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Kunst und Ökologie : Mein Freund, der Schachtelhalm

Der chinesische Künstler Zheng Bo plädiert im Gropius Bau für eine neue Gemeinschaft von Menschen und Pflanzen.

Kunst und Ökologie : Mein Freund, der Schachtelhalm

Sitzen, zeichnen, verschmelzen. Zheng Bo auf Lantau Island vor der Küste Hongkongs.Foto: Kwan Sheung Chi/ Edouard Malingue Gallery

Eigentlich ist diese Ausstellung gar nicht zum Anschauen da. Man kann den Blätterwald ihrer Bleistiftzeichnungen, die auf großen Tischen zu fast ebener Erde ausliegen, durchwandern wie einen in sich zusammengefallenen botanischen Garten. Doch wenn man begreifen will, was den chinesischen Künstler Zheng Bo umtreibt, dann sollte man aus dem Parterre des Gropius Baus möglichst schnell hinaus ins Freie treten, in die nach dem Schwarz-Weiß der Ausstellung schlagartig ergrünte und aus der Horizontalen zurück in die Vertikale aufgerichtete Welt der Gräser, Hecken und Platanen. Hinaus in den Gropius Hain: So hat der Künstler den leicht umgestalteten Parkplatz zur Stresemannstraße hin getauft.

Gegen diese Berliner Stadtflora ist die subtropische Vegetation, die sein Zyklus „Drawing Life“ festhält, von verschwenderischer Üppigkeit. In Zheng Bos Dorf auf Lantau Island vor der Küste Hongkongs hat er die Blüte der Litschibäume gezeichnet, wie er sie während seines Quarantänejahrs erlebte. Noch der aus Portugal mitgebrachte Farn, den er beim Größerwerden beobachtet, scheint über ein Geheimnis zu verfügen, das zwischen den Pflastersteinen des Gropius Hains nicht zu finden ist.

Doch auf Pracht oder Größe kommt es Zheng Bo nicht an. Das störrischste Unkraut, glaubt er, verdient nicht weniger Aufmerksamkeit als die stolzeste Ähre. Und so mögen die 366 im Tagesrhythmus entstandenen Arbeiten seines Hongkonger „Drawing Life“ durch ihren exotischen Charakter bestechen. Der Grad an Versenkung in die Einzelheiten, über den seine Zeichnungen vom Berliner Plötzensee verfügen, ist derselbe.

Nicht Werk, sondern Praxis

Alle diese Zeichnungen sind nicht auf ein Werk aus, sondern auf eine Praxis. Sie speichern die Zeit, die er in Gegenwart einer Pflanze verbracht hat: eine halbe Stunde, eine ganze Stunde, je nachdem. Und indem sie sich vom gregorianischen Kalenderjahr abwenden und an die 24 Halbmonate des Lunisolarkalenders halten, suchen sie nach einem anderen, den Blick verändernden Maß. Deshalb begann die Ausstellung auch zur Sommersonnenwende.

Kunst und Ökologie : Mein Freund, der Schachtelhalm

Zweig, Ast, Stamm. Beispiele aus dem 366-teiligen Zyklus „Drawing Life“, Abteilung „Lesser Heat“.Foto: Luca Girardini / Edouard Malingue Gallery

So kunstfertig manche Blätter sein mögen, sie dienen weniger dazu, ein Publikum sehen zu lehren, das von der dschungelhaften Wirklichkeit überfordert wäre, als vielmehr in der Tätigkeit des Zeichnens selbst ein neues Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Durchaus auch aufseiten der Pflanzen: Sie sollen das „Qi“ ihres Gegenübers spüren, jene Grundenergie, die dem Daoismus zufolge allem Leben zugrunde liegt. Das Zeichnen ist insofern nur eine von vielen Übungen, die weg vom Anthropozentrismus zu einem „Mehr-als-Menschlichen“ führen sollen.

„Vielleicht“, schreibt Zheng Bo, „geht es heutzutage nicht mehr um unsere Fähigkeit, zu zeichnen. Es geht um unsere Bereitschaft, zu zeichnen, mit anderem Leben zusammenzusitzen und es zu zeichnen.“ Jeder Kunststudent, sagt er, habe die Voraussetzungen zu dieser Art von Intimität. Das spielt herunter, wie detailsicher er jedem Stängel Kontur verleiht. Es betont aber zugleich das letztlich Unpersönliche der Darstellung, die höchstens dazu verleitet, in so mancher Schattierung den Geist einer chinesischen Tuschemalerei zu erkennen, in der Abstraktion und äußerster Realismus zusammenfließen. Mit entsprechendem Geschick kann und soll sich auch der Laie diese Praxis zu eigen machen, weshalb er in Berlin schon mehrere Zeichenexkursionen angeführt hat.

„Drawing Life“ bildet das Herzstück der „Wanwu Council“ überschriebenen Ausstellung. Sie krönt die pandemiebedingt von Abwesenheit geprägte Residenz des Künstlers im vergangenen Jahr. Es ist leicht, sie als esoterischen Unsinn für Leute abzutun, die gerne Bäume umarmen, Druidenmärkte besuchen oder auf dem Balkon Alraunen züchten. Zheng Bo, 1974 in Peking geboren, leistet dem in gewisser Weise sogar Vorschub, als er in öffentlichen „Ecosensitivity Exercises“ eine Reihe traditioneller und erfundener Rituale anbietet, die vom Sonnetrinken bis zu Grasgesängen reichen. Beispielhafte Videoscreens dieser Exerzitien samt fantasievollen Umhängen, die man dabei tragen kann, befinden sich in einem eigenen Raum.

Diese Sensibilitätsübungen sind indes nur Teil einer intellektuelle Neugier, die sowohl auf einen Austausch mit den Naturwissenschaften und der Philosophie setzt als auch den Brückenschlag ins Politische sucht. „The Political Life of Plants“, einem eigens für die Ausstellung entstandenen Film, den er im Buchenwald von Grumsin in Brandenburg drehte, einem von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärten Areal, fehlt zweifellos die Übersetzung ins Realpolitische. Was er hier mit der Molekularbiologin Roosa Laitinen vom Potsdamer Max-Planck-Institut oder dem Pflanzen- und Bodenökologen Matthias Rillig von der Freien Universität erörtert, bleibt im Metaphorischen.

Der Wald als queere Gemeinschaft

Ob ein Wald, wie er schon früher gerne behauptete, tatsächlich eine „queere“ Gemeinschaft bildet, bringt überdies genau jene allzu menschliche Perspektive ins Spiel, der er zu entkommen trachtet. Doch die Disziplinen von Kunst und Wissenschaft überhaupt aufeinander (und miteinander) reagieren zu lassen, ist ein Verdienst, dem er mit einem dreitägigen Workshop im August noch eine dezidiert politische Wendung geben will.

Ein aus Künstler:innen, Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen gebildeter Rat, eben das „Wanwu Council“, soll ein Manifest schreiben, das unter anderem der Tatsache gerecht wird, dass Menschen 30 Prozent der Primärproduktion an der zum Atmen überlebenswichtigen Biomasse verbrauchen, aber nur 0,01 Prozent von ihr ausmachen. „You are the 0,01 %“ heißt denn auch die Installation, die Zheng Bo begleitend zur Ausstellung im Gropius Bau in den Rasen der Schering Stiftung Unter den Linden gefräst hat.

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„Wanwu“ ist dabei der klassische chinesische Begriff für die Gesamtheit aller Erscheinungen. Wörtlich steht er für „die zehntausend Dinge“ und ihre Namen, die Laozi gleich im ersten Kapitel des „Daodejing“, des Buchs vom Dao und seiner Wirkung, in Gegensatz zum unbenennbaren Urgrund alles Seins bringt. Wie viel Mystisches in Laozis paradoxen Sentenzen oder den sehr viel spielerischer angelegten Parabeln des Zhuangzi auch steckt: Ihre kosmologischen Grundannahmen und die daraus resultierenden praktischen Lehren lassen sich sehr wohl in rationalen Begriffen rekonstruieren.

Zheng Bos Interpretation dieser philosophischen Tradition, von der sich die heutigen Chinesen jenseits eines volkstümlichen, von zahllosen Helden- und fratzenhaften Schreckensgestalten bevölkerten Daoismus selbst entfremdet haben, ist sicher nicht besonders tief. Aber sie enthält die Aufforderung, neben den Gattungsgrenzen von Mensch und Pflanze auch die der Kulturen zu überschreiten. Angesichts der sich erst langsam auflösenden Dualismen von Natur und Kultur ist das ein Angebot, das man nicht ausschlagen kann, wenn man den Herausforderungen des Anthropozäns auf globaler Ebene begegnen will – mit und ohne Klimaschutzabkommen.

Gropius Bau, bis 23. August, www.gropiusbau.de; Schering Stiftung, bis 21. September

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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