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Interview mit Bosch-Konzernchef : „Versorgungsengpässe kannten wir eigentlich nicht mehr“

Volatile Lieferketten und Chinas Lockdown machen dem weltweit größten Autozulieferer zu schaffen. Konzernchef Stefan Hartung lobt politische Entscheidungen.

Interview mit Bosch-Konzernchef : „Versorgungsengpässe kannten wir eigentlich nicht mehr“

Hartung ist seit Januar 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung von Bosch.Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Seit Anfang des Jahres ist Stefan Hartung (56) vorsitzender Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH. Zuvor führte er den Unternehmensbereich Mobility Solutions. Der gebürtige Dortmunder studierte Maschinenbau, Fachrichtung Fertigungstechnik, an der RWTH Aachen, wo er auch 1993 promovierte. Hartung ist verheiratet und hat zwei Kinder. Bosch erwirtschaftete im vergangenen Jahr mit weltweit gut 402.000 Beschäftigten einen Umsatz von knapp 79 Milliarden Euro.

Herr Hartung, Sie sind vor knapp fünf Monaten als Bosch-Chef mitten in der Coronakrise gestartet. Der Krieg in der Ukraine kam vor zwölf Wochen hinzu. Wie sehr belastet das Ihr Tagesgeschäft?

Es ist für uns alle eine große Belastung. Wir können die Probleme nicht nacheinander abarbeiten, sondern müssen uns dem gleichzeitig stellen. Aber man darf sich davon nicht überwältigen lassen. Ich bleibe da pragmatisch: Die Ursachen liegen nicht im Unternehmen, sondern kommen von außen.

Glauben Sie, dass es ein Business-as-usual wieder geben wird?

Es gibt nie ein Zurück in die Vergangenheit. Und schon gar nicht nach Ereignissen wie Pandemie und Krieg. Mitarbeiter haben in der Covid-Pandemie ihr Leben verloren und der Krieg in der Ukraine ist eine humanitäre Katastrophe, in der Menschen sterben und leiden. Und die Rahmenbedingungen sind und bleiben schwierig, auch bei der Rohstoffversorgung, bei den Energiekosten. Aber wir müssen den Blick auch nach vorne richten.

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Wo liegen aktuell die größten Risiken für Bosch?

Jedes einzelne Thema birgt Risiken: Corona, der Krieg, Lieferengpässe, Inflation. Die größte Herausforderung liegt in der Gleichzeitigkeit und besonders schwer einzuschätzen ist derzeit, wie China mit der Bekämpfung von Covid vorankommt. Wir kennen zeitweise Lockdowns und haben das alles auch in Europa durchgemacht. Nun aber stehen Teile dieses großen, wichtigen Marktes und Produktionsstandorts still und es ist nicht absehbar, wie lange. Das treibt mich sehr um.

Die Lieferketten sind zeitweise gerissen, Engpässe gibt es immer noch. Was lernen Sie daraus?

Corona hat uns gezeigt, dass sich die Nachfrage in kurzer Zeit massiv ändern kann und dass nicht immer alles so verfügbar ist, wie wir das gerne hätten oder über Jahre gewohnt waren. Versorgungsengpässe kannten wir eigentlich nicht mehr, weder als Unternehmen noch als Privatpersonen. Auch dass es eine starke Inflation gibt, ist für die meisten von uns eine neue Erfahrung. Ökonomische Prinzipien sind aber nicht außer Kraft gesetzt, nur weil sie länger nicht aufgetreten sind.

Steht nicht das Geschäftsmodell der globalisierten, vernetzen Wirtschaft auf dem Spiel, wenn die Lieferbeziehungen nicht mehr funktionieren?

Das sehe ich anders. Die Dinge verändern sich zwar rasend schnell und es wird sicher Anpassungen geben, um globale Lieferketten robuster zu gestalten. Aber ein Halbleiterwerk kann man nicht in zwei Wochen bauen. Deshalb wird sich das Problem der Halbleiterknappheit auch nicht schnell durch lokalen Kapazitätsaufbau lösen lassen. Und wenn die Häfen in China verstopft sind, dann kommt der Welthandel ins Wanken. Die Weltwirtschaft und damit auch unser Geschäft steht ohne Frage vor Herausforderungen. Und doch bin ich überzeugt, dass die Globalisierung nicht zurückgedreht wird und wir auch weiter global denken müssen. Denn alles lokal zu produzieren und zu verkaufen, das wird nicht funktionieren.

Nicht alles, aber vielleicht mehr.

Wir produzieren ja schon dort, wo unsere Kunden sind, wo es möglich und sinnvoll ist. Es hat sich auch gezeigt, dass es gut ist, einen zweiten oder dritten Lieferanten zu haben. Aber wenn der eine ausfällt, kann der andere nicht über Nacht seine Produktion verdoppeln, denn es geht bei uns immer um sehr große Stückzahlen. Und es gibt Ressourcen, die nicht überall verfügbar sind. So zum Beispiel qualifizierte Fachkräfte für verschiedenste Aufgaben. Deshalb müssen wir uns weltweit um die besten Fachkräfte etwa im Softwarebereich bemühen.

Europa versucht, bei Schlüsseltechnologien unabhängiger zu werden, bei Halbleitern, Batteriezellen, Software. Aber es wird gerade erst investiert. Kommt das nicht zu spät für Ihre schnelle Branche?

Es ist sinnvoll, Kompetenzen und Produktion auszubauen, die es so nur in Europa gibt. Zum Beispiel werden das Equipment und die Maschinen für die Halbleiterproduktion in Europa hergestellt. Davon brauchen wir mehr. Aber eine Selbstversorgung mit bestimmten Rohstoffen oder Technologien wird es nie geben. Das zeigt schon das Beispiel Primärenergie, die beispielsweise Deutschland heute zu 70 Prozent importieren muss.

Ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland würde Bosch lahmlegen?

Für die Versorgung unserer eigenen Produktion sind wir auch auf Gas angewiesen, zum Beispiel in der Halbleiterfertigung in Dresden oder Reutlingen oder für thermische Prozesse in unseren Werken. Aber das sind kleinere Mengen. Viel kritischer ist, dass wir viele Vorprodukte benötigen – Stahl oder Chemieerzeugnisse etwa –, die sehr stark gasabhängig sind. Wir brauchen deshalb eine stabile Versorgung mit Gas – im Moment auch noch aus Russland, auch wenn es wehtut. Die Politik wird viel tun müssen, um Alternativen zu erschließen. Unser Wohlstand hängt aber auch von der Versorgungssicherheit ab.

In Russland hat Bosch sein Geschäft mit 3500 Beschäftigten fast vollständig heruntergefahren. Glauben Sie an einen Neustart nach dem Krieg?

Es ist derzeit nicht möglich, ein Nachkriegs-Szenario zu entwerfen. Ich weiß nicht, ob und wie Bosch angesichts der Sanktionen in Russland bleiben kann, weil niemand weiß, wann und wie dieser Krieg endet. Ganz sicher werden wir nicht zum vorigen Zustand zurückkehren können. Es wird eine andere Welt sein, die wir erst noch aufbauen müssen.

Fürchten Sie auch, dass sich die Welt wieder in verfeindete Blöcke teilt, mit entsprechenden wirtschaftlichen Verwerfungen?

Nein, auch wenn es die Tendenz schon immer gab, die Welt in politische Einflusssphären aufzuteilen. Aber diese Phase liegt eigentlich hinter uns. Ich bin optimistisch, weil die Menschheit den Klimawandel nur gemeinsam in den Griff bekommen wird. Die vergangenen Jahre haben auch gezeigt, dass es eine gute Basis für die globale Zusammenarbeit gibt. Auch Bosch als global agierendes Unternehmen beweist jeden Tag, dass die Kooperation zwischen Menschen verschiedener Kulturen und Weltbilder sehr gut funktionieren kann. Vorstellbar ist allerdings, dass der Wettbewerb zwischen den Weltregionen härter wird – hoffentlich im Ringen um die besten Lösungen.

Sie haben es als Unternehmen nicht in der Hand. Die Politik setzt die Rahmenbedingungen.

Ich finde, die Politik hat in den vergangenen Monaten Punkte gesammelt. Ich habe Politiker gesehen, die schnell entscheiden, adaptiv handeln und tagtäglich ganz tief in den Themen stecken. Ich erlebe das fast jede Woche im Austausch und bin positiv überrascht. Die Bundesregierung musste ja vom ersten Tag an auf Krisen reagieren. Deutschland kann nicht die Probleme dieser Welt lösen, aber immerhin die richtigen Entscheidungen treffen. Und, Respekt, da laufen einige gerade zu Höchstform auf.

Bosch hat unlängst hohe Investitionen in die Komponentenfertigung für die Wasserstoffproduktion angekündigt. Sind Sie beim Thema Technologieoffenheit auch so glücklich mit der Regierung?

Technologieoffenheit ist nicht nur sinnvoll, weil man alle CO2-freien Technologien entwickeln und zur Verfügung stellen sollte. Sie ist auch nötig, weil nicht alle Energieträger ausreichend in Deutschland zur Verfügung stehen. Wir müssen uns alle Optionen offenhalten.

Auch die Wasserstoff-Option für Pkw?

Das werden wir sehen. Europa setzt in der Mobilität jetzt ganz auf die Elektrifizierung und das unterstützen wir mit großer Energie. Hier investieren wir viel und bringen Produkte auf den Markt. Die Technologien müssen CO2-frei sein. Wo sie angewendet werden, entscheidet der Markt. Im Schwerlastverkehr sind auf der Langstrecke Wasserstoff und Brennstoffzelle schon eine Option. Über leichte Nutzfahrzeuge wird die Brennstoffzelle ihren Weg auch in den Pkw finden. Wir werden zudem Verbrennungsmotoren sehen, die mit Wasserstoff betrieben werden – zum Beispiel bei schweren Maschinen, die viel Leistung brauchen und langsam fahren.

Warum? Die Erzeugung von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen ist ineffizient, der knappe Grünstrom wird anderswo gebraucht.

Im Jahr 2030 werden schätzungsweise nur rund 30 Prozent der dann 1,6 Milliarden Fahrzeuge weltweit elektrifiziert sein. Für mehr wird die Kapazität nicht reichen. Es werden also alle Technologien gebraucht. Übrigens auch saubere Diesel – noch für Jahrzehnte. Denn: Die Zeit läuft! Es hilft nicht, wenn nur Deutschland oder Europa die CO2-freie Mobilität hinbekommen. Der gesamte Globus muss es schaffen.

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Bremsen die steigenden Energie- und Rohstoffpreise die Transformation – oder wirken sie als Beschleuniger?

Teure Rohstoffe machen Batterien teurer und damit Elektroautos. Teures Öl macht den Sprit teurer und Verbrennungsmotoren weniger attraktiv. Klar ist: Es gibt kein Zurück mehr. Mineralölbasierter Kraftstoff wird nie mehr so preiswert sein wie früher.

Also steigen die Preise für E-Autos?

Sie werden zumindest nicht so schnell sinken, wie wir ursprünglich gedacht haben. Das heißt aber nicht, dass sie im Vergleich zu Verbrennerfahrzeugen weniger attraktiv werden.

Wenn kritische Rohstoffe nachhaltig teuer bleiben oder Lieferketten dauerhaft unsicher sind – kann das die gesamte Transformation der Mobilität stoppen?

Der Bekämpfung des Klimawandels bleiben wir alle verpflichtet, Unternehmen, Politik, Gesellschaft. Das steht außer Frage, egal was auf der Welt passiert. Es wird kurzfristig vielleicht langsamer voran gehen. Auch wissen wir noch nicht, auf welchem Preisniveau und mit welchen Wohlstandseinbußen die Umstellung gelingt. Nachhaltiges Leben könnte mit weniger Wohlstand verbunden sein – muss es aber nicht.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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