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Medien-Podcast „Hallo, du bist ausländischer Agent“ : „Plötzlich stand ich selbst auf der Liste“

Ein Leben als „ausländischer Agent“. In ihrem Podcast sprechen Olga Tschurakowa und Sonya Groysman über Zensur in Russland.

Medien-Podcast „Hallo, du bist ausländischer Agent“ : „Plötzlich stand ich selbst auf der Liste“

Haben Russland verlassen, weil es dort für Journalisten zu gefährlich wurde, die Wahrheit zu sagen. Olga Tschurakowa (l.) und…Foto: Tima Baldin

Als das russische Justizministerium eine Liste mit neuen „ausländischen Agenten“ veröffentlicht hatte, schrieb Olga Tschurakowa in einem Moskauer Café an einem Artikel. „Es war ein ganz normaler Arbeitstag“, erinnert sich die 33-jährige Journalistin. Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion leiteten die Agentur-Meldung mit der Neuigkeit an das Team weiter. „Ich wollte nachsehen, wen es dieses Mal erwischt hatte. Also rief ich die Webseite des Ministeriums auf und stand plötzlich selbst auf der Liste“, sagt Tschurakowa.

Seitdem ist rund ein Jahr vergangen. In dieser Zeit hat sich Tschurakowas Leben komplett auf den Kopf gestellt. Ihre Karriere, ihr Alltag – nichts ist mehr so, wie es war. „Ich habe meinen Job verloren und einen neuen angefangen, ich habe Russland verlassen, obwohl ich das ursprünglich nicht wollte“, sagt sie. Ihre Geschichte erzählt sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Sonya Groysman im russischsprachigen Medien-Podcast „Hallo, du bist ausländischer Agent“.

[Der Podcast kann unter anderem bei Spotify oder Apple abgerufen werden]

Das sogenannte Agenten-Gesetz gilt seit 2017 neben anderen Vorgaben auch für Medien. Es dient der russischen Regierung als Druckmittel, um kritische Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen. Den Status „ausländischer Agent“ können Organisationen, Medien und Einzelpersonen erhalten, wenn sie aus dem Ausland unterstützt werden oder unter „ausländischem Einfluss“ stehen. Was damit konkret gemeint ist, bleibt Auslegungssache.

Der Gesetzestext ist uneindeutig formuliert und wird selektiv angewendet.
Betroffene Journalistinnen und Journalisten sind gezwungen, ihre Finanzquellen und Ausgaben offenzulegen. Artikel, Social-Media-Posts, Videos und alle anderen Medienerzeugnisse müssen mit dem Hinweis versehen werden, wonach sie von einer ausländischen Rechtsperson in Auftrag gegeben wurden. Noch mehr als diese Schikane schmerzt viele Medienschaffende die Stigmatisierung innerhalb der Gesellschaft.

Als “ausländischer Agent” stigmatisiert

„Nachdem ich den Status ‚ausländischer Agent‘ erhalten hatte, fühlte es sich so an, als ob meine ganze Welt zusammenbrechen würde“, sagt Groysman. Sie hat sich zusammen mit Tschurakowa an einem Montagmorgen zu einem Video-Interview mit dem Tagesspiegel verabredet. Während ihre Kollegin in ihren Flitterwochen am Meer ist, befindet sich die 28-jährige Groysman in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Beide haben in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn Russland verlassen. „Alles, was vor dem 24. Februar passiert ist, fühlt sich so an, als ob es in einem anderen Leben passiert ist“, sagt Tschurakowa.

Zeitgleich mit ihrer und Groysmans Stigmatisierung als „ausländische Agenten“ gab das russische Justizministerium bekannt, dass ihr damaliger Arbeitgeber, die investigative Online-Plattform „Proekt“, zur „unerwünschten Organisation“ erklärt wurde. Das Medium musste in der Folge schließen und die beiden Journalistinnen verloren ihre Jobs.

Zwar gab es hier und da mal unterstützende Worte von Kolleginnen und Kollegen. „Doch weil damals nur wenige Einzelpersonen den Agenten-Status hatten, wussten viele Menschen nicht, welche Konsequenzen all das wirklich haben würde“, sagt Groysman. So kamen sie auf die Idee, ihren Podcast zu starten – um über ihr Leben und Arbeiten als „ausländische Agenten“ zu sprechen.

Kritische Berichterstattung ist so gut wie unmöglich

Auch laden die Podcasterinnen andere Medienschaffende zum Interview ein, um mit ihnen über ihre Erfahrungen mit Zensur und den russischsprachigen Journalismus zu reden. Ein Gimmick, das sich die beiden ausgedacht haben: Zu Beginn jeder Folge verliest der jeweilige Gast den 24-Wörter-langen Hinweis, dass es sich bei der Publikation um das Erzeugnis eines „ausländischen Agenten“ handelt.

So sind mittlerweile zwei Staffeln und 22 Folgen entstanden – Geschichten über Proteste in der Moskauer Innenstadt gegen Zensur, Erzählungen vom Umzug ins Ausland.

Weil es seit dem 4. März verboten ist, die Handlungen der russischen Armee in der Ukraine als „Krieg“, „Invasion“ oder „Angriff“ zu bezeichnen, ist kritische Berichterstattung in Russland so gut wie unmöglich geworden. Medien wie „Echo Moskwy“ und die „Nowaja Gaseta“ wurden geschlossen oder haben selbst entschieden, nicht mehr zu erscheinen.

„Als klar war, dass es für Journalistinnen und Journalisten in Russland gefährlich wird, entschieden wir uns dazu, das Land zu verlassen“, sagt Tschurakowa. Ebenso wie ihre Kollegin bestreitet sie seitdem als Journalistin ihren Lebensunterhalt im Ausland. Beide arbeiten neben dem Podcast für unabhängige Medien im Exil. Für Groysman steht noch in diesem Monat der Umzug nach Litauen bevor.

In Riga wird sie als Reporterin für den russischen Fernsehkanal „Doschd“ arbeiten, der demnächst wieder auf Sendung geht.
„Denn so schrecklich es auch klingen mag: Seit Kriegsbeginn erleben die unabhängigen russischen Medien eine Renaissance“, sagt Tschurakowa. Die Journalistinnen und Journalisten würden mit Blick auf die Kriegsberichterstattung eine großartige Arbeit leisten. Und es entständen trotz Zensur neue Medienprojekte, wenngleich sie nur einen kleinen Teil der russischen Bevölkerung erreichen. Man dürfe sich nichts vormachen, sagt Groysman: „Die Regierung ist gut darin, den Menschen im Land den Zugang zu freien Informationen zu verweigern.“ Gerade hier hätten sie und Tschurakowa mit ihrem Podcast einen Vorteil.

„Weil Podcasts in Russland keinen all zu großen Stellenwert haben, sind unsere Aufnahmen für die Menschen im Land noch frei zugänglich“, sagt Groysman. „Hallo, du bist ausländischer Agent“ ist auf allen gängigen Streaming-Plattformen vertreten, während reichweitenstarke Medien nur noch diejenigen konsumieren können, die einen VPN-Zugang haben.

Das trifft meist auf die junge und städtische Bevölkerung zu, doch es gibt Ausnahmen: „Letztens schrieb uns eine Hörerin, dass sie in einem kleinen Dorf in der Provinz lebt und uns hört“, sagt Groysman. „Sie meinte, dass ihr der Podcast hilft, um sich nicht alleine zu fühlen zwischen allen, die der Propaganda glauben und nicht Teil der Anti-Kriegsbewegung sind.“

Solches Feedback bestärkt die Journalistinnen darin, mit ihrem Podcast weiterzumachen. Am 8. August soll es deshalb mit der dritten Staffel weitergehen. „Ebenso wie Wladimir Putin lieben wir historische Daten und Ziffern“, scherzt Groysman. An eben diesem Tag vor einem Jahr veröffentlichten sie und Tschurakowa die erste Folge ihres Podcasts. Und nahmen ihr Publikum mit in die Welt des russischen Journalismus.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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