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Markus Lüpertz inszeniert Puccini : Alles ist gemalt

Der Malerfürst Markus Lüpertz inszeniert Puccini am Staatstheater Meiningen. Auch Bühnenbild und Kostüm stammen von ihm. E in orgiastisches Beziehungschaos.

Markus Lüpertz inszeniert Puccini : Alles ist gemalt

Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern gewarnt haben. Ensembleszene aus Lüpertz „Bohème“.Foto: Xiomara Bender

Wieder am 19. und 25. Dezember und 6., 14., 23. Januar.

Noch einmal den Sopran oder den Tenor begutachten, die Tempi der Hofkapelle loben, das Regietheater durchdeklinieren, die historische Gebundenheit des Librettos ins Visier, das Bühnenbild und die Kostüme unter die Lupe nehmen? Nein! Die Bildermacht von Markus Lüpertz in Meiningen fordert ein Anderes. Puccinis „La Bohème“ aus dem Jahre 1896 nach den Szenen „Aus dem Leben der Bohème“ von Henri Murger von 1850 erfährt durch Markus Lüpertz 2021 eine malerische Apotheose.

Das Sein als Bohème ist eine anthropologische Konstante, ihre Existenz mithin immergültig. Die Lebensart der sich um sich selbst drehenden Träumer, die sich bei der Sternwarte beschweren, wenn sie zu früh von der Sonne geweckt werden, die für Bürgerlichkeit und ihre Anpassungsgebote nur ein Lächeln übrig haben, sie ist schlechterdings zeitlos. Nerds, die digitalen Bohemiens, sprießen heute aus jeder Garage.

Doch wer Markus Lüpertz kennt, weiß, dass er nicht auf solch’ platte Analogien zur Gegenwart setzt, sondern auf geistvolle Einbringungen. Alles, was kommt, war schon einmal und ist auch gerade jetzt. Allein welches Bild man diesem gibt, hängt von den Künstlern ab. Denn, so Lüpertz in einem Gespräch mit dem Philosophen Heinrich Heil: „Künstler haben Gott erschaffen, um von ihm, ihrer eigenen Kreation, den Auftrag zu erhalten, die Welt zu offenbaren.“

Avantgardisten sind ausgeschlossen

So bleibt in Meiningen der Sopranistin Denis Yetim eine das Sentiment rührende Mimi, die als Kleinbürgerliche das Leben der Bohème sexy findet, aber stimmstark an deren Regeln der verschworenen Unverbindlichkeit scheitert. So bleibt Alex Kim der bühnengefeierte Rudolphe mit Carusoallüren, der nicht weiß, ob er exzessiv die Freiheit liebt oder doch eher die unfrei machende Liebe, die ihn angesichts von Mimis Dahinsiechen in die Knie zwingt. So huldigt Monika Reinhard als verführungssüchtige Musetta der heiligen Cecilia.

Und so wird von Markus Lüpertz burlesk das Leben der Bohème offen wie bei Puccini und Murger als ein labyrinthisch- orgiastisches Beziehungschaos geschildert und Leidenschaft als Zustand, der unzweideutig auch Leiden schafft. Die Welt dreht sich halt kontinuierlich immer nur um neue Lieben. Oder wie Markus Lüpertz es formuliert: „Es gibt keine neue Kunst, wohl aber immer wieder neue Künstler!“

Die Bohème lebt diese Weisheit und mit ihr als Laster ewiglich. Avantgardisten sind ausgeschlossen, solche, die glauben, neue Wege weisen zu dürfen und fataler scheitern als Bohemiens nur scheitern können. Man denke an die futuristischen und kriegstrunkenen, später faschistischen und stalinistischen Folgen avantgardistischer Künstleranbiederung. Die Bohème tritt dem entgegen nicht führend vor die Masse, sondern entschwindet individualistisch.

Die Macht des Gesamtkünstlers

Gegen die Avantgarde malt und polemisiert Markus Lüpertz seit eh und je an. In Meiningen wird diese Attitüde zur Vermächtnisform, um Harald Szeemanns berühmten Ausstellungstitel („When Attitudes Become Form“) zu paraphrasieren. Während in der bildenden Kunst die Ausstellungen sich performativ zum Theater neigen und so Museen zu Aufführungsorten umgewandelt werden, verwandelt Lüpertz die ganze Staatstheaterbühne zum Bild.

Alles ist gemalt – Kulissen, Kostüme, Accessoires. Während der zeitgenössische Kunstbetrieb politische Statements als künstlerische Notwendigkeiten einfordert und den Betrachter gedanklich immer aus dem Theater drängt, malt er „nur“, schafft aber eine Atmosphäre, die stärker wirkt als jeder Appell. Die Besucher werden eingesponnen in die Bühnenwelt. Frenetischer Beifall, enthusiasmierte Bravi und basstönendes Fußgetrommel füllen zu den Vorhängen den Theatersaal aus dem Jahre 1831. In Thüringen wird durch den Intendanten Jens Neundorff von Ensberg ein neues Kapitel im Zusammenwirken der Künste und ihrer Künstler aufgeschlagen. Zwar hat es fraglos Konjunktur, Museumsstars für das Theater als Ausstatter oder Dekorateure zu gewinnen. Ob in Bayreuth, Salzburg, Glyndebourne oder in Paris, überall werden die Programmhefte angereichert aus den Künstlercharts. Doch Meiningen geht einen gewaltigen Schritt weiter.

Auch wenn Lüpertz noch nicht wie Richard Wagner auf dem Hügel in Bayreuth die Architektur von Theater und Orchestergraben zu entwerfen überantwortet wurde, so wagte man doch, ihm die Macht des Gesamtkünstlers zu geben. Er führt Regie, lässt die Sängerinnen und Sänger sich ihrer Façon gemäß stellen und bewegen, malte die Vorhänge, malte die Bühne, malte jedes Kostüm, malt immer neue Bilder und erweitert das Fin de Siècle-Libretto Giuseppe Giacosas und Luigi Illicas durch eigene Gedichte, die er vor den Akten rezitiert.

Angestammter Volksoperncharakter

Das Grandiose der Meininger „La Bohème“ ist nicht die Summe aus Intendanz, Solisten, Dramaturgie, dem von Philippe Bach dirigierten Orchester, Bühnenbild und Kostümen, sondern das brillante Auf-die-Bühne-Bringen all dessen als Einheit unter der Regie des einschlägig motivierten Markus Lüpertz, der wie kaum ein Zweiter weiß, wie die Bohème lebt. Das Ganze bekommt so den angestammten Volksoperncharakter zurück. Im Zentrum steht dabei immer der Mensch – seine Leidenschaften zwischen Sehnsucht, Verlangen, Träumen, Scheitern und Erfolg.

Marcel, der Maler, der dem moralisch liederlichen Vermieter den Mietzins verwehrt, und der neue Intendant haben mithin abgewandelt unter dem Horizont der political correctness recht: Puccinis „La Bohème“ kann authentisch nur ein Bohemien inszenieren.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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