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Kolumne „Spiegelstrich“ : Amerikas Realpolitik ist zum Albtraum geworden

Die englische Sprache bedient sich gerne deutscher Begriffe. Ein Wort wurde von der Politik zuletzt allerdings arg in Mitleidenschaft gezogen.

Kolumne „Spiegelstrich“ : Amerikas Realpolitik ist zum Albtraum geworden

Die amerikanische Autorin Joan Didion prägte den schönen Begriff “Dreampolitik” für den amerikanischen Populismus.Foto: Darren McCollester/AFP

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Die Amerikaner beklauen die Deutschen ständig (und wir die Amerikaner auch, aber dies ignorieren wir heute). Die Amerikaner rauben uns Wörter, vom „alpenglow“ (Alpenglühen) über „hefeweizen“ und „katzenjammer“ bis zu „to yodel“ (jodeln) und „zeitgeist“. Die „realpolitik“ hat es auch über den Atlantik geschafft, meint in den USA aber nicht so sehr Skrupellosigkeit und Egoismus, sondern das selten gewordene politische Handeln – Abstimmungen und Erlasse also, die zu Gesetzen führen.

Diese Realpolitik steht im Gegensatz zur von Joan Didion definierten „Dreampolitik“, welche mit Wut hantiert, mit erregten Fantasien. In den USA brüllen Republikaner, die nichts zu entscheiden haben, die Lüge von der „gestohlenen Wahl“ durchs polarisierte Land, weil diese Lüge populär ist. Andere Republikaner, jene realpolitischen und durchaus technokratischen Wahlhelfer, Gouverneure, Staatsanwälte an den Schaltstellen der Republik sagen, es habe keinen Wahlbetrug gegeben, bloß sieben Millionen Stimmen Vorsprung für Joe Biden.

Realpolitik und Dreampolitik nähern sich in den USA einander an. Populismus wirkt: Wenn der real existierende Präsident ein Dreampolitiker ist, zerstört der Hass das Vertrauen in die Institutionen. Die amerikanische Demokratie indes hat gehalten – wegen der Vernunft der Leute.

In Deutschland wird weniger gehetzt

Wenn ich nach dem vergangenen Jahr, das ich zu drei Vierteln in den USA und zu einem Viertel in Deutschland verbracht habe, über die Unterschiede zwischen den Ländern nachdenke, ist es vor allem dieser: Die Dreampolitik ist in Deutschland stiller. „Tichys Einblick“ ist ja harmlos, hier wird weniger gehetzt als in den USA, was das Land solidarischer wirken lässt, funktionsfähig und robust. Anfangs habe ich mich gefragt, warum Deutschland aus der Ferne kraftvoll, von innen betrachtet so fragil erschien.

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Kolumne „Spiegelstrich“ : Amerikas Realpolitik ist zum Albtraum geworden

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.Foto: Tobias Everke

Eine Pandemie verzeiht keine Fehler, schon gar nicht jene im entscheidenden Moment; mit Dreampolitik hat das wenig zu tun. Die deutsche Vorbereitung auf die winterliche Covid-Welle war langsam, unpräzise und unflexibel; wir alle kannten die Prognosen der Epidemiologen, aber der Stolz auf den Erfolg in der ersten Welle war groß. Die Konferenzen von Kanzlerin und Ministerpräsidenten wurden zögerlicher und waren nicht mehr effektiver als die Beschimpfungen im amerikanischen Senat. Zeit verstrich, obwohl Tempo unsere Waffe ist. Zeit verstreicht schon wieder: Die Impfungen laufen nicht an, werden zum „Berliner Flughafen der Pandemie“ (Sascha Lobo)

Der Wettstreit der Systeme ist ausgesetzt

In der deutschen Variante der Realpolitik muss es nicht immer um die europäische Idee gehen (die für die amtierende Regierung auch nicht weiter bedeutend ist, wenn Tempolimit, Exporte oder Migration die Themen sind). Hin und wieder sind auch nicht die USA unser Maßstab, die gleichfalls an der Aufgabe einer schnellen Impfstrategie scheitern.

Neuseeland war vom ersten Moment der Pandemie an wach, Israel ist es jetzt, Singapur, Taiwan, Südkorea und China auch – manche Demokratien und Diktaturen kriegen es also hin, andere Diktaturen und andere Demokratien nicht. Es gibt Phasen, in denen nicht einmal mehr der Wettstreit der Systeme wichtig ist.

Wer die Herstellung eines Impfstoffes im eigenen Land mit Hunderten von Millionen Euro fördert, wie die Bundesregierung es bei Biontech getan hat, sollte gleich danach den effektiven Schutz der eigenen Bürgerinnen und Bürger planen. Im Katastrophenfall, jetzt, zählt, ob kompetente Menschen am entscheidenden Ort schnell handeln.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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