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Joseph Beuys in Berlin : Suche nach Erleuchtung

Nicht bigger than life, aber mit verschiedenen Facetten: Die Ausstellung „Der Erfinder der Elektrizität – Joseph Beuys und der Christusimpuls“ in der St. Matthäus-Kirche.

Joseph Beuys in Berlin : Suche nach Erleuchtung

Ein Vorteil in den unsicheren Zeiten der Pandemie: Anders als Museen bleibt die St. Matthäus- Kirche mit der Beuys-Ausstellung…Foto: Leo Seidel

Bewehrt mit Hut und Anglerweste richtet der hagere Joseph Beuys einen schweren Kupferstab auf und angelt mit dem gekrümmten Ende nach einer Glühbirne. Der Film „Eurasienstab“, der bei einer Performance 1968 entstand, läuft in dem lichten Raum der St. Matthäus-Kirche vor der Empore. Das Bild ist verblasst. Die Tonspur mit der Orgelmusik des dänischen Fluxus-Künstlers Henning Christiansen rauscht. Verstärkt durch die Vergänglichkeit des Materials wirkt Beuys’ Suche nach Erleuchtung in westlichen und östlichen Denksystemen eher komisch als kultisch.

„Der Erfinder der Elektrizität“ – der Titel der Ausstellung bezieht sich auf einen Spruch, den Joseph Beuys einmal auf ein kitschig buntes Votivbildchen von Jesus geschrieben hat. Es hängt jetzt neben der Apsis. Kurator der Ausstellung ist Eugen Blume, der ehemalige Leiter des Hamburger Bahnhof. Er organisiert gerade gemeinsam mit Catherine Nichols in Nordrhein-Westfalen Beuys2021, eine Folge von Ausstellungen, Symposien und Diskussionen zum hundertsten Geburtstag des Künstlers.

[ Der Erfinder der Elektrizität – Joseph Beuys und der Christusimpuls. Mit einer Dokumentation von Lothar Wolleh. Bis 12. September, St. Matthäus-Kirche im Berliner Kulturforum, geöffnet Dienstag bis Freitag von 11- 18 Uhr, Samstag/Sonntag von 12 – 18 Uhr, Eintritt frei]

Am Hamburger Bahnhof wiederum bereitet Nina Schallenberg für Juni eine Schau zum Thema Joseph Beuys und die Sprache vor. Die St. Matthäus-Kirche hat gegenüber dem Museum den großen Charme, dass sie auch in diesen unsicheren Zeiten geöffnet bleibt. Dazu kommt die Gnade der Architektur. Die Kirche entstand Mitte des 19. Jahrhunderts im Tiergartenviertel nach Plänen von Friedrich August Stüler. Der geradlinige Bau bietet eine Atmosphäre abgeklärter Gelassenheit. Er dimmt das Pathos, entspannt die Aufregung um die Figur des Künstlers und lässt Raum für den Witz, den Beuys als Blitzableiter einsetzt, sobald sich zu viel Spannung aufbaut.

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An den Wänden ringsum verweisen Plakate auf Aktionen von Joseph Beuys. „Hypersensitive“ steht da auf dem Rand eines Filmnegativs – einem Plakatmotiv für den Fluxus-Auftritt von Beuys und Henning Christiansen in der Akademie der Künste 1969. Die Aufnahme erinnert daran, dass Beuys seine Auftritte bei Fluxus gelernt hat. Die Kunstbewegung Fluxus bezog sich auf die absurden Inszenierungen von Dada, dem künstlerischen Aufruhr nach dem Ersten Weltkrieg. „Hypersensitive“ meint zwar die Lichtempfindlichkeit des Filmmaterials, ist aber auch eine erhellende Beschreibung für das Werk des Rheinländers, das durchlässig auf alle Impulse reagiert.

Nähe zu Rudolf Steiner

Auf der Suche nach einer Spiritualität für die Nachkriegsgesellschaft jongliert Beuys, der in seiner Jugend bei einem Zirkus aushalf, mit Naturreligionen, Christentum, Anthroposophie und keltischen Kulten. Die Ausstellung zeigt diese Überschneidungen. In einem kleinen Bronzekreuz aus dem Jahr 1949 ist bei genauem Hinsehen der Körper einer Biene zu erkennen, einem Symbol, dem der Künstler bei der Lektüre von Rudolf Steiner begegnete. In dem bekannten Multiple Capri-Batterie ist eine Glühbirne an eine Zitrone angeschlossen, die Kultur speist ihre Energie aus der Natur. Am reizvollsten aber wirkt die sogenannte „Dumme Kiste“ von 1982. Bei der offenen Kiste aus glänzendem Kupfer sind die Nähte mit weichem Filz abgepolstert. Kisten sind bei Beuys Seelengehäuse. Hier bilden der brillante, technische Entwurf und die soft skills der Intuition ein Ganzes.

Die Nähe zu Rudolf Steiner, die Wiederbelebung keltischer Kulte ist Beuys als Affinität zu rückwärtsgewandten Ideologien ausgelegt worden. „Beuys hat gesagt, ich kenne keinen historischen Abstand“, erwidert Eugen Blume darauf. „Für ihn ist das gegenwärtig. Alles, was die Menschen entwickelt und gedacht haben, ist in einem großen, gleichzeitigen Raum. Es ist alles immer schon dagewesen, und das, was war, ist immer vorhanden.“

„Jeder Mensch ist ein Künstler“

Joseph Beuys, am 12. Mai 1921 geboren, wuchs zwischen den beiden Weltkriegen auf. Mit fünfzehn Jahren schloss er sich der Hitlerjugend an, 1941 verpflichtete er sich zu zwölf Jahren Dienst in der Luftwaffe und stürzte 1944 mit dem Flugzeug über der Krim ab. Längst bekannt ist, dass seine Geschichte von der Rettung durch die Tartaren eine Legende war. Später sagte er über seinen Kriegseinsatz, er sei damals „zurecht geschossen worden“. Es war wohl das Trauma des Krieges, getriggert durch Liebeskummer, das Mitte der fünfziger Jahre zu einer schweren Depression führte. In dieser Zeit arbeitete Beuys an dem Wettbewerbs-Entwurf für ein Mahnmal im Konzentrationslager Auschwitz und an der Vitrine Auschwitz Demonstration, die im Block Beuys in Darmstadt steht.

Er muss sich also mit der eigenen „Verantwortung“ – wie er das nannte – auseinandergesetzt haben. Aus dem Zusammenbruch fand der Künstler durch seinen Glauben an die Möglichkeit einer Transformation mit Hilfe der eigenen Kreativität. Diese Fähigkeit zur Veränderung spricht er allen Menschen zu: „Jeder Mensch ist ein Künstler“.

Man sollte sich von der Übersichtlichkeit dieser Schau nicht täuschen lassen. Auch in dem minimalistischen Format bleibt das entgrenzte Werk komplex. Die Gleichzeitigkeit von Vorwärts, Rückwärts und Seitwärts, zwischendrin noch ein Gedankensalto, verführt zur Fokussierung auf einen Aspekt, während Beuys mit seiner Rundum-Sensitivität das Ganze im Blick hatte. Aber weil der Künstler hier nicht bigger than life auftritt, bleibt Luft, mit den verschiedenen Facetten zu spielen.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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