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Die Wirecard-Pleite nach dem aufgedeckten Bilanzbetrug war einer der größten deutschen Wirtschaftsskandale.

© dpa/Peter Kneffel

Wie der Wirecard-Skandal aufgedeckt wurde: Unter Oligarchen, Investoren und Spionen

Frechheit siegt: Der britische Investigativjournalist Dan McCrum erzählt den Wirecard-Skandal als wildes Gangsterdrama.

Größere Ereignisse haben oft banale Anfänge. Im Sommer 2014 lernte Dan McCrum, aufstrebender Journalist bei der „Financial Times“ (FT), den australischen Hedgefonds-Manager John Hempton kennen. Der fragte: „Haben Sie Interesse an ein paar deutschen Gangstern?“ McCrum hatte. Was danach geschah, hat er nun in seinem Buch „House of Wirecard“ aufgeschrieben.

Sieben Jahre recherchierte der Brite, dann fiel das Haus von Wirecard in sich zusammen. Der Bilanzbetrug, anfangs offenbar eher von geringem Umfang, hatte mit den Jahren eine Dimension angenommen, die nur in der Pleite enden konnte, würde sie ans Licht kommen.

„Wie ich den größten Wirtschaftsbetrug Deutschlands aufdeckte und einen Dax-Konzern zu Fall brachte“ – so lautet der selbstbewusste Untertitel des Buches, der, aber keineswegs Angeberei ist. McCrum war nicht allein unterwegs, er hatte Helfer, gute Informanten, Whistleblower, die alle vorkommen in seinem Buch. Je mehr er zu Wirecard schrieb, umso mehr erfuhr er auch.

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Wären McCrum und die „Financial Times“ nicht so hartnäckig gewesen, hätten sie sich früh abbringen lassen von ihrem Verdacht, wären die Versuche, die Aufdeckung der Betrügereien zu verhindern, erfolgreich gewesen – wer weiß, was aus Wirecard noch geworden wäre. Immerhin hatte das Management es geschafft, bis hinein in die Bundesregierung Unterstützung zu finden. Aber nicht gegen die deutschen Gangster (die beiden mutmaßlich größten sind allerdings Österreicher) wurde zunächst von deutschen Behörden ermittelt, sondern gegen McCrum und seine Kollegin Stefania Palma. Die Wirecard-Affäre hat etwas von einer David-und-Goliath-Nummer. McCrum erzählt sie spannend.

Unselige Anfänge

Schon die Anfänge des Unternehmens waren unselig. Der frühe Aufstieg in der Branche der Zahlungsabwickler gelang vor allem durch Geschäfte im „Hochrisikobereich“, also Glückspiel und Pornographie. Wirecard war nie eine echte Technologie-Firma. Erfinderisch war man dort vor allem beim Konstruieren komplexer Unternehmensverbindungen zum Zweck des Verschleierns von Finanzflüssen. Nicht zuletzt der Vizechef Jan Marsalek (er bewegte sich laut McCrum „nahtlos zwischen Investoren, Oligarchen und Spionen“) lebte sein Talent dazu aus. Auch deshalb gelang es, eine irre Wachstumsstory zu verkaufen – die großenteils auf erfundenen Umsätzen beruhte, zuletzt im Milliardenbereich.

McCrum zitiert den Börsenprofi Leo Perry, mit dem er zusammenarbeitete: „Wenn man Umsätze fingiert, hat man am Ende ein Problem mit fingiertem Geld. Am Jahresende erwartet der Wirtschaftsprüfer, einen ausgeglichenen Banksaldo vorzufinden – das ist das Erste, was er prüft. Was man also machen muss, ist, das fiktive Geld für fiktive Vermögenswerte auszugeben.“ Das tat Wirecard vor allem in Asien. Die Wirtschaftsprüfer schauten nicht nach, ob die gekauften Firmen tatsächlich existierten oder den Kaufpreis wert waren.

Ominöse Adressen

Eine angebliche Partnerfirma residierte im Privathaus eines Fischers, eine andere teilte sich die Adresse mit einem kleinen Busunternehmen. McCrum und Palma entdeckten solche Merkwürdigkeiten, weil sie hinflogen zur Augenscheinnahme. Zu den schönsten Passagen des Buches gehört die Darstellung, wie Wirecard-Verantwortliche selbst jene Prüfer, die letztlich doch nach Asien reisten, hinter die Fichte zu führen versuchten. Wirecard betrog aber nicht nur mit undurchsichtigen Firmenkäufen, um Umsätze vorzugaukeln.

Wo ist er untergetaucht? Nach Jan Marsalek wird bis heute gefahndet.
Wo ist er untergetaucht? Nach Jan Marsalek wird bis heute gefahndet.

© imago images/Sven Simon

Das Unternehmen nutzte auch das Geschäft mit Drittpartnerfirmen, um Provisionszahlungen zu fingieren, die auf angeblichen Treuhandkonten irgendwo in Asien verbucht wurden - erfundenes Geld, das die Bilanz aufblähte. Das immer größere Rad, das Marsalek drehte, beruhte weitgehend auf Zahlungsströmen von nur drei Firmen in Dubai, Singapur und Manila. Der Großteil des angeblichen Konzerngewinns ging darauf zurück.

Einblick in investigativen Journalismus

„House of Wirecard“ gibt einen recht guten Einblick in den investigativen Finanzjournalismus. Wer sich da tummelt, sollte nicht zu fromm und zu moralisch sein – und darauf gefasst, dass es unangenehm wird. „Falls Sie dazu recherchieren wollen, seien Sie vorsichtig“, hatte ihm Hempton 2014 mit auf den Weg gegeben. Im Verlauf seiner Recherchen war es McCrum tatsächlich häufiger mulmig zumute, weil er sich beobachtet, ausgeforscht, verfolgt fühlte. Ein guter Hausjurist ist auch von Vorteil.

Das enge Zusammenwirken mit Shortsellern gehört zu diesem investigativen Geschäft. Diese Spezies ist nicht immer transparent und sauber. Aber die Leute, die auf sinkende Kurse von Unternehmen setzen, um damit hohe Gewinne zu erzielen, treiben die Kurse eben nicht nur allein mit Gerüchten und mehr oder weniger glaubwürdigen Analysen nach unten. Sie müssen, um wirklich erfolgreich zu sein, auch solide Fakten oder jedenfalls durch Recherche begründete feste Meinungen haben. Das hat McCrum intensiv genutzt.

Zwielichtige Quellen

Sein Chef Paul Murphy hatte zudem einen so nützlichen wie zwielichtigen „Quellenpool“ in der Londoner Halb- und Unterwelt, den allerdings auch mal die Wirecard-Leute gegen die FT einsetzten, weil sie die Journalisten als korrupt darstellen wollten. Wesentlich war jedoch, dass McCrum und Palma an einen Whistleblower namens Pav Gill gerieten, Justiziar für Wirecard in Asien, der die entscheidenden Hinweise und Dokumente lieferte. In mühsamer Kleinarbeit wertete McCrum – zeitweise in einem geschützten Bereich in der FT-Redaktion arbeitend – das Material aus. Wie immer im Leben, so auch hier: Das Aufdecken des Wirecard-Skandals war eine Mischung aus Glück und Fleiß.

Zur Verantwortung deutscher Behörden und Politiker liest man wenig, und wenn, dann ist das Erstaunen des Briten über die etwas anderen deutschen Verhältnisse nicht zu überlesen. Sein Eindruck vom Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags, der ihn anhörte: „ausufernd und unstrukturiert“. Das Bundesfinanzministerium, in der entscheidenden Phase zwischen 2018 und 2020 von Olaf Scholz geleitet, kommt kaum vor.

Projekt Panther

Allerdings erwähnt McCrum eine der wilderen Begebenheiten in dieser Story: das „Projekt Panther“, die Übernahme der Deutschen Bank durch Wirecard. Tatsächlich hatten Braun und Marsalek 2019 die Idee, sich die größte deutsche Bank zu greifen. „Bei einem Deal dieser Größenordnung würden Probleme mit der Bilanz von Wirecard in den Katakomben der Deutschen Bank verschwinden und nie wieder ans Tageslicht gelangen“, schreibt McCrum. Es wäre der „größte Bankraub der Geschichte“ geworden.

Er wartet im Gefängnis auf seinen Prozess: Wirecard-Chef Markus Braun.
Er wartet im Gefängnis auf seinen Prozess: Wirecard-Chef Markus Braun.

© imago images/Sven Simon

Die Beraterfirma McKinsey schrieb auch eine Machbarkeitsstudie. Nach der Darstellung McCrums kontaktierte Marsaleks PR-Berater – er wird im Buch nur „Herr Samt“ genannt – die Schweizer Bank UBS, die den Deal unterstützen sollte. In Berlin wurde demnach bei der damaligen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (die potenzielle Merkel-Nachfolgerin) nachgefühlt – und bei Finanzstaatssekretär Jörg Kukies, dem ehemaligen Goldman-Sachs-Manager, der mittlerweile mit Scholz ins Kanzleramt eingezogen ist.

Was lief in Berlin?

Bei Wirecard kam an, beide würden das Projekt vermutlich unterstützen. In einer Fußnote ergänzt McCrum, Kukies habe erklärt, er sei nicht angesprochen worden und habe einer Übernahme nicht zugestimmt. Kurz zuvor war der Versuch des Finanzministeriums gescheitert, Deutsche Bank und Commerzbank zu einer Fusion zu bewegen. Man wollte im Scholz-Ressort damals einen „nationalen Champion“ im Finanzbereich schaffen. Es gab zu der Zeit auch zwei Gespräche auf Führungsebene zwischen Deutscher Bank und Wirecard.

[Lesen Sie dazu auch bei Tagesspiegel Plus: China, Fusionsideen, Geheimdienstliches]

Es war also etwas im Schwange im Jahr 2019, das nicht ohne die Zustimmung oder Mitwirkung der Regierung laufen würde. Welchen Einfluss das auf die Wahrnehmung Wirecards im politischen Berlin hatte, darüber lässt sich nur spekulieren. Die Aufdeckung des Bilanzbetrugs beendete definitiv, was immer da erwogen, erhofft, vorbereitet oder auch behindert worden war.

McCrum erwähnt in der Einleitung, dass Olaf Scholz ihm gedankt habe für sein Engagement. In seiner Laudatio bei der Überreichung des Deutschen Reporterpreises im Dezember 2020 sagte Scholz, McCrum habe sich „große Verdienste um den Rechtsstaat, unser Gemeinwesen und – und das will ich hier sehr deutlich sagen – auch um den Finanzstandort Deutschland erworben“. Auf 450 Seiten hat der Gelobte das jetzt aufbereitet.

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