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Machtinstrument Twitter : Donald „Tweet“ Trump

Wenn soziale Medien asozial werden: Die Macht der Digitalkonzerne ist unkontrolliert.

Machtinstrument Twitter : Donald „Tweet“ Trump

Dauerfeuer. Allein 2020 hat US-Präsident Trump mehr als 12 000 Tweets über Twitter abgesetzt. Damit zog er eine ungeheure…Foto: AFP

Ein Gespinst zieht sich um den Globus, ein unsichtbares. Es umspannt sämtliche Kontinente und besteht aus Millionen Netzwerken. Über diese werden Botschaften verschickt, Milliarden von Tweets, Posts, Chats, Memes. Sie surren durch Glasfaserkabel und durch den Äther, und sie produzieren Echtzeit-Kommunikation in virtuellen Räumen.

Für Donald Trump waren das seine Arbeitszimmer. Pressekonferenzen scheute der scheidende US-Präsident, bei Kabinettssitzungen soll er unaufmerksam oder aufbrausend gewesen sein. Er betrieb Amtsgeschäfte am liebsten über Tweets, und seine Twittergewitter bestimmten das politische Wetter. Der Account „@realDonaldTrump“, soll rund 89 Millionen Follower haben, das Konto war sein Megaphon, sein Mikrophon, seine digitale Trommel. Er konnte damit Zorn schüren, Zweifel säen, Börsen beeinflussen, Lügen, Hass, Verschwörungsfantasien verbreiten, morgens, nachts, beim Fernsehen, beim Essen. Im Juli 2017 hatte er Kritikern seiner Praxis zugetwittert: „My use of social media is not Presidential – it’s MODERN DAY PRESIDENTIAL.“ Allein 2020 hatte Trump bis Dezember 12 200 Tweets abgesetzt. Mikro-Blogging war zentral im Machtarsenal von Donald „Tweet“ Trump.

Twitter drohte dem Präsidenten

Als Trump am Mittwoch, dem 6. Januar, einer entfesselten Menschenmasse seine „Liebe“ erklärte, Leuten, die gerade als Mob das Kapital gestürmt hatten, drohte der Konzern Twitter dem Präsidenten. Man werde sein Konto sperren, sollte er seine aktuellen Hetzreden nicht löschen – vielleicht hatte die Betreiber reale Angst vor möglicher Mitschuld am Landesverrat gepackt, vielleicht war auch ihr Gewissen erwacht, nach vier Jahren des Zusehens. Das Unglaubliche geschah: Der Kurznachrichtendienst zog den Stecker und ließ Donald „Tweet“ Trump verstummen. Es wird schockierend gewesen sein für den Mann, den der Verlust seines Kanals schlimmer ankommen dürfte, als der seines Amtes.

Er hatte seine Anhänger mit Worten und Videos angeheizt, indirekt zum Sturm auf das Kapitol aufgerufen, zu stürmen, einen Plan stützend, der seit Wochen in sozialen Netzwerken kursierte, und von dem er gewusst haben muss.

Möglicherweise ging es Donald Trump vor allem darum: Zu zeigen, wie er mittels weniger Worte auf sozialen Netzwerken adhoc seine private Miliz aus Hooligans mobilisieren kann, wie er seine Truppen zusammentwittern, wie einer mit einem digitalen Pfiff die Hunde auf seine Gegner hetzen kann.

Doch der Coup-Versuch provozierte eine paradoxe Reaktion, selbst Vizepräsident Pence bewies demokratische Größe, der Wind drehte sich gegen Trump. Den größten Schlag hatten ihm aber nicht die abtrünnigen Gefolgsleute versetzt, sondern die Konzernchefs aus Digitalien. Nicht nur Twitter schaltete Trump ab, auch Mark Zuckerberg, der Vorstandsvorsitzende von Facebook, erklärte, „das Risiko, dem Präsidenten zu erlauben, unsere Dienste in dieser Zeit weiter zu nutzen“, sei „schlicht zu groß“. Trumps Accounts auf Facebook und Instagram sind nun für mindestens zwei Wochen, bis zur Amtseinführung von Joe Biden, gesperrt. Twitter lässt Trump wieder an sein Machtspielzeug heran.

Trump gibt sich brav wie ein Schüler

Überraschend twitterte er nun, wie ein Schüler, der brav nachspricht, das Gegenteil vom Mittwoch. Den eben noch geliebten Mob findet er „abscheulich“, das Amt werde er übergeben, und sein Mantra vom „Wahlbetrug“ fehlt jetzt ganz. Ob die Furcht vor einem Rauswurf aus dem Präsidentensessel kurz vor Ende der Amtszeit größer war, oder die Furcht vor dem Verlust seines Miniaturmikrophons mit Maximalwirkung, das lässt sich nicht ergründen. Doch noch die getwitterte Reuegeste blieb ambivalent und endete mit dem Versprechen, dies sei „erst der Auftakt“. Was? Wovon? Die Anhängerschaft errät, was er meint.

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Das Beachtliche an der Sache: Nicht der Kongress, die Polizei oder die Justiz hatten eine mögliche Eskalation durch Trump ausgebremst, sondern Digitalmilliardäre, viele darunter junge Leute, die aussehen wie Skater im Stadtpark, wogegen gar nichts spricht. Aber sie sind, das wurde deutlich wie nie, die Herrscher über das digitale Herrschaftsinstrument des Präsidenten. Seit Jahren waren sie dazu aufgefordert worden, Trumps toxischen Botschaften zu stoppen. Nun, endlich, entschlossen sie sich. Die Digitalkonzerne erlauben, sie verbieten einem Präsidenten, das Wort. Sie regieren mit. Sie geben dem Mann seine Plattform, seine Bühne, oder entziehen sie ihm.

Diese Dynamik wirft massive Fragen auf. Mit welcher Machtfülle sind die digitalen Konzerne ausgestattet? Wie kommt es, dass sie derart zentral mitentscheiden, wie hier, über Anstand oder Aufstand, Bürgerkrieg oder sozialen Frieden? Was, wenn statt eines Zuckerberg ein Trump-Fan am Ruder wäre? Wie legitimiert sich solch gewaltiges Einflusspotential? Wie wird es kontrolliert?

Neue Medien stark, alte Medien schwach

Die Kapitol-Affäre offenbart maximal, was digitale Konzerne als soziale oder asoziale Medien anrichten und ausrichten können, wie sehr zu Konkurrenten der verlöschenden seriösen Medien geworden sind, zumal in den USA, auf dem Hintergrund erodierender Bildung, schwindender Lokalsender und Lokalzeitungen. Das Szenario explodierte jetzt vor aller Augen: Die Macht des unregulierten, globalen Riesenraums von Digitalien. Social Media können nicht nur Revolten wie den arabischen Frühling befördern, sondern auch das geistige Gratisbenzin für Brandstifter liefern, zum Treibhaus für Brandstifter werden.

Traditionelle Akteure wie Parteien und klassische Medien verlieren an Vertrauen, während der private Newsroom, den jeder mit Tweets und Blogs füllen kann, das Faktische fortschwemmt. Von Beginn an war das – siehe „alternative Fakten“ – ein Leitmotiv der Regierung Trump, und diese ein Symptom des naiven, brandgefährlichen Laufenlassens der Dinge in digitalen Zeiten.

Die Scheu vor demokratischer Kontrolle der digitalen Konzerne scheint enorm, auch da sie nahezu alle digitalen Schnittstellen zwischen öffentlicher Verwaltung und Bevölkerung monopolisieren. Dieser Zustand darf freilich nur eine Übergangsepoche markieren, denn er ist so unverantwortlich wie unhaltbar. Mittelfristig wird das Ziel von Demokratien die Entkartellisierung und Dezentralisierung dieser Konzerne und ihrer potenziellen Willkür sein. Doch das Zerschlagen der präzedenzlosen Monopolisten wird eine hochkomplexe, interdisziplinäre Herausforderung.

Kontrolle der privaten Medienmacht

Oft wurde dieser Tage empört ein Szenario imaginiert, bei dem statt des weißen Trash-Mobs schwarze Aktivisten das Kapitol vandalisiert hätten. Da hätten die Ordnungskräfte sofort brutal durchgegriffen, oder? Vermutlich ja. Doch, nochmal: Was, wenn Twitter und Co. einen Aufstand für Trump gewollt hätten? Aus dem Gespinst des Internet würde sofort ein hochgefährliches, politisches Gespenst – noch gefährlicher als ohnehin. Die digitalen Chefs haben, endlich, Vernunft bewiesen, das war erlösend. Doch die derart hohe Konzentration an informeller, privater Macht können demokratische Rechtsstaaten auf Dauer nicht dulden.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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