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„The Girlfriend Experience“ auf Amazon : Hollywood entdeckt deutsche Regisseurinnen

Die Berlinerin Anja Marquardt hat für den Produzenten Steven Soderbergh die dritte Staffel der Serie „The Girlfriend Experience“ gedreht. Ein Gespräch über Machtverhältnisse in der US-Streamingindustrie und das Leben in zwei Zeitzonen.

„The Girlfriend Experience“ auf Amazon : Hollywood entdeckt deutsche Regisseurinnen

Die Regisseurin Anja Marquardt, geboren 1980 in Berlin, nahm den Umweg über Amerika.Foto: Daniella Benedetti

Ob beim Dating oder dem Streaming von Filmen – unser Freizeitverhalten ist fest in der Hand von Algorithmen. Jeder Swipe, jeder Klick generiert Daten, die den Konsumenten noch ein wenig gläserner machen. Und trotzdem überwiegt am Ende oft die Enttäuschung. Der Mensch bleibt ein unergründliches Wesen, die Vorlieben lassen sich nicht auf fixe Kriterien herunterbrechen.

Darum klingt das Angebot, das in der dritten Staffel der Starz-Serie „The Girlfriend Experience“ die Neurowissenschaftlerin Iris (Julia Goldani Telles), die nachts als Luxus-Escortdame die Fantasien ihrer reichen Kunden performt, dem Tech-Guru eines Londoner Start-ups unterbreitet, so verlockend: ein Algorithmus, der besser als der Mensch selbst dessen individuelle Wünsche und Begehren versteht. Mit anderen Worten: die perfekte Dating-App, klüger als der User.

„Ich habe das natürlich schon mit einem Augenzwinkern geschrieben“, erklärt die Berliner Regisseurin Anja Marquardt im Zoom-Gespräch. Die Assoziation „Dating-Streaming“ lag einfach auf der Hand, auch wenn sie den Witz nicht überstrapazieren wollte. Die Optimierung unseres Konsumverhaltens bereitet ihr als Regisseurin eher Sorgen.

„Man kann ja nur hoffen, dass es irgendwann wieder eine Kurskorrektur gibt, wenn wir alle gelangweilt sind von den Filmen, die der Algorithmus auswählt.“ Denn die Zahlen sind unerbittlich, erklärt Marquardt. In der Branche habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Serien nach zwei Staffeln bereits das Maximum an Abos generiert haben. Darum werde eine dritte Staffel immer seltener in Auftrag gegeben. Auch in dieser Hinsicht ist „The Girlfriend Experience“ eine Ausnahmeerscheinung.

Zwischen Berlin und Los Angeles

Marquardt hat einen Kaffee neben sich stehen, es ist früher Morgen in Los Angeles. Nicht ungewöhnlich für die gebürtige Berlinerin, ihre Eltern und ihr Bruder wohnen noch in Berlin. Das gefühlte Leben in zwei Zeitzonen gehört für sie zum Normalzustand. Obwohl sie seit 15 Jahren in den USA lebt, sind die Verbindungen in die Heimat nie abgebrochen.

Im Gegenteil, das Interesse an der 41-Jährigen ist in den vergangenen Monaten gestiegen: Wer kann schon behaupten, von Steven Soderbergh persönlich auserwählt worden zu sein? Der Regisseur hatte ihr Debüt „She’s Lost Control“ gesehen, das 2014 im Berlinale-Forum seine Premiere hatte – und es auf seiner Empfehlungsliste im Netz gepostet. Irgendwann kam der Anruf.

Soderbergh liegt Anja Marquardt nah, auch sie sieht sich zwischen europäischem Autoren- und amerikanischem Genrekino. Filme aus diesen beiden Welten hätten sie inspiriert. Aber der Weg war steinig. Ihre Lehrjahre habe sie auf der Berlinale verbracht, erinnert sich Marquardt: „Das war ein wahrgewordener Traum, sechs Filme hintereinander von Retro bis Abschlussfilmen – irgendwann sieht man zum dritten Mal am Tag eine Szene, in der ein Tier fast einen Unfall verursacht. Das hat mich das vertikale Sehen gelehrt. Damals dachte ich, hier gibt es ein Reservoir an Bildern und Ideen, die sich in mir ansammeln.“

Berlinale als Schule des Sehens

Nur wollte keine deutsche Filmhochschule Marquardt nehmen. Die dffb lud sie gar nicht erst ein, bei den Interviews an der HFF München kam sie sich vor wie an einer Militärakademie, erinnert sie sich lachend. Sie schaffte es lediglich in die zweite Runde. „Dass ich schließlich an der Tisch School der New York University gelandet bin, war eine Fügung des Schicksals“, meint Marquardt.

Die Ausbildung an der NYU steht eher für das amerikanische Autorenkino, Anja Marquardt gefällt diese Tradition. Für die dritte Staffel von „The Girlfriend Experience“ hat sie das Drehbuch geschrieben und bei allen zehn Folgen Regie geführt, sie verkörpert somit die Serien-Funktionen Showrunner und Writer’s Room in Personalunion. Diese Denkweise out of the box, schätzt Marquardt an ihrem Förderer.

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„Es war immer der Wunsch von Steven Soderbergh, dass die Serie eine Kohärenz aufweist und jede Staffel wie aus einem Guss aussieht. Das hat mir auch geholfen, die Staffel im Prinzip wie einen langen Film zu betrachten.“ Rückblickend lässt sich „She’s Lost Control“ fast als Visitenkarte für ihre erste Serie lesen, die Geschichte einer jungen Verhaltenspsychologin, die nebenbei als Sextherapeutin arbeitet und sich zwischen diesen beiden Identitäten zunehmend von ihrem Umfeld isoliert, erzählte sie in kühlen, distanzierten Bildern.

Die Welt „transaktionaler Beziehungen“, so Marquardt, fasziniere sie einfach; darum ging es schon in Soderberghs Film „The Girlfriend Experience“ von 2009, auf dem die Serie basiert.

Die US-Fimproduktion wird globaler

Marquardt denkt diese Prämisse in der dritten Staffel konsequent weiter, indem sie die Geschichte in die Tech-Branche Londons verlegt. „Die US-Streamingproduzenten achten inzwischen sehr auf das globale Potential einer Geschichte – oder einer Filmemacherin“, sagt sie. Diese Entwicklung käme ihr, die seit Jahren zwischen zwei Kontinenten lebt, entgegen. „Deutsche Regisseurin, amerikanische Protagonistin, britisches Setting: diese Denkweise ist relativ neu.“

Die Berlinerin sieht die Streamingindustrie damit als Vorreiter in der US-Filmbranche. Momentan scheint Hollywood deutsche Regisseurinnen für sich zu entdecken: Nora Fingscheidt („Systemsprenger“) dreht mit Sandra Bullock, Julia von Heinz („Und morgen die ganze Welt“) konnte für ihre erste internationale Produktion Lena Dunham („Girls“) gewinnen, Maria Schrader wird demnächst die Weinstein-Recherchen von Jodi Kantor und Megan Twohey verfilmen. „Der Bedarf an neuen Stoffen ist heute viel größer, insofern ist es gerade als Regisseurin eine spannende Zeit, um Projekte anzuschieben“, findet Marquardt.

Entscheidend sei dabei, dass sich mit MeToo ein Generationenwechsel vollzogen hat. „In den Entscheidungsfunktionen von Sendern sitzen heute Leute, die anders ticken. Das Bewusstsein, diesen kulturellen Wandel gemeinsam voranzubringen, ist sehr ausgeprägt. Die Machtstrukturen werden sich in diese Richtung weiterentwickeln.“ Trotzdem bleibt sie skeptisch, wie nachhaltig die Entwicklung, vor dem Hintergrund der Pandemie, ausfallen wird. „Die wichtigen Fragen – Wer wählt die Stoffe aus? Wie können wir die Sprache des Kinos weiterentwickeln? – stellten sich ja lange vor Corona.“

Marquardt sagt, dass sie hier eine persönliche Verantwortung spüre. Ihr sei es schon immer wichtig gewesen, vor und hinter der Kamera eine gute Mischung zu finden. Letztlich ginge es doch um die Frage: „Wie sieht man sich in der Welt, wie andere Menschen?“ Anja Marquardt hat die Absicht, ihren Teil beizutragen. (Die komplette dritte Staffel ist ab dem 4. Juli auf Amazon Prime verfügbar.)

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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