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Wachsendes Problem: 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig.

© picture alliance / dpa

Zu viel Zucker, Fett oder Salz: Fast alle Kinderlebensmittel sind Dickmacher

242 von 283 Produkten sind ungesund, zeigt eine neue Foodwatch-Studie, alle großen Konzerne sind betroffen. Experten fordern ein Werbeverbot.

Wie viele Chips kann man an einem Tag in sich hineinstopfen? Youtuber Evanijo hat es ausprobiert, über eine Million Menschen haben sein Video angeclickt. Auch Sophie Alice arbeitet mit vollem Körpereinsatz. Die Mission der Youtuberin: einen Tag lang nur Fast Food essen. Erste Station ist McDonald’s.

Wenn Berthold Koletzko solche Filme sieht, packt ihn das Entsetzen. Denn unter den Zuschauern sind nicht nur Erwachsene, sondern auch viele Kinder. Und die sind besonders anfällig für schlechte Werbebotschaften. Bis zum Alter von vier können die Knirpse nämlich gar nicht unterscheiden, was Werbung ist und was nicht.

Werbung verführt: Werbung, die sich an Kinder richtet, macht fast nur für ungesundes Essen Reklame.
Werbung verführt: Werbung, die sich an Kinder richtet, macht fast nur für ungesundes Essen Reklame.

© Getty Images/iStockphoto

Egal, ob es die bunten Comicfiguren auf Cerealien sind, Zeichentrickkühe, die im Fernsehen für Pudding werben, oder Influencer im Netz: „Werbung wirkt“, sagt der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit an der Kinderklinik der Universität München. Leider, könnte man sagen. Denn 92 Prozent der Werbespots, die sich an Kinder richten, machen Reklame für ungesunde Lebensmittel. Über 15 solcher Spots sehen Drei- bis 13-Jährige am Tag, hat die Universität Hamburg herausgefunden.

85 Prozent der Kinderlebensmittel sind ungesund

Eine neue Studie, die Foodwatch am Mittwoch in Berlin vorstellte, gibt der Diskussion über ein gesetzliches Werbeverbot nun neue Nahrung. Die Verbraucherschützer haben 283 Kinderprodukte untersucht, alle Lebensmittel stammen von Konzernen, die eine Selbstverpflichtung zu verantwortungsvollem Kindermarketing unterschrieben haben, darunter Nestlé, Danone und Unilever.

Das Ergebnis: 85,5 Prozent der Frühstücksflocken, Joghurts, Chips oder Fruchtschorlen sind ungesund, weil sie zu viel Zucker, Fett oder Salz enthalten. Vor sechs Jahren hatte Foodwatch eine ähnliche Analyse gemacht, damals hatten 89,7 Prozent der Produkte die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zum Zucker-, Salz- und Fettgehalt von Kinderlebensmitteln verfehlt.

Das sind die untersuchten Produkte: 242 von 283 untersuchten Kinderlebensmitteln - der Haufen links - erfüllen nicht Nährwert-Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Das sind die untersuchten Produkte: 242 von 283 untersuchten Kinderlebensmitteln - der Haufen links - erfüllen nicht Nährwert-Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

© Foodwatch

„Das Ergebnis ist erschreckend“, kritisiert Barbara Bitzer, Sprecherin der Allianz Nichtübertragbare Krankheiten, in der etwa Verbände der Kinder- und Jugendmedizin, Hausärzte und die Deutsche Krebsgesellschaft vertreten sind. „Die Strategie der Bundesregierung ist gescheitert“, meint Bitzer. Diese setzt auf Selbstverpflichtungen sowohl bei der Reduktion von Zucker, Fett und Salz in den Rezepturen als auch bei der Werbung.

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Werbeverbot und Limo-Steuer

Nach Meinung vieler Experten reicht das nicht. Koletzko fordert eine Limo-Steuer auf zuckrige Softdrinks nach dem Vorbild Großbritanniens, Bitzer will ein gesetzliches Verbot für an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel. Gelten soll das für alle Produkte, die nicht den WHO-Empfehlungen entsprechen. Und das ist – mit 242 von 283 Produkten – der Löwenanteil der Kinderlebensmittel, wie die Foodwatch-Studie zeigt. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) sieht dagegen deutliche Fortschritte.

Klöckner: Kinderlebensmittel sind gesünder geworden

Viele Kinderlebensmittel sind nach Einschätzung des Bundesernährungsministeriums in den vergangenen Jahren gesünder geworden. Im Zuge der 2018 gestarteten nationalen Innovations- und Reduktionsstrategie sei der Zuckergehalt in Kinderjoghurts um 20 Prozent, in Quarkzubereitungen um 18 Prozent gesunken. Frühstückscerealien enthielten jetzt fast 15 Prozent weniger Zucker, Erfrischungsgetränke für Kinder sogar rund 35 Prozent weniger, teilte das Ministerium auf eine Tagesspiegel-Anfrage mit. Bei Wurst- und Fleischwaren sowie bei Brot und Kleingebäck sei zudem der Salzgehalt reduziert worden.

Zu wenig gespart: Die drei zuckrigsten Frühstücksflocken aus dem Foodwatch-Test kommen von Kellogg's. Trotz Zuckerreduktionsprogramm bestehen die Frosties und Smacks nach wie vor zu einem Drittel aus Zucker. Das ist mehr als doppelt so viel wie die WHO empfiehlt.
Zu wenig gespart: Die drei zuckrigsten Frühstücksflocken aus dem Foodwatch-Test kommen von Kellogg's. Trotz Zuckerreduktionsprogramm bestehen die Frosties und Smacks nach wie vor zu einem Drittel aus Zucker. Das ist mehr als doppelt so viel wie die WHO empfiehlt.

© Foodwatch

Eine Limo-Steuer lehnt Klöckner ab. „Mein Ansatz ist ganzheitlich“, sagte die Ministerin dem Tagesspiegel. Mit ihrer Innovations- und Reduktionsstrategie sorge sie dafür, dass Fertigprodukte insgesamt gesünder werden: Nicht nur weniger Zucker, sondern auch weniger Fett, Salz und Kalorien. Eine Limo-Steuer berge die Gefahr, dass Zucker durch Fett oder durch andere Süßungen ersetzt wird. „Dann haben wir nichts gewonnen“, meint die Ministerin.

Industrie spart Zucker

Dass Lebensmittelhersteller inzwischen weniger Zucker verwenden, räumt auch Foodwatch ein. So enthielten Kellog’s Smacks heute 20 Prozent weniger Zucker als 2015, betont Kampagnenchef Oliver Huizinga, aber mit 34 Gramm auf 100 Gramm bestünden die Cerealien noch immer zu einem Drittel aus Zucker. „Der Zuckeranteil liegt damit doppelt so hoch wie von der WHO empfohlen“, kritisiert Huizinga.

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Ferrero, Pepsico, Mars, Unilever und Coca-Cola würden beim Kindermarketing sogar ausschließlich ungesunde Produkte bewerben, einziger Lichtblick sei Danone: Hier seien „nur noch“ 60 Prozent der Kinderlebensmittel unausgewogen.

Warum Fehlernährung so gefährlich ist

Der Streit um gesunde Ernährung hat einen ernsten Hintergrund. 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland gelten als übergewichtig, sechs Prozent sogar als fettleibig. Ihnen drohen im späteren Lebensverlauf Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Gelenkprobleme. Nach Angaben der OECD ist jeder fünfte Todesfall in Deutschland auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.

Werbeverbote können helfen

Gesetzliche Werbeverbote könnten helfen, wie Studien zeigen: Danach ist in Ländern mit Werbeverboten der Konsum von Junk Food um 8,6 Prozent gesunken, berichtet Koletzko. Bei freiwilligen Regelungen, wie in Deutschland, hat es dagegen von 2002 bis 2016 einen Anstieg um 1,7 Prozent gegeben. In Ländern ohne Beschränkung wurde sogar 14 Prozent mehr Junk Food verzehrt.

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