Dnachrichten.de
Berlin news - Die offizielle Website der Stadt Berlin. Interessante Informationen für alle Berlinerinnen, Berliner und Touristen.

„Mildes Protestmittel“ oder „völlig inakzeptabel“? : Autobahnblockaden entzweien Berliner Koalition

Die Sitzblockaden der Klimaaktivisten sorgen nicht nur auf der Straße für Ärger. Während Grüne und Linke Verständnis haben, lehnt die SPD sie ab.

„Mildes Protestmittel“ oder „völlig inakzeptabel“? : Autobahnblockaden entzweien Berliner Koalition

Seit Wochen blockieren Klimaaktivisten immer wieder Straßen und die Autobahn in Berlin. Nun debattierte das Abgeordnetenhaus…Foto: imago/Florian Gaertner/photothek.de

Nach der Debatte “Linke Straßenblockaden brechen, Täter bestrafen” auf AfD-Antrag hätte man am Donnerstag im Berliner Abgeordnetenhaus schon auf die Idee kommen können, dass Iris Spranger die beste Rednerin der Opposition gewesen sei. Bei der Rede der SPD-Innensenatorin, die diese Aktionen auf Autobahnen als “völlig inakzeptabel” bezeichnete, applaudierten überwiegend CDU, FDP und AfD.

Zustimmung bei den Grünen und Linken dagegen? Fehlanzeige. Die meisten Abgeordneten der beiden Fraktionen saßen mit versteinerten Gesichtern dar. Die drei Oppositionsfraktionen dagegen kritisierten die Blockaden in der Parlamentsdebatte massiv.

Grünen-Innenpolitiker Vasili Franco sagte, er sei froh, dass die Anti-Akw-Aktivist:innen von früher “nicht locker gelassen” hätten – trotz der Kriminalisierung zu Beginn der Bewegung. Aktivisten, die mit den Blockaden auf Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen, sollten nicht pauschal kriminalisiert werden. Das sei eine heterogene Gruppe.

Die Beurteilung der Aktionen sei “eine Frage der Legalität und Legitimität”. Zur Legalität sagte Franco, Autobahnen seien keine rechtsfreien Räume. Das Versammlungsrecht aber schließe Autobahnen per se nicht als Demonstrationsort aus. “Es wäre doch eine Farce, wenn man nur dann demonstrieren dürfte, wenn es keinen stört oder es niemand mitbekommt”, sagte Franco.

Er wandte sich entschieden gegen Aktionen von Autofahrern, die versuchten, die Aktivisten von der Straße zu bringen. Polizeiliche Maßnahmen oblägen nicht wütenden Autofahrern, sondern ausschließlich der Polizei. Und über Strafen würden immer noch Gerichte entscheiden.

Grüne warnen vor pauschaler Kriminalisierung

Zur Legitimität der Blockaden fragte er: “Ist eine Autobahnblockade illegitim? So einfach ist es eben nicht. Das lässt sich nicht einfach gegeneinander aufwiegen”, sagte Franco mit Blick auf die verärgerten Betroffenen. Aber er halte zivilen Ungehorsam “zunächst für ein legitimes Mittel”. Dieser müsse friedlich sein und dürfe keine Menschenleben gefährden.

Politischer Protest sei “selbstverständlicher Bestandteil einer gesunden Demokratie. Das muss und kann man aushalten”. Er kritisierte eine pauschale und undifferenzierte Kriminalisierung der Aktivisten und forderte die Entkriminalisierung des Containerns.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Für Linken-Politiker Ferat Kocak ist „Klimaaktivismus kein Verbrechen“. Es sei keine Bagatelle, weswegen die Autobahn blockiert würde. 500.000 Tonnen Lebensmittel würden jedes Jahr in deutschen Supermärkten weggeworfen.

“Kapitalistische Lebensmittelproduktion heißt nicht, sich am tatsächlichen Bedarf der Bevölkerung zu orientieren, sondern billig zu überproduzieren.” Das sei für die Klimakrise mitverantwortlich. Nur säßen die Konzernchefs nicht in Gewahrsam, sondern die Aktivistinnen. Die Klimakrise müsse konsequent bekämpft werden.

Linke: Blockade ist mildes Protestmittel

Protest müsse manchmal provokant sein, sonst würde er wirkungslos bleiben. Angesichts der Klimakatastrophe “erscheint die Blockade von Autobahnauffahrten noch als mildes Protestmittel”. Antifaschismus sei die Grundlage unseres Zusammenlebens. Das gehöre in die Verfassung. „Wir brauchen die Proteste gegen ein Wirtschaftssystem, das die Lebensgrundlage der Menschheit zerstört”. Die Klimakrise lasse sich nicht wegsperren.

Deutlich moderatere Töne kamen von den Sozialdemokraten: SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber kritisierte die Blockaden als “gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr”. Die Aktivisten würden sich und andere damit gefährden. „Das ist unverhältnismäßig, diese Protestform auf den Straßen Berlins durchzusetzen.“

Um Nachahmungstaten zu unterbinden, müsse es beschleunigte Verfahren geben. „Die Strafe muss auf den Fuß folgen.“ Recht dürfe nicht gebrochen werden. „Diejenigen, die blockieren, sollten lieber Sorge dafür tragen, mit den Verantwortlichen ins Gespräch zu kommen.“ Schreiber nannte die Bundesebene und auch das Abgeordnetenhaus.

Innensenatorin Spranger: „Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel“

Innensenatorin Iris Spranger erklärte, die Form des Protestes sei ein schwerer Eingriff in den Straßenverkehr und damit ein Straftatbestand. Leib und Leben würden damit gefährdet. „Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel.“ Die Blockaden seien nicht hinnehmbar. 

Das Grundgesetz messe der Versammlungsfreiheit zurecht ein besonderes Gewicht bei. „Es ist gut, dass dieses Haus ein modernes Versammlungsfreiheitsgesetz beschlossen hat.“ Aber in einer Demokratie müssten sich alle an die Regeln halten. „Niemand steht über dem Gesetz, und sei das Anliegen noch so wichtig.“ Auch diejenigen, die für den Klimaschutz kämpfen, müssen sich an Recht und Gesetz halten. Sie gefährden sich selbst. Die Aktionen würden nur kurz vorher angemeldet. „Nein, das waren keine spontanen Aktionen.“

„Mildes Protestmittel“ oder „völlig inakzeptabel“? : Autobahnblockaden entzweien Berliner Koalition

Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) nannte die Autobahnblockaden “völlig inakzeptabel”.Foto: imago images/Emmanuele Contini

Es handele sich um Straftaten wie gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Wer sich an die Fahrbahn anklebe, mache deutlich, dass es geht ihm nicht um friedlichen Protest gehe.

Spranger forderte Autofahrer auf, nicht gegen die Aktivisten vorzugehen. Das sei auch nicht akzeptabel. „Überlassen Sie das Einschreiten der Polizei.“ Diese sollten die Polizei als Zeugen unterstützen. Das sei alleinige Aufgabe der Polizei, der das immer gelungen sei. In vielen Fällen habe die Polizei auch Personalien festgestellt. Es werde wohl zu weiteren Protesten kommen. Darauf sei die Polizei vorbereitet, die auch gezielt Gefährderansprachen organisiere. Auch über Kostenübernahmen bei den Einsätzen werde derzeit diskutiert.

Spranger erhielt während ihrer Rede regelmäßig Applaus von Seiten der Opposition, während sich Grüne und Linke nicht regten.

Massive Kritik von der Opposition

AfD-Rechtspolitiker Marc Vallendar sagte, seit Wochen werde “ganz Berlin von einer kleinen radikalisierten und fanatischen Weltuntergangssekte in Geiselhaft genommen”. Das seien keine Aktivisten, sondern “Extremisten”. Sie würden in Kauf nehmen, dass Rettungsfahrzeuge nicht rechtzeitig ihren Einsatzort erreichen würden. Teile der Politik würden diese Gruppen salonfähig machen wie zum Beispiel Grünen-Parteichefin Ricarda Lang, die Verständnis für diese Aktionen gezeigt habe, solange niemand verletzt werde. Erpressung und Nötigung, um politische Ziele zu erreichen, schienen dementsprechend offenbar “okay” zu sein.

„Mildes Protestmittel“ oder „völlig inakzeptabel“? : Autobahnblockaden entzweien Berliner Koalition

Der AfD-Politiker Marc Vallendar.Doto: Wolfgang Kumm/dpa

29 Blockadeaktionen habe es bis zum 8. Februar gegeben. 228 Verfahren seien eingeleitet worden. Das seien “keine Kavalierdelikte, sondern Straftaten”. Die Polizei versuche mit dem Mittel des Anschlussgewahrsams Herr zu werden. Aber eine dauerhafte Lösung sei das nicht. Auch Straftaten seien nachts begangen worden, Reifen von Autos seien heute Nacht im Grunewald zerstochen worden – mit laut Vallendar Bekennerschreiben von Klimaaktivisten. Die Stadt werde „terrorisiert“.

Vallendar forderte ein schnelles Handeln der Strafermittlungsbehörden. Die Strafe müsse analog zum Neuköllner Modell “schnell und auf dem Fuße folgen”. Auch Autofahrer sollten Strafanzeigen stellen. Es würden Straftaten begangen, um Politik und Parlament zu erpressen. “Das dürfen wir nicht zulassen.” Er forderte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auf, einen Weg zu finden, um diese “Erpressungssituation” zu unterbinden.

CDU fordert Meldeauflagen für Aktivisten

Der CDU-Abgeordnete Frank Balzer betonte, dass die Blockaden keine spontanen Aktionen seien, sondern minutiös geplant. Es sei nicht akzeptabel, wenn Tausende von Berlinern jeden Tag “in Geiselhaft” genommen würden. Das sei ein “massiver Eingriff in das Leben unserer Stadt”.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt’s nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Bis zu 180.000 Fahrzeuge würden pro Tag die A 100 befahren. Der wirtschaftliche Schaden für einzelne, die in ihrer Berufsausübung behindert werden, sei nicht bezifferbar. “Nicht angezeigte Straßenblockaden muss die Polizei unverzüglich beenden.” Alle Straftaten wie auch die Behinderung von Rettungskräften müssten angezeigt werden.

Einige “Rädelsführer” der Demonstranten seien bekannt. “Das sind Gefährder, die angesprochen werden müssen.” In Berlin dürfe sehr wohl demonstriert werden, aber nach den Regeln des Versammlungsfreiheitsgesetzes. Balzer forderte Maßnahmen wie Meldeauflagen oder die vorbeugende Ingewahrsamnahme von Aktivisten.

FDP fordert Koalition um Handeln auf

FDP-Innenpolitiker Björn Jotzo sagte, mehr als eine Million Bürger:innen seien von den Blockaden betroffen gewesen. Dieses Verhalten fortzusetzen, bis sich die Politik den ultimativen Forderungen beuge, missbrauche das Versammlungsrecht.

Jotzo sagte, die Koalition spreche nicht mit einer Stimme. Die Grünen zeigten auf allen Ebenen Verständnis. Jotzo griff die Worte des Abgeordneten Vasili Franco auf: „Ein illegales Verhalten ist noch längst nicht legitim.“ Die Grünen hätten ein ambivalentes Verhältnis zum Rechtsstaat, wenn sie als Mitglied einer Landesregierung Verständnis für zivilen Ungehorsam gegenüber ihren eigenen Gesetzen hätten – gemeint ist das Versammlungsfreiheitsgesetz. Die Grünen müssten ihr Verhältnis zum Rechtsstaat klären.

Die Regierende Bürgermeisterin Giffey habe die Blockaden als nicht hinnehmbar bezeichnet. Das sei richtig. “Wo aber sind Strategie und Taktik, um diese Aktionen zu unterbinden? Wer hat in der Koalition den Hut auf? Die Berliner haben die Schnauze gestrichen voll”, sagte der FDP-Politiker. Giffey müsse deutlich machen, dass ultimative Forderungen kein Weg seien, um irgendetwas zu erreichen. Als Legislative dürfe man nicht nachgeben. Niemand anderes als die Landesregierung sei dafür verantwortlich. „Machen Sie endlich ihren Job.“

Der neue Morgenlage-Newsletter: Jetzt gratis anmelden!

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.

This website uses cookies to improve your experience. We'll assume you're ok with this, but you can opt-out if you wish. Accept Read More

Privacy & Cookies Policy