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Musiktheater in der DDR : VEB Belcanto

Der Musikwissenschaftler Eckart Kröplin blickt zurück auf das Operntheater in der DDR. Mehr Klassik als hier gab es nirgendwo – doch die Kunst war nicht frei.

Musiktheater in der DDR : VEB Belcanto

Kampf gegen den Drachen. Wie lohnend der Blick auf die DDR-Oper sein kann, bewies das Nationaltheater Weimar mit Paul Dessaus…Foto: Candy Welz

Seit 28 Jahren ist in den Berliner Opernhäusern kein Werk eines Komponisten aus der ehemaligen DDR mehr auf der großen Bühne gespielt worden. Ruth Berghaus inszenierte 1992 an der Staatsoper „Die Verurteilung des Lukullus“ von Paul Dessau, die Komische Oper zeigte, als Koproduktion mit den Schwetzinger Festspielen und der Deutschen Oper, in derselben Saison Siegfried Matthus’ „Desdemona und ihre Schwestern“.

Danach war Schluss. Die allermeisten Komponisten aus dem Ostteil des Landes gehören zu den Verlierern der Wiedervereinigung. Was doppelt bitter für sie ist, denn in dem untergegangenen sozialistischen Staat hatten sie sich ihre künstlerische Eigenständigkeit mühsam gegen den Widerstand der Obrigkeit erkämpfen müssen.

Das Ziel war Weltniveau

Eckhart Kröplin berichtet in seinem Buch „Operntheater in der DDR. Zwischen neuer Ästhetik und politischen Dogmen“ aus der Innensicht: Der gebürtiger Mecklenburger hat sich nach dem Studium der Musikwissenschaft in Leipzig als Kritiker, Dozent, Autor und schließlich als Chefdramaturg der 1985 wiedererstandenen Dresdner Semperoper über Jahrzehnte im ostdeutschen Theatermilieu bewegt.

Und es ist ihm eine spürbare Herzensangelegenheit, die kulturellen Leistungen des kleineren deutschen Staates vor dem drohenden Vergessen zu bewahren.

Im Bereich der Oper hatte die DDR früh jenes Ziel erreicht, das sie für ihre Wirtschaft bis zuletzt vergeblich anstrebte: Weltniveau nämlich.

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Nirgendwo auf dem Globus war das Netz der Bühnen dichter als zwischen Greifswald und Zittau, an den Theatern gab es 50 eigene Musiktheaterensembles, die Zahl der Orchester lag sogar bei 88. Schon in den Fünfzigerjahren, berichtet Kröplin, besuchten bis zu vier Millionen Bürgerinnen und Bürger pro Spielzeit rund 6000 Opernvorstellungen, Operetten sogar noch mehr.

Mangels politischer Anerkennung wollte die DDR-Führung ihren Arbeiter- und Bauernstaat als Kulturnation präsentieren, als ein Land, in dem jedermann ungehinderten Zugang zu Bildung und Erbauung hatte. Die „Aufhebung der Kluft zwischen Kunst und Volk“ war erklärtes Ziel, die Eintrittspreise bewegten sich auf minimalem Niveau, es gab kostenlose Zubringerdienste zu den Stadttheatern auch aus entlegenen Dörfern.

Regisseure wie Felsenstein, Kupfer, Friedrich waren stilprägend

Organisiert wurde der Bühnenbesuch zumeist über die Kulturabteilungen der Volkseigenen Betriebe. Sie brachten die „Anrechte“, also die Abonnements, unters Volk, sorgten notfalls aber auch für den nötigen Gruppendruck.

Stilprägend, und zwar europaweit, waren vor allem die Opernregisseure aus der DDR, allen voran Walter Felsenstein, der Gründer der Komischen Oper und Erfinder des Regietheaters, sowie seine Schüler Götz Friedrich (der allerdings 1972 in den Westen ging), Joachim Herz und Harry Kupfer. In der ästhetischen Tradition von Brechts epischem Theater provozierte und faszinierte die gleichermaßen im Sprech- wie im Musiktheater aktive Regisseurin Ruth Berghaus mit ihren verrätselten, symbolistischen Inszenierungen.

Auch ins kapitalistische Ausland durften die Stars

Gerne ließ der Staat seine Stars auch im kapitalistischen Ausland arbeiten – weil sie von dort dringend benötigte Devisen mitbrachten. Das Gewandhausorchester und die Dresdner Staatskapelle waren international unterwegs, ebenso Dirigenten wie Kurt Masur oder Kurt Sanderling und natürlich die Opernsolisten Peter Schreier, Ludmila Dvorakova, Theo Adam oder auch Anna Tomowa-Sintow.

Schwerer als die ausführenden Interpreten hatten es im DDR-Staat die Schöpfer neuer Musik. Auferstanden aus den Ruinen der NS-Kulturzensur und der Zukunft zugewandt wagten viele Komponisten in der sowjetisch besetzten Zone Neues – doch schon ab 1948 wurde begonnen, mit dem Totschlagargument des „Formalismus“ die Ästhetik des sozialistischen Realismus durchzusetzen.

Im Opernbereich wurden Pauls Dessaus „Lukullus“ und Hanns Eislers „Faustus“ als Beispiele volksferner, dekadenter Avantgarde gebrandmarkt. Bis weit in die sechziger Jahre wurde von staatlicher Seite die Forderung nach einer „neuen Nationaloper“ aufrechterhalten, in der sich die Identität des DDR-Staates manifestieren sollte.

Der Mauerbau schadete der Kultur massiv

Doch trotz vielfältiger Versuche entstand kein neuer „Freischütz“. Was von systemkonformen Komponisten uraufgeführt wurde, beschreibt Kröplin als „gut gemeinte Werke, die von einer aufrechten politischen Gesinnung lebten, aber künstlerisch nicht von herausregender Bedeutung waren“.

Parallel dazu aber entwickelte sich eine „alternative Avantgarde, die sich aus politischer Bevormundung emanzipierte“, wie es der langjährige Konzerthaus-Intendant Frank Schneider formulierte. Die allerdings nur in einer Nische neben der offiziellen Staatskunst existieren konnte.

Mit dem Bau der Mauer 1961 fügte sich die Staatsführung auf dem Gebiet der Kultur einen massiven Schaden zu, vor allem in der Hauptstadt der DDR, weil viele Künstlerinnen und Künstler, die im Westen wohnten, aber im Osten arbeiteten, vom einen auf den anderen Tag fehlten.

Die besten Kräfte wurden nach Berlin beordert

Was zu einem Aderlass in der Provinz führte, weil die besten Kräfte republikweit nach Berlin beordert wurden. Doch auch in den folgenden Jahren standen für die vielen Kulturinstitutionen oft gar nicht genug eigene, in den nationalen Hochschulen ausgebildete Kräfte zur Verfügung, so dass die DDR auf künstlerische Gastarbeiter aus dem sozialistischen Ausland angewiesen war.

Mit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker 1971 scheint zunächst eine Lockerung der staatlichen Bevormundung einherzugehen, ebenso wie ein entspannterer Umgang mit indizierten Werken des bürgerlichen Kulturerbes wie Wagners „Parsifal“.

[Eckart Kröplin: Operntheater in der DDR. Henschel Verlag, Leipzig 2020, 359 Seiten, 28 Euro.]

Doch schon bald kommt es zum „Rückfall in Richtung Dogmatismus“. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 markiert den Moment, in dem sich auch jene, die an die Ideale des Sozialismus glauben, vom Regime abwenden. Mit der Folge, dass sich die Kunst zunehmend ins Ästhetische zurückzog.

Was allerdings nicht ausschloss, dass es in den Inszenierungen Anspielungen auf die real existierenden Verhältnisse gab, in den Texten wie auch auf der optischen Ebene. Das Publikum ließ sich gerne zum Lesen zwischen den Zeilen anregen, entwickelte Spaß daran, die Zweideutigkeiten zu dechiffrieren.

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Denn gerade die letzten Jahre der DDR wurden als „bleierne Zeit“ wahrgenommen, weil sich die Honecker-Regierung angesichts von Öffnungstendenzen in Polen (mit der Solidarnosc-Bewegung) oder in der Sowjetunion (mit Michail Gorbatschows Glasnost-Politik) immer mehr in ihrem Dogmatismus verpanzerte, dem eigenen Volk misstraute.

Nach der Wende fehlte den Künstlerinnen die Reibungsfläche

Nach dem Zusammenbruch des Systems aber fehlte den Künstlerinnen und Künstlern dann wiederum die gewohnte Reibungsfläche. Der Gegner war erledigt, es übernahm der Kapitalismus, mit dem Effekt, dass sich die Theater leerten, weil neue Freizeitvergnügungen lockten. Mit Udo Zimmermann und Siegfried Matthus gelang es jedoch zwei Komponisten, auch in der Bundesrepublik ihre Karrieren weiterzuführen, dem einen als Intendant in Leipzig und an der Deutschen Oper Berlin, dem anderen als Gründer und Leiter der Kammeroper Schloss Rheinsberg.

Der Wende zum Opfer fiel hingegen Gerhard Rosenfelds Musiktheaterprojekt „Friedrich und Montezuma“, das die Staatsoper zwar bei dem Komponisten bestellt hatte, 1990 aber nicht mehr herausbringen wollte. Georg Katzer konnte aber die Uraufführung seiner „Antigone“ noch 1991 an der Komischen Oper erleben.

Eine neuer Blick ins DDR-Musiktheater lohnt

Wie lohnend ein erneuter Blick auf Oper aus der DDR sein kann, bewies vor zwei Jahren das Nationaltheater Weimar mit Paul Dessaus „Lanzelot“. Inspiriert von einem modernen Märchenspiel des sowjetischen Autors Jewgeni Schwarz entwickelte der Komponist zusammen mit Heiner Müller ein Libretto, das den Titelhelden als Verteidiger der Menschlichkeit zeigt, während der Drache, gegen den er kämpft, ein totalitäres Regime symbolisiert.

„Im Prozess der Entwicklung des Theaters vom Laboratorium zum Instrument sozialer Fantasie kommt der Oper eine führende Rolle zu“, schrieb Müller damals. Die Uraufführung hatte 1969 übrigens an der Berliner Lindenoper stattgefunden.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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