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Musikalischer Trost in Zeiten der Pandemie : Glaube, Triebe, Hoffnung

Der kanadische Starproduzent Daniel Lanois veröffentlicht mit „Heavy Sun“ ein betörend schönes Gospel-Album.

Musikalischer Trost in Zeiten der Pandemie : Glaube, Triebe, Hoffnung

Spirituell erweckt. Daniel Lanois stammt aus einer katholischen Familie.Foto: Marthe Amanda Vannebo

Das Leben gleicht einer Pilgerreise und am Ende des Wegs wartet das Paradies. „I’m looking for a city / On the other side / And when I get there I’ll be satisfied“, jubiliert eine Stimme, die im höchsten Falsett gen Himmel strebt. Warm brummt dazu eine Hammondorgel, sparsam glitzern helle Akustikgitarrentöne und der Bass zuckelt im allerlangsamsten Marschrhythmus.

Mit der „Stadt auf der anderen Seite“ ist das Himmlische Jerusalem gemeint, in dem die Gläubigen am Ende aller Tage einziehen werden. Gier und Hass existieren in dieser Jenseits-Utopie nicht mehr, „that’s what I been told“, versichert der Sänger. „Way Down“ heißt der Song, der eine biblische Verheißung aufgreift, an die schon Martin Luther King anknüpfte: „We are free at last.“ Am Ende werden wir frei sein.

Dass ausgerechnet Lanois ein Gospel-Album veröffentlicht, überrascht

Was der Welt in diesen Zeiten der Pandemie fehlt, sind Trost und Zuversicht. Traditionell zuständig für musikalische Erbauung ist ein Genre, das die frohe Botschaft bereits im Namen trägt: Gospel, im Englischen auch die Bezeichnung für das Evangelium. Genau genommen handelt es sich dabei um die meist mit vokaler Wucht und Inbrunst vorgetragene Kirchenmusik der afroamerikanischen Gemeinden vor allem der Südstaaten. Dass nun ausgerechnet Daniel Lanois mit „Heavy Sun“ ein Gospel-Album veröffentlicht, wirkt überraschend. Als gottesfürchtiger Mann war der weiße kanadische Songwriter bislang nicht aufgefallen.

Lanois, der im September seinen 70. Geburtstag feiert, ist vor allem als Produzent bekannt geworden. Das Musikmagazin „Rolling Stone“ nennt ihn „einen der unverkennbaren Klangarchitekten der Rockmusik“, er hat mit Peter Gabriel, U2 und Neil Young gearbeitet und zwei der besten Alben des mittleren bis späten Bob Dylan produziert, „Oh Mercy“ und „Time Out of Mind“. Der siebenfache Grammy-Gewinner, der auch ein Meister der Pedal-Steel-Gitarre ist, teilt das Schicksal vieler so genannter Starproduzenten.

Aus dem Schatten der Auftragsarbeiten trat er bisher nicht heraus

Seit 1989 veröffentlicht Daniel Lanois eigene, eher ruhige Platten, die allerdings nie aus dem im Schatten der Auftragsarbeiten heraustreten konnten. Kommerziell am erfolgreichsten waren Soundtracks, die er für Filme wie „Sling Blade“, „Dune“ und „Lost in Mississippi“ oder zuletzt für das Western-Computerspiel „Red Dead Redemption 2“ komponierte.

Mit den elf Songs von „Heavy Sun“, die im März 2020, zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns, in Los Angeles und Toronto eingespielt wurden, erfüllt sich Lanois einen Herzenswunsch. Gospelmusik hat ihn geprägt, seitdem der in der Provinz Quebec aufgewachsene Sohn einer katholischen Familie Ministrant war und im Kirchenchor sang.

Mit seinem Bruder nahm er am Beginn seiner Karriere Platten mit christlichen Bands und Gesangsgruppen auf, die durch Kanada tourten. „Ich war immer sehr berührt von der Struktur dieser Musik“, sagte er nun in einem Interview. Heute sei er allerdings nicht mehr sehr religiös, auch wenn sich in dem Musikstudio, das er in Toronto betreibt, früher ein buddhistisches Kloster befand.

Lanois beschwört die Freuden des Singens, Tanzens und Liebens

In den besten Momenten von „Heavy Sun“ scheint es tatsächlich, als sei der Heilige Geist mitten hineingefahren in die Seelen von Daniel Lanois und seinen Mitstreitern, dem Organisten Johnny Shepherd, dem Gitarristen Rocco DeLuca und dem Bassisten Jim Wilson. Im Eröffnungsstück „Dance On“, das dem Soulstar Isaac Hayes huldigt, beschwören sie mit sich euphorisch hochschraubenden Call-and-Response-Gesängen die Freuden des Singens, Tanzens und Liebens. In lodernden Versen geht es um das Entflammtsein nicht bloß im spirituellen Sinn, die Schlussbotschaft lautet: „Don’t let nobody steal your joy from you.“ Lass dir die Freude niemals stehlen, denn sie kommt von Gott.

Die Arrangements setzen ganz auf die Kraft der mehrstimmigen Harmoniegesänge und der Hammondorgel, seit jeher das Leitinstrument ärmerer Kirchengemeinden, die sich keine richtige Pfeifenorgel leisten konnten. Lanois hatte Johnny Shepherd in der afroamerikanischen Zion Baptist von Shreveport kennengelernt, einer 200 000-Einwohner-Stadt in Louisiana, wo der Organist auch als Chorleiter fungierte. „In dieser Welt wird wirklich sehr, sehr lautstark mitgesungen“, versichert Lanois.

Es scheint, als wolle Lanois Tradition mit neuer Technik mischen

Wenn Produzenten eigene Alben aufnehmen, droht eine Gefahr: Sie wollen ihren Songs gerne einen besonderen Spin, einen eigenen, unerhörten Sound mitgeben. Davor ist auch Lanois nicht gefeit, wenn er auf „Heavy Sun“ immer wieder mit seltsam zischelnden und pluckernden Samples arbeitet, die an den ungut gealterten Electropop der neunziger Jahre erinnern. Er wolle, sagt Lanois, „Tradition mit neuer Technik mischen“.

Das ruckelnde Intro der Selbstermächtigungshymne „Power“ klingt, als sei es durch einen Klang-Schredder gejagt worden. Mit Zeilen wie „Why can’t we be together? / People got the power“ versucht der Song an den Socially Conscious Soul von Curtis Mayfield und Stevie Wonder anzuknüpfen, versackt aber im Epigonentum.

[„Heavy Sun“ von Daniel Lanois ist bei eOne/SPV erschienen]

Eine politische Dimension besaß Gospel schon immer, in den sechziger Jahren war es die Begleitmusik zu den Demonstrationen der Bürgerrechtsbewegung. Wenn Martin Luther King damals wegen Morddrohungen nicht einschlafen konnte, ließ er sich von Aretha Franklin „Amazing Grace“ am Telefon vorsingen.

Gospel spendet Trost, immer noch. Daniel Lanois glaubt, dass sein Album in der Coronakrise genau zum richtigen Zeitpunkt herauskommt. Vielleicht, so hofft er, könne es „als Mittel gegen Isolation und Einsamkeit“ dienen.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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