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Eine große Menge der europäischen Raps-Produktion landet im Tank.

© Patrick Pleul/dpa

Wegen der Getreide-Knappheit: Die Kritik an Lebensmitteln im Tank wächst

Wegen der hohen Getreidepreise fordert die Deutsche Umwelthilfe ein Ende der Biosprit-Beimischung in Deutschland. Die Branche setzt hingegen auf den Markt.

Noch immer liegen 200 bis 300 Handelsschiffe im Schwarzen Meer. Russland hindere die Schiffe daran, die Kriegsregion zu verlassen, beklagte vergangene Woche Noriel Araúz von der panamaischen Schifffahrtsbehörde. Zuvor hatten russische Raketen drei Schiffe unter der Flagge Panamas getroffen und eines davon versenkt. In der Blockade erkennen viele Beobachter:innen längst ein Mittel der psychologischen Kriegsführung. Denn fast alle festsitzenden Schiffe transportieren Weizen.

„Das gehört ja zu Putins Strategie, dass er den Hunger in der Welt anfeuert und damit Millionen Menschen als Geiseln nimmt“, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) dem „Spiegel“. Nach Kriegsbeginn notierte der Weizenpreis auf dem Weltmarkt Anfang März mit 422,50 Euro je Tonne fast doppelt so hoch wie im Vorjahr. Auch derzeit steht er bei 362 Euro weiterhin auf sehr hohem Niveau.

Für viele der ärmsten Länder der Welt, die einen Großteil ihres Getreides importieren, sind die hohen Preise bereits jetzt ein enormes Problem. Und Besserung ist kaum in Sicht. Russland und die Ukraine gehören in Friedenszeiten zu den großen Kornkammern der Welt.

Beide Länder stehen zusammen für rund 30 Prozent des weltweiten Weizenexports. Zudem kommen 50 Prozent des Sonnenblumenöls auf dem Weltmarkt aus der Ukraine. Bei Roggen sind es 40 und bei Raps 20 Prozent. Ob die beiden Länder dieses Jahr wieder in diesem Umfang liefern werden, ist mehr als fraglich.

Deutsche Umwelthilfe fordert schnellen Biosprit-Stopp

Unter dem Vorsitz Deutschlands haben die G7-Staaten bereits diskutiert, welchen Beitrag sie zur weltweiten Versorgungssicherheit leisten können. Der Verkehrssektor gerät dabei zunehmend in den Fokus der öffentlichen Debatte. Schließlich landet ein beträchtlicher Teil der weltweiten Agrarproduktion im Tank. 

Die Bundesregierung solle das Verbrennen von Lebensmitteln für sogenannten Agrokraftstoff umgehend stoppen, forderte Ende vergangener Woche die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Während in Ländern im Nahen Osten und in Afrika Hungersnöte drohten, sei „in keiner Weise vertretbar“, weiter Getreide und andere Lebensmittel in Autotanks zu füllen, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

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Unmittelbar vor dem russischen Angriff auf die Ukraine veröffentlichte die DUH eine Studie des Heidelberger Ifeu-Instituts, die den enormen Flächenverbrauch für Biosprit zeigt. Für die in Deutschland 2020 verbrauchten Biokraftstoffe wird im In- und Ausland demnach eine Fläche etwa von der Größe Schleswig-Holsteins bepflanzt. Laut DUH werden zwölf Prozent des in Deutschland verwendeten Getreides für die Produktion von Bioethanol und Biodiesel eingesetzt, die herkömmlichem Benzin und Diesel beigemischt werden. 

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Getreide aus der Ukraine sei dabei die Grundlage für fast 40 Prozent des in Deutschland eingesetzten Bioethanols, teilte die Umweltorganisation mit. Insgesamt würden jährlich über 3,4 Millionen Tonnen Getreide und Ölpflanzen für Agrokraftstoff genutzt. Die DUH erkennt in einem Stopp der Biokraftstoff-Beimischung deshalb „eine der wirksamsten Stellschrauben“ gegen den globalen Preisschock bei Grundnahrungsmitteln.

Tierzucht lässt sich kurzfristig kaum reduzieren

So sieht das auch der Agrarökonom Matin Qaim vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn. Zwar sei es auch sinnvoll, Deutschlands Tierzucht zurückzufahren, sagte er Background. Doch abseits von Appellen sieht Qaim kaum Möglichkeiten für die Politik, um kurzfristig den Fleischkonsum zu reduzieren und Tierfutter-Felder, die mehr als 50 Prozent der deutschen Anbaufläche ausmachen, für die menschliche Ernährung zu gewinnen. So hat EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski bereits angekündigt, dass er die Tierzüchter angesichts der hohen Futterpreise unterstützen will.

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Ähnlich schaut es beim sogenannten Energie-Mais für Biogas-Anlagen aus. Den Energiebauern sei die Einspeisung ihres damit gewonnenen Stroms mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz garantiert, erläuterte Qaim. Beim Biosprit hofft der Forscher hingegen auf einen schnellen Kurswechsel. „Bioethanol und Biodiesel sind weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll“, sagte er. „Produziert werden sie nur, weil die Beimischung gesetzlich garantiert ist.“

Umstrittene Klimabilanz

Insbesondere Biodiesel steht seit Jahren in der Kritik, weil dafür viel Palmöl verwendet wird. Im Hauptherkunftsland Indonesien wird für neue Plantagen seit Jahren Regenwald gerodet. „Wenn deutscher Biosprit so zur Entwaldung beiträgt, ist die Klimabilanz jahrzehntelang negativ“, kritisiert Qaim.

Der Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft (BDBe) sieht in dem diskutierten Beimischungsverbot hingegen eine „Scheinlösung“ und „Aktionismus“. Der Verband verweist darauf, dass Biokraftstoffe auch die Abhängigkeit von fossilem Sprit verringern. Die Bioethanolwirtschaft in der Europäischen Union habe außerdem zuletzt neben 4,4 Millionen Tonnen Bioethanol auch 4,2 Millionen Tonnen Futtermittel hergestellt. Hinzu kämen rund 1,1 Millionen Tonnen weiterer wertvoller Produkte wie organischer Dünger, Biogas oder biogenes CO2.

BDBe-Geschäftsführer Stefan Walter betont jedoch zugleich die Verantwortung der Branche. „Wir sind Teil der Agrarindustrie“, sagte er Background. Gebe es nicht mehr genug Getreide, sei klar, dass die Lebensmittelproduktion Vorrang habe. 

Biosprit-Branche: Markt sorgt ohnehin für weniger Produktion

Biokraftstoffe dienten vor allem der Nutzung von Überproduktion, heißt es in der Branche. Diese Pufferfunktion sehe man jetzt, sagte Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbands der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB). Die Preise für Getreide und Pflanzenöl seien derzeit so hoch, dass es sich zunehmend nicht mehr lohne, Kraftstoffe herzustellen. „Die Rohstoffe gehen vorrangig in den Nahrungsmittelbereich.“ 

Tatsächlich schreibt der Gesetzgeber den Mineralölkonzernen – nach einer Reform auf europäischer Ebene – nicht mehr eine feste Beimischung von Biosprit, sondern eine sogenannte Treibhausgasminderungsquote vor. Diese kann die Industrie auch durch den Einsatz von strombasierten synthetischen Kraftstoffen oder mit CO2-Zertifikaten erfüllen. Die Marktkräfte bewirkten deshalb schneller und flexibler eine Reduktion von Biosprit als eine administrative Änderung, meinte Baumann.

Auch das Landwirtschaftsministerium spricht sich auf Anfrage gegen eine temporäre Streichung der Quote im Bundes-Immissionsschutzgesetz aus. Aufgrund der nötigen Gesetzesänderung sei dies keine Lösung, um auf mögliche kurzfristige Engpässe bei der Nahrungsmittelversorgung zu reagieren. „In der aktuellen Situation ist es die wichtigste Maßnahme, die globalen Agrarmärkte offen zu halten und die weltweite Versorgung mit Getreide zu gewährleisten“, erklärte eine Sprecherin.

Branche hofft auf sinkende Preise

Die Biosprit-Branche setzt auf eine schnelle Beruhigung der Märkte. China mit seinen gewaltigen Getreidereserven könnte einspringen, hofft Elmar Baumann. „Wir haben derzeit keine Mengen-, sondern eine Preis- und Verfügbarkeitskrise“, meinte Stefan Walter. Das Getreide liege auf Schiffen oder Lagern und könne nicht exportiert werden. 

Agrarökonom Matin Qaim kommt zu einer anderen Bewertung. „Die Getreidepreise steigen vor allem in Erwartung einer kommenden Knappheit“, sagte er. Qaim verweist darauf, dass die Bauern und Bäuerinnen in der Ukraine wegen des Kriegs ihre Aussaat stark eingeschränkt haben. Zudem haben mit Russland und Argentinien bereits die ersten großen Agrarländer Exportstopps verhängt

„Den Preis für fehlendes Getreide im Spätsommer werden vor allem die ärmsten Länder der Welt zahlen“, befürchtet Qaim. Der Forscher hofft deshalb weiter auf eine Intervention der Politik. Dass allein der Markt die Biosprit-Produktion ausreichend sinken lässt, hält er angesichts des hohen Ölpreises für illusorisch. 

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