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Neue Sanktionen gegen Russland geplant : Was ist die rote Linie? Die Gräuel von Butscha erhöhen den Druck auf den Kanzler

Der Ukraine-Botschafter legt den Finger immer wieder in die Wunde. Nach den Taten in Butscha sucht die Ampel eine harte Antwort auf Russlands Kriegsverbrechen.

Neue Sanktionen gegen Russland geplant : Was ist die rote Linie? Die Gräuel von Butscha erhöhen den Druck auf den Kanzler

In der ukrainischen Stadt Butscha, 25 Kilometer nordwestlich von Kiew, bietet sich nach dem Rückzug der russischen Armee ein Bild…Foto: Rodrigo Abd/AP/dpa

Es sind Hilferufe, die viele im Land irritieren. Auch bei der SPD – hier verbergen einige die Genervtheit über den Botschafter der Ukraine nicht mehr. Haltungsnoten zu verteilen, scheint bequemer, als sich den unbequemen aufgeworfenen Fragen zu stellen. Andrij Melnyk ist sicher ein streitbarer Botschafter, aber die Anklage gegen die langjährige Umarmungs- und Beschwichtigungspolitik Berlins gegenüber Moskau ist ein Resultat auf die Bilder und Nachrichten, mit denen er täglich aufwacht.

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So hat er es in seiner Residenz beim Interview mit dem Tagesspiegel geschildert. Und die wahllosen Hinrichtungen von Ukrainern in Butscha verändern die Lage noch einmal. Was ist die rote Linie, um, auch wenn es die deutsche Industrie und die Verbraucher hart treffen kann, nicht doch den Schritt eines Gas- und Ölboykotts gegen Wladimir Putin zu erwägen?

Es geht auch um die deutsche Staatsräson des „Nie wieder“, betonen Analysten am Sonntag, dass man nicht sehenden Auges bei Kriegsverbrechen zuschauen könne. Was das denn bedeutet, fragt der Militärexperte Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München. „Ich habe da keine Lösung im Hinterkopf, es ist keine rhetorische Frage. Wir sind in einem strategischen Dilemma.“

Doch ein Öl- und Gasboykott?

Das ist auch, was besonders deutlich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gar nicht erst zu verbergen versucht. Außenministerin Annalena Baerbock kündigt weitere Sanktionen an, aber da ein Eingreifen der Nato ausgeschlossen wird, landet man immer wieder beim Thema Energielieferungen, einem Ausschluss aller Banken, auch der Gazprombank vom Swift-System und bei mehr militärischer Unterstützung für die Ukraine.

Habeck fordert ebenfalls weitere Sanktionen – diese Debatte wird nun an Fahrt gewinnen. In der Ampel könnten die Fraktion der Energieboykottbefürworter, trotz aller möglichen Verwerfungen, weiter wachsen. Auch wenn es unter Militärökonomen Zweifel gibt, ob das wirklich Putin stoppen kann.

Neue Sanktionen gegen Russland geplant : Was ist die rote Linie? Die Gräuel von Butscha erhöhen den Druck auf den Kanzler

Kanzler Scholz spricht von Kriegsverbrechen in Butscha bei Kiew.Foto: Steffi Loos/Reuters

Scholz spricht von Kriegsverbrechen, kein Wort zu neuen Sanktionen 

Kanzler Olaf Scholz (SPD) erwähnt in einem schriftlichen Statement zu Butscha Sanktionen mit keinem Wort, er appelliert an Putin: „Ich fordere Russland auf, endlich in einen Waffenstillstand einzuwilligen und die Kampfhandlungen einzustellen. Es ist ein furchtbarer, ein sinnloser und ein durch nichts zu rechtfertigender Krieg, der viel Leid erzeugt und niemandem nutzt. Er muss aufhören.“

Aber er betont, um was es sich hier handelt: Diese Verbrechen des russischen Militärs müssen wir schonungslos aufklären. Ich verlange, dass internationale Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Zugang erhalten zu diesen Gebieten, um die Gräueltaten unabhängig zu dokumentieren.“ Doch was für eine Reaktion folgt daraus?

[Lesen Sie auch: Melnyk macht Ampel-Ministern schwere Vorwürfe (T+)]

Melnyk fordert rasch mehr schwere Waffen – von stationären Luftabwehrraketen, Raketenwerfern bis zu Panzern. „Putin muss eben auf dem Schlachtfeld klar gemacht werden, dass er diesen Krieg nicht gewinnt. Andernfalls wird das Blutvergießen noch sehr lange dauern. Viele Deutschen glauben aber, je mehr Waffen man liefert, desto länger dauert der Krieg. Das ist eine Fehleinschätzung.“

Der Grünen-Politiker Volker Beck zitiert diese Aussage, der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner kommentiert dies so: „Jawohl, Herr General!“ Auch zwischen Grünen- und SPD-Politikern scheinen die Nerven zunehmend angespannt zu sein.

Neue Sanktionen gegen Russland geplant : Was ist die rote Linie? Die Gräuel von Butscha erhöhen den Druck auf den Kanzler

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk fordert noch mehr Engagement der regierung für die Ukraine und Druck auf Putin.Foto: Nassim Rad/Tagesspiegel

Der Botschafter vermisst Konsequenzen aus der verfehlten Russland-Politik

Melnyk hat vor allem einen der Architekten der Russland-Politik ganz undiplomatisch angegriffen, während Wladimir Klitschko bei seinem Berlin-Besuch zuletzt ausdrücklich den Dank an die Deutschen und auch an die Unterstützung durch die Politik in den Vordergrund stellte.

Mancher Vorwurf etwa, dass Frank-Walter Steinmeier ähnlich wie Putin über die Ukraine denke, ist sicher falsch. „Melnyks Ton gegenüber dem Bundespräsidenten ist einfach unakzeptabel“, meint der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer.

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Aber es ist schon irritierend, heute nochmal die kumpelhaften Bilder etwa von Frank-Walter Steinmeier mit Wladimir Putin und Sergej Lawrow zu sehen. Und es stimmt, dass enge Weggefährten des damaligen Außenministers Steinmeier, die diese Politik jahrelang mit ins Werk gesetzt haben – Melnyk spricht von einem „Spinnennetz an Russland-Kontakten“ –, heute auch die Außenpolitik der Ampel-Koalition mitprägen.

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Der außenpolitische Chef-Berater von Kanzler Olaf Scholz (SPD), Jens Plötner, etwa, der noch bis kurz vor Kriegsbeginn auf eine Verhandlungslösung setzte, oder der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Andreas Michaelis, der von 2015 an als Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes die Russland-Ukraine-Verhandlungen steuerte, in denen Kiew sich oft nicht fair behandelt fühlte.

Auch der heutige Bundespräsident Steinmeier äußerte sich zu Butscha: „Die von Russland verübten Kriegsverbrechen sind vor den Augen der Welt sichtbar.“ Etwa 280 Menschen wurden in Butscha bereits in einem Massengrab beigesetzt.

Und Steinmeier betonte, vielleicht auch mit Blick auf Melnyks Attacken: „Die Repräsentanten der Ukraine haben jedes erdenkliche Recht, Russland anzuklagen und Solidarität und Unterstützung ihrer Freunde und Partner einzufordern.“

Die bange Frage: Was kommt nach dem Krieg?

Botschafter Melnyk umtreiben drei Sorgen: 1. Deutschland tut zwar viel, aber noch nicht genug, um der Ukraine im Krieg gegen Russland zu helfen. 2. Man will einen Waffenstillstand, um sich dann wieder irgendwie auch mit Russland zu arrangieren. 3. Die Fehler der Vergangenheit werden nicht richtig aufgearbeitet.

Er stellt den Deutschen unangenehme Fragen, was aus der Solidarität mit der Ukraine, was aus Bildern wie in Butscha nach einem möglichen Kriegsende folgen soll? Ein EU-Beitritt zum Beispiel, auch wenn das Spannungen mit Russland verschärfen würde – oder wäre es der Bundesregierung lieber, wenn die Ukraineeinfach eine Pufferzone zwischen der EU und Russland bleiben würde.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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