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Krimi-Serie mit Kate Winslet : Milieustudie mit Mordfall

In „Mare of Easttown“ glänzt nicht nur Kate Winslet als traurige Polizistin, sondern auch das Fernsehen als Medium.

Krimi-Serie mit Kate Winslet : Milieustudie mit Mordfall

Kleinstadtpolizistin statt Sportstar: Mare Sheehan (Kate Winslet) nimmt das Leben, wie es in dem Vorort von Pennsylvania) nun…Foto: HBO/Sky

Englischen Wortwitz zu übersetzen, ist vielfach unmöglich – für diese Erkenntnis reicht ein Blick in jede Synchronisation der „Simpsons“. Lustig ist das selten. Wenn Freunde und Kollegen der Titelfigur einer fabelhaften HBO-Serie „gute Nacht, Mare“ wünschen, wundert man sich deshalb, warum sie oft so komisch kichern. Auf Deutsch drücken die Worte ja nur den Wunsch nach seliger Bettruhe aus. Im Original dagegen umschreibt „Good Night, Mare“ jenen Albtraum, den die Polizistin fast ununterbrochen erlebt. Im Vorort der US-Metropole Pennsylvania ist nämlich vieles deprimierend. Ach was: alles.

Schon früh am Morgen eines weiteren trübgrauen Arbeitstags wird Mare Sheehan (Kate Winslet) zu einem Hinterhof voller Sperrmüll gerufen, dessen Besitzer ins Badezimmer nebenan spannt. Minuten später verstaucht sich die Kleinstadtermittlerin bei der Verfolgung eines flüchtigen Kleindealers den Fuß. Und dann soll sie auch noch den abgelegten Fall einer vermissten Frau neu aufrollen, weil deren Eltern im Fernsehen Stimmung gegen Politik und Polizei machen. Würde wenigstens mal die Sonne scheinen überm gärenden Gebräu aus Missbrauch, Mobbing und Monstertrucks, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Junkfood. Tut es aber nicht.

[„Mare of Easttown“, auf Sky]

Wenn die chronisch erschöpfte Mittvierzigerin vom Dienst zerrieben heimkehrt, wäre also ein wenig Feierabendidylle im Viergenerationenhaushalt vonnöten. Statt Erholung erwartet Mare allerdings das Haus ihrer zynischen Mutter (Jean Smart), wo sie nach der Scheidung mit Tochter Siobhan (Anjourie Rice) und dem vierjährigen Kind ihres älteren Sohns wohnt, der sich im Drogenrausch das Leben nahm und den anstehenden Sorgerechtsstreit somit nicht erleben muss. Kein Wunder, dass Mare Sheehan stets schlechter Laune ist.

Dabei fing alles so gut an für den Basketballstar der lokalen Highschool. Lady Wolf war schön, beliebt, cool – eine Provinzkönigin aus dem Bilderbuch. Dann aber wurde sie statt Sportprofi Polizistin wie ihr Vater, bekam wie alle Frauen vor Ort früh Kinder und legte ihr Leben zu den Akten einer Region mit irritierend viel Gewaltkriminalität bis hin zum Tod einer Nachbarin. Als diese nach einem Streit mit der neuen Freundin vom Vater ihres Babys tot im Fluss liegt, rotiert die Eskalationsspirale mit jeder der sieben Episoden auf Sky schneller. Good Night, Mare!

Showrunner Ingelsby hat sich bereits zuvor an der Region abgearbeitet

Man täte Showrunner Brad Ingelsby, der seine Jugend in dieser moralisch wie materiell ruinierten Region schon in Fiktionen von „American Woman“ bis „Out of the Furnace“ verarbeiten durfte, aber Unrecht damit, „Mare of Easttown“ auf den Mordfall zu reduzieren. Oberflächlich betrachtet mag es sich um die Jagd nach einem Schwerverbrecher drehen. Unter der Krimifassade jedoch entspinnt sich eine Milieustudie des White Trash genannten Mittelbaus der amerikanischen Leistungsgesellschaft auf dem Weg Richtung Unterschicht. Und nirgends ließe sich dieser Abstieg eindrucksvoller ausdrücken als im Gesicht von Kate Winslet.

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Alles an der Protagonistin eines immerwährenden Albtraums strahlt jene melancholisch verbitterte Resignation aus, die dem gescheiterten Donald Trump irre 74 Millionen Wählerstimmen einbrachte. Wenn Mare mit runterhängen Mundwinkeln und rausgewachsener Blondierung durchs Dickicht wechselseitiger Verachtung stapft, quillt die soziale Spaltung aus jeder Stirnfalte. Wenn sie manisch an der E-Zigarette saugt, ringt die halbe Welt um Atem. Wenn ihr auswärtiger Kollege Zabel (Evan Peters) fragt, wie er das Provinzleben meistert, empfiehlt sie „Ansprüche runterschrauben“. Wenn sie der Psychologin das Fehlverhalten ihres Enkels mit den Störungen seines Vaters erklärt, sucht die Kamera 90 ungeschnittene Sekunden in Winslets Auge nach Erlösung. Und selbst wenn sie ein wenig davon im Bett des empathischen Schriftstellers Richard (Guy Pearce) findet, ist ihr die Intimität sofort verdächtig.

Angesichts dieser epischen Kaskade der Trostlosigkeit ist es den Verantwortlichen umso mehr zu danken, dass sie zu keiner Zeit in billige Klischees abgleiten. Die Menschen hier mögen demnach bis zum Pastor aller erdenklichen Delikte verdächtig sein: Zugleich herrscht eine Solidarität, die ebenso viel übers Land erzählt wie das gehässige Gegeneinander. Es ist die Geschichte der Schicksalsgemeinschaft im Kleinen, das Märchen vom Mikrokosmos, den „Mare of Easttown“ weder feiert noch verdammt, sondern in aller Schlichtheit ergreifend schön schildert. In der besten Serie des verregneten Frühlings.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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