Dnachrichten.de
Berlin news - Die offizielle Website der Stadt Berlin. Interessante Informationen für alle Berlinerinnen, Berliner und Touristen.

Senta Berger spricht über sexuelle Übergriffe : Niemand wollte damals richtig hinhören

Schon 2006 schrieb Senta Berger in ihrer Biografie über die sexuellen Übergriffe ihrer Drehpartner, sie stieß auf taube Ohren. Das darf nie wieder passieren.

Senta Berger spricht über sexuelle Übergriffe : Niemand wollte damals richtig hinhören

Foto: imago images/Mary Evans

Die Sätze fallen unvermittelt auf Seite 327, die trockene Beschreibung der Szene macht einen kurz sprachlos. „O. W. Fischer hatte natürlich eine Suite, eingerichtet mit barocken Stilmöbeln. Er saß auf einem Sofa und ich auf einem Stühlchen zu seiner Seite. Wir lasen den Text der Szene von morgen und den von übermorgen. Dann stürzte er sich plötzlich auf mich und versuchte, meine Bluse zu öffnen. Ich gab ihm einen Stoß, instinktiv. Dabei fiel ich mit dem Stuhl nach hinten und er auf mich. Ich war gefangen wie ein Käfer.“

An diese Situation aus dem Jahr 1961 erinnerte sich Senta Berger 2006 in ihrer Biografie „Ich habe ja gewusst, dass ich fliegen kann“; sie trug sich während der Dreharbeiten von „Es muß nicht immer Kaviar sein“ zu.

Bergers Buch ist voll von solchen Erfahrungen. Der amerikanische Filmproduzent Darryl F. Zanuck empfing das damals 19-Jährige „Fräuleinwunder“ (Zanuck) nur mit einem seidenen Schlafrock bekleidet in seiner Suite, die Hand des Schauspielers Richard Widmark wanderte zu später Stunde einmal unter ihren Rock, Charlton Heston versuchte, sie unter dem Einsatz körperlicher Gewalt zu küssen.

Berger erinnert sich an diese Vorfälle in einem bewundernswert sachlichen Ton, den die „FAZ“ im Interview zu der Buch-Veröffentlichung damals als „diskret“ bezeichnete.

Bergers Memoiren hätten für einen MeToo-Skandal reichen müssen

Die sexuellen Übergriffe ihres Drehpartners Anfang der sechziger Jahre gingen diese Woche noch einmal durch die Medien. Grund dafür war ein Interview mit der heute 79-jährigen Senta Berger in der „Zeit“, umgehend griffen die Medien Bergers Sätze wie eine Schlagzeile auf. Doch die Information ist seit 15 Jahren in der Welt.

Was Berger in ihren Memoiren schreibt, hätte schon damals für einen MeToo-Skandal reichen müssen: eine seriöse Auseinandersetzung mit den sexistischen, frauenfeindlichen Strukturen in der Filmindustrie. Stattdessen titelte die „Bild“-Zeitung im März 2006: „Senta Berger beichtet: O. W. Fischer riß mir die Bluse auf!“

Man kann die sensationsheischende Schlagzeile als Methode des Springer-Konzerns abtun, aber Tatsache ist, dass vor 15 Jahren außer der „Bild“ und der „FAZ“ niemand größere Notiz von den Schilderungen Bergers nahm. Im „FAZ“-Interview sagte Senta Berger einen erstaunlichen Satz: „Ich habe gar nicht gedacht, daß das interessant sein könnte.“ Und fährt fort: „Und wenn, hab’ ich gedacht, die würden eventuell aus dem Buch zitieren, und dann würde man schon verstehen, wie ich das erzähle.“

Senta Berger spricht über sexuelle Übergriffe : Niemand wollte damals richtig hinhören

Senta Berger (mit Franz Xaver Kroetz) in ihrer bekanntesten Rolle in der Schickeria-Serie “Kir Royal”.Foto: picture alliance / dpa

Diese Aussage vermittelt zweierlei: In den nuller Jahren war das, was Senta Berger in ihren Memoiren beschreibt, kein großer Aufreger. Womit sie auf traurige Weise ja recht behielt. Und dass, zweitens, ihre „Diskretion“ vielleicht sogar dazu beitrug, dass die damaligen Rezensionen (auch im Tagesspiegel) die Passagen, in denen Männer ihr gegenüber teilweise gewaltsam übergriffig wurden (und das sind einige im Buch), übergingen.

Kein Enthüllungsbuch, sondern Beschreibung von Normalität

Heute ist unser Blick für solch ein Verhalten geübter, unsere Aufmerksamkeit im Alarmzustand. Unser Schuldbewusstsein ausgeprägter. Man darf sich auch sicher sein, dass der Verlag Kiepenheuer und Witsch, hätte damals ein öffentliches Interesse an Bergers schwerwiegenden Aussagen bestanden, das Buch ganz anders vermarktet hätte. Heute ist das Stichwort „MeToo“ ein Verkaufsargument.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Was „Ich habe ja gewusst, dass ich fliegen kann“ so bemerkenswert macht, ist, dass Senta Berger kein Enthüllungsbuch geschrieben hat. Sie war sich des Unrechts, das sie wieder und wieder erfuhr, wohl bewusst. Sie trat als junges „Wiener Madl“ nach eigener Aussage nie unterwürfig gegenüber den Zampanos aus Hollywood auf, sie empfand auch keine Mitschuld an dem, was ihr passierte – auch wenn die „Bild“ 2006 etwas anderes suggerierte (“beichtet”).

Berger beschrieb lediglich in einer sehr sachlichen, fast distanzierten Sprache (die sich deutlich vom Tonfall ihrer anderen Erinnerungen unterscheidet), was in den sechziger Jahren in der Filmindustrie – und überall dort, wo Abhängigkeiten professionelle Machtstrukturen verfestigt haben – schlichtweg Normalität war.

Auch die Medien waren Teil des Problems

Die Medien, die Gesellschaft befinden sich seit den MeToo-Enthüllungen in einem Prozess der Wiedergutmachung für die vielen Jahre des Wegsehens, der Nonchalance. Manchmal auch des blinden Fan-Seins. Mehrere Generationen von Journalist:innen haben passiv, manchmal aktiv, meistens aber wohl aus Desinteresse die Verhältnisse bestärkt, mit denen wir uns heute gesellschaftlich, politisch und juristisch (Harvey Weinstein, Dieter Wedel) beschäftigen.

Und längst müssen wir uns eingestehen, dass die Medien nicht nur die „vierte Gewalt“ sind, sondern auch Teil des Problems, wenn es um überkommene Machtstrukturen geht.

Als 2017 über die Weinstein-Enthüllungen geschrieben wurde, fiel oft der Begriff „Schweigekartell“. Frauen hätten Angst, über ihre Erfahrungen zu berichten, aus Angst vor beruflichen Repressalien. Das macht die Geschichte von Senta Berger umso beschämender. Sie beschrieb 2006, wie die Filmindustrie funktioniert – und es hat kaum jemanden interessiert. Die Wiedergutmachung kommt zu spät. Doch es ist das Mindeste, dass wir den Betroffenen auch nach 60 Jahren endlich Gehör verschaffen.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

This website uses cookies to improve your experience. We'll assume you're ok with this, but you can opt-out if you wish. Accept Read More

Privacy & Cookies Policy