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Das Ersparte retten: Ein Ausverkauf soll bei Wertpapierfonds verhindert werden.

© Getty Images/iStockphoto

Verkauf von Anteilen kann eingeschränkt werden: Krisenhilfe für Fonds

Per Gesetz können Aktien- oder Rentenfonds Anleger auch gegen ihren Willen an sich binden. Die neuen Regeln werden jetzt wirksam.

Knapp zwei Jahre ist es her, da gingen die Kurse auf Talfahrt. Die Börse begann zu ahnen, dass die Coronakrise kein Kinderspiel ist. Lockdowns und Reisebeschränkungen führte weltweit zum Börsencrash. Ende Februar ging es los, im März kam es richtig dicke für die Anleger. Der europäische Aktienindex Euro Stoxx 50 verlor an einem Tag rund 360 Punkte – ein Kursverfall um 12,4 Prozent. Auch der Deutsche Aktienindex und der Dow Jones mussten massive Kursverluste hinnehmen. Der MSCI World, ein Aktienindex, der über 1600 Aktien aus 23 Industrieländern abbildet, fiel von seinem Hoch im Februar 2020 in Euro gerechnet bis Mitte März 2020 um über 30 Prozent.

Nicht nur die Aktionäre, die ihr Geld direkt in Unternehmensbeteiligungen gesteckt hatten, auch die Investmentfonds waren betroffen. Die Sorge war groß, dass sich bei Aktien- oder Rentenfonds das wiederholen würde, was 2008 offene Immobilienfonds in die Krise getrieben hatte: Weil damals viele Anteilseigner aus Angst davor, ihr Geld zu verlieren, gleichzeitig ihre Anteile zurückgeben wollten, gerieten große Fonds in Schieflage.
Sie konnten ihre Immobilien nicht schnell genug verkaufen, um alle Rückgabewünsche zu erfüllen, daher wurden die Fonds geschlossen. Die Anleger waren gefangen. Als Lehre aus diesem Debakel gelten für offene Immobilienfonds seit 2013 strenge Mindesthalte- und Rückgabefristen.

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Finanzaufsicht, Politik und die Investmentbranche wollen verhindern, dass sich so etwas bei offenen Wertpapierfonds wiederholt. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ist bereits Ende März 2020 eine Reform des Kapitalanlagegesetzbuchs in Kraft getreten, die im Fall einer Marktkrise die Flexibilität der Anleger einschränkt. Das Gesetz erlaubt den Fondsgesellschaften, Rücknahmewünsche zeitverzögert oder nur zum Teil zu erfüllen und den Anlegern, die ihre Fondsanteile zurückgeben wollen, als Strafe die Transaktionskosten in Rechnung zu stellen.

Die neuen Fondsregeln kommen jetzt bei den Anlegern an

Obwohl die Reform schon zwei Jahre alt ist, werden Fondssparer erst jetzt damit konfrontiert. Denn jahrelang haben die Deutsche Kreditwirtschaft, die Finanzaufsicht Bafin und das Bundesfinanzministerium in einem Arbeitskreis mit dem Fondsverband BVI über die Umsetzung beraten. Erst Anfang dieses Jahres waren die Arbeiten abgeschlossen. Fondsgesellschaften haben daher vor kurzem ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen geändert oder werden es demnächst tun. Erste Anleger bekommen in diesen Tagen Post von ihrer Bank oder Sparkasse mit einer Information über die neuen Regeln für Investmentfonds.

Bloß keine Panik. In den USA stehen Zinserhöhungen an, was macht das mit den Aktienmärkten?
Bloß keine Panik. In den USA stehen Zinserhöhungen an, was macht das mit den Aktienmärkten?

© Fredrik von Erichsen/DPA

Und die sehen so aus: Fondsgesellschaften können in ihren Anlagebedingungen festlegen, dass die Kunden zwar unwiderruflich die Rückgabe ihrer Anteile erklären müssen, der Auftrag aber auf Eis gelegt und bis zu einem Monat später ausgeführt werden kann - zum dann gültigen Preis. Wollen sich viele Anleger auf einmal von ihren Anteilen trennen, kann die Rücknahme der Anteile ab einem bestimmten Schwellenwert – bei den Deka-Sparkassen-Fonds sind es zehn Prozent - für 15 Arbeitstage beschränkt werden. Rückgabewünsche würden dann nur teilweise ausgeführt. Schließlich sieht das Gesetz das „Swing Pricing“ vor, bei dem die Fondsgesellschaften das Recht haben, den Ausgabepreis zu erhöhen oder den Rücknahmepreis zu senken, um die Transaktionskosten durch die vermehrten Rückgaben den Anteilseignern in Rechnung zu stellen, die ihre Anteile loswerden wollen.

Warum die Rechte der Anleger eingeschränkt werden

Im Bundesfinanzministerium räumt man ein, dass die neuen Regeln für Anleger möglicherweise Einschränkungen bedeuten, die sie bei ihrer Finanzplanung berücksichtigen müssen. „Die Maßnahmen sollen jedoch verhindern, dass Anteilscheinrücknahmen vollständig ausgesetzt werden müssen, was Anleger noch stärker belasten würde“, sagte ein Ministeriumssprecher auf Tagesspiegel-Anfrage. Bislang habe lediglich die Möglichkeit bestanden, die Rücknahme der Anteile komplett auszusetzen, wenn ein Fonds nicht über eine ausreichende Liquidität verfügte, um alle Rücknahmeverlangen zu bedienen.

Im Bundesfinanzministerium verteidigt man die neuen Regeln.
Im Bundesfinanzministerium verteidigt man die neuen Regeln.

© imago images/Jürgen Ritter

„Dies bedeutete, dass der Anleger seine Anteile an dem Fonds bis auf weiteres überhaupt nicht mehr zurückgeben konnte“, heißt es im Ministerium. Insgesamt kämen die Liquiditätsmanagementtools daher Kleinanlegern eher zugute. Denn häufig seien es größere Anleger, die in einem Krisenfall als erste umfangreichere Pakete von Anteilen an einem Fonds zurückgeben. Kleinanleger werden von den Auswirkungen dieser Rückgaben quasi überrascht.

Alle Anleger müssten informiert werden

Beim BVI glaubt man nicht, dass Gesellschaften von den neuen Möglichkeiten allzu häufig Gebrauch machen. Denn bevor eines der neuen Tools eingesetzt wird, müsse nicht nur die Finanzaufsicht Bafin informiert werden, sondern die Fondsgesellschaft müsse auch alle Anteilseigner davon in Kenntnis setzen, betont ein Sprecher. Das will aber gut überlegt sein: Möglicherweise würde man mit diesem Schritt nämlich genau das auslösen, was man verhindern will – eine Massenkündigung, weil Anleger das Vertrauen verlieren. Hinzu kommt: Selbst beim Crash 2020 haben die Anleger weitgehend die Nerven behalten und sind bei der Stange geblieben. Das macht Hoffnung, dass die neuen Regeln nicht zur Anwendung kommen müssen.

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Was Anleger jetzt tun sollten

Fondsanleger sollten aber dennoch in ihren Bedingungen nachschauen, in welchem Maße ihre Gesellschaft die Liquiditätstools dort verankert hat. Denn das ist in der Branche keinesfalls überall gleich. Union Investment, die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken, will nämlich beispielsweise weder das „Swing Pricing“ noch die Rücknahmefristen umsetzen. Einzig die Beschränkung von Rücknahmen – beispielsweise auf 60 Prozent – will auch Union Investment aufnehmen. „Dies dient dem Schutz der Anleger, da einerseits mehr Anleger einen Teil ihres Geldes sofort bekommen“, sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel. Andererseits ließen sich so Verkaufsspitzen abfedern und eine Schließung des Fonds verhindern.

Der Ausweg: ein Verkauf über die Börse

Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, betont, dass Verbrauchern ein Ausweg bleibt. „Man kann seine Anteile immer über die Börse verkaufen“, beteuert der Verbraucherschützer. In einem solchen Fall gelten weder Rücknahmefristen noch -einschränkungen. Nur der Kurs kann natürlich schlecht sein, wenn viele Anleger ihre Fondsanteile los werden wollen und bei der Fondsgesellschaft abblitzen.

Welche Regeln für Immofonds gelten

Verglichen mit den neuen Regeln für Aktien- und Rentenfonds sind die Vorgaben für offene Immobilienfonds deutlich strenger. Für Anleger existieren seit 2013 erschwerte Rückgaberegeln.
Liegen die Fondsanteile erst seit dem 22. Juli 2013 im Depot, müssen Anleger die Anteile mindestens 24 Monate halten, bevor sie diese an die Fondsgesellschaft zurückgeben können. Zudem muss man seine Rückgabeabsicht ein Jahr vor dem geplanten Termin unwiderruflich erklären.

Die Kurse im Blick: Notfalls kann man seine Anteile auch über die Börse verkaufen.
Die Kurse im Blick: Notfalls kann man seine Anteile auch über die Börse verkaufen.

© Alexander Heinl/dpa-tmn

Kleinanleger mit älteren Fondsanteilen genießen in einem Punkt größere Flexibilität: Wer bereits vor dem 22. Juli 2013 investiert war, kann pro Kalenderhalbjahr Anteile im Wert von 30.000 Euro zurückgeben. Für Beträge darüber hinaus müssen die 24-monatige Mindesthalte- und die einjährige Rückgabefrist beachtet werden. Wer seine Fondsanteile schon vor dem 1. Januar 2013 erworben hat, hat pro Kalenderhalbjahr einen Freibetrag von 30.000 Euro. Für Beträge darüber hinaus muss zwar die einjährige Kündigungs-, nicht aber die Mindesthaltefrist eingehalten werden. Unbenommen ist es allen Anlegern aber weiterhin, ihre Anteile über die Börse zu verkaufen.

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