten Gerichtshof und das Parlament in Brasília kommen könnte; dass sich also ein ähnliches Szenario abspielen könnte wie am 6. Januar in Washington, als Tausende fanatische Anhänger von Donald Trump den US-Kongress stürmten.

Eine andere Befürchtung ist, dass Bolsonaro sich von massiven Protesten ermächtigt fühlen könnte, ihm nahe stehende Militärs zu einem Putsch zu bewegen. An seinem Kabinettstisch sitzen zehn hochrangige Kommandeure, mehr als 6100 weitere Militärs wurden in Ministerien und Behörden platziert – häufig ohne jede Fachkompetenz. Es wird zudem erwartet, dass an den Märschen zahlreiche Militärpolizisten mit ihren Dienstwaffen teilnehmen. Sie zählen zur treuesten Wählergruppe Bolsonaros.

Die Demonstrationen am Dienstag gelten als wichtiger Gradmesser für den tatsächlichen Rückhalt Bolsonaros in der Bevölkerung. In Umfragen sind seine Zustimmungsraten zuletzt eingebrochen, eine Mehrheit der Brasilianer bewertet seine Regierung als negativ.

„Tot, gefangen oder siegreich“ : In Brasilien droht eine Attacke wie auf das US-Kapitol

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro heizt den Machtkampf mit Parlament und Oberstem Gericht an.Foto: Evaristo Sa/AFP

Wären jetzt Wahlen, käme er auf knapp 25 Prozent. Demgegenüber führt Brasiliens linker Ex-Präsident Lula da Silva alle Umfragen an. Ein dritter Kandidat mit Chancen aufs Präsidentenamt ist derzeit nicht auszumachen. Der Hauptgrund für Bolsonaros Absturz in der Wählergunst ist das katastrophale Pandemie-Management seiner Regierung. Das Coronavirus hat in Brasilien bislang zu mehr als 580.000 Todesopfern geführt, immer noch sterben jeden Tag über 600 Menschen.

Hinzu kommt eine Wirtschaftskrise mit mehr als 14 Prozent Arbeitslosigkeit, der spürbaren Zunahme von Armut und Obdachlosigkeit, stark steigenden Benzinpreisen und dem Verfall der Währung Real. Zu allem Überfluss droht auch eine Energiekrise, weil die Stauseen des Landes wegen anhaltender Trockenheit enorm an Wasser verloren haben. Brasilien bezieht rund Zweidrittel seiner Energie aus Wasserkraft.

Auf die Krisen reagiert Bolsonaro, indem er fast täglich herumstänkert, andere Menschen beleidigt und Sprüche klopft. So sagte er auch mit Blick auf die Demos am Dienstag: „Alle Brasilianer sollten eine Waffe kaufen. Ein bewaffnetes Volk wird sich niemals versklaven lassen.“ Noch vor einigen Wochen behauptete er zu jeder Gelegenheit und ohne jeden Beleg, dass die Wahlen im nächsten Jahr gefälscht würden und dass auch schon vergangene Wahlen manipuliert worden seien. Bolsonaros Anhänger wiederholten die Lügen.

Bolsonaro erschwert Löschung von digitalen Inhalten

Erst am Montag erließ der brasilianische Präsident ein Dekret, das Internetplattformen das Löschen von Inhalten erschwert. Das Dekret zielt laut dem Bundessekretariat für Kommunikation darauf ab, „die willkürliche und ungerechtfertigte Löschung von Konten, Profilen und Inhalten durch die Anbieter“ zu verhindern. Zuvor hatten Internetplattformen mehrfach Äußerungen Bolsonaros wegen der Verbreitung von Falschinformationen über das Coronavirus entfernt. Dieser hatte das als „Zensur“ bezeichnet.

Das Dekret tritt vorläufig sofort in Kraft, muss aber noch vom Kongress ratifiziert werden, um Gesetz zu werden. Es nennt eine Reihe von Umständen, unter denen die Löschung von Inhalten oder die Sperrung von Nutzern „gerechtfertigt“ ist. Dazu gehören beispielsweise die Begehung von Straftaten oder die Aufstachelung zur Gewalt. Außerdem schreibt das Dekret den Plattformen vor, wie sie in solchen Fällen vorzugehen haben.

„Diese vorläufige Maßnahme schränkt die Möglichkeiten, Missbrauch auf unseren Plattformen einzuschränken, erheblich ein“, erklärte ein Facebook-Sprecher gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. „Wir stimmen mit Rechtsexperten und Fachleuten überein, die die Maßnahme als eine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte betrachten.“

Der Zorn Bolsonaros

An den Wochenenden reist der Staatschef derweil durchs Land und veranstaltet sogenannte „Motociatas“. Dabei fährt er begleitet von Tausenden Motorradfahrern durch die Städte Brasiliens. Das Spektakel dient dazu, Bilder zu schaffen, die den angeblichen Rückhalt Bolsonaros zeigen sollen. Beobachter haben darauf hingewiesen, dass dereinst Italiens faschistischer Diktator Benito Mussolini sich solcher Motorrad-Demos zu Propagandazwecken bediente.

Das Regieren hat Bolsonaro unterdessen eingestellt. Daran sei jedoch nicht er Schuld, so die Logik seiner Verteidiger, sondern der Oberste Gerichtshof und der Kongress, die ihn nicht regieren ließen, weil sie seine Vorhaben als zu radikal ablehnten oder veränderten. Im Parlament liegen außerdem mehr als 120 Impeachment-Anträge gegen Bolsonaro vor, die allerdings von dem mit ihm verbündeten Parlamentspräsidenten nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden.

In Brasília steht schräg gegenüber des Kongresses und frontal zum Präsidentenpalast der Oberste Gerichtshof. Dessen Richtern gilt der größte Zorn Bolsonaros, weil sie immer häufiger Verbündete von ihm untersuchen und sogar festnehmen lassen, die zu gewaltsamen Aktionen gegen die konstitutionelle Ordnung Brasiliens aufrufen.

Bolsonaro und seine Anhänger sehen darin diktatorische Maßnahmen. In ihrer Logik ist der Präsident, der direkt gewählt wurde, der Vollstrecker des Volkswillens und jeder, der ihn daran hindert, handelt anti-demokratisch.

Brasilien ist politisch gelähmt

Bolsonaros Gegner – selbst wenn sie aus der wertkonservativen Ecke stammen – werden dann pauschal als „comunistas“ bezeichnet. Doch anstatt die Situation zu entspannen, verschärft Bolsonaro sie immer weiter. Erst kürzlich forderte er die Absetzung zweier Oberster Richter.

Die andauernde Auseinandersetzung zwischen den drei Gewalten hat dazu geführt, dass Brasilien politisch gelähmt ist und keines der wichtigen Zukunftsthemen eine Rolle im politischen Diskurs spielt, weder der Klimawandel, noch soziale Gerechtigkeit, politische Reformen oder die dramatisch zunehmende Zerstörung des ökologisch so bedeutenden Amazonaswaldes.

Offenbar aus ernsthafter Sorge um die Zukunft des Landes haben deswegen sogar Brasiliens Arbeitgeberverbände dazu aufgerufen, die „Harmonie zwischen den drei Gewalten“ zu wahren und die demokratische Verfassung zu achten. Sie nennen in ihren offenen Briefen keine Namen, aber es ist klar, dass sie Bolsonaro meinen, dessen Aufstieg sie noch vor kurzem maßgeblich förderten.

Der Präsident ist sich seiner schwierigen Lage bewusst. Auf einem Treffen mit Pastoren der erzkonservativen evangelikalen Kirchen Brasiliens sagte er über seine Zukunft: „Entweder im Gefängnis, tot oder siegreich.“ Solche Sprüche dienen dazu, seine Anhänger weiter zu radikalisieren. Der Unabhängigkeitstag verheißt in diesem Jahr nichts Gutes für Brasilien. (mit AFP)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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