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Rund 1,2 Millionen Personen arbeiten hierzulande in der Altenpflege, nur ein Bruchteil davon unter dem Schutz eines Tarifs.

© picture alliance/dpa

Verdi-Chef Werneke zur Altenpflege: „Jetzt ist Spahn am Zug“

Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke über das Scheitern der Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags für die Altenpflege.

Herr Werneke, obgleich es eine enge Abstimmung mit Caritas und Diakonie gegeben hat bei der Formulierung eines Tarifvertrags für die Altenpflege, votierte die Caritas gegen die Allgemeinverbindlichkeit des Vertrags. Was ist schiefgelaufen?

Die Dienstgeberseite hat sich offenbar aus zwei Gründen gegen den Tarifvertrag entschieden. Zum einen sind die Dienstgeber der Kirchen stark weltanschaulich und mental im Arbeitgeberlager verankert. Daraus ergibt sich eine Distanz zu Gewerkschaften. Und zum anderen hat der Bundesgesundheitsminister eine große Rolle gespielt, indem er den Dienstgebern eine Möhre hingehalten hat.

Was für eine Möhre?
Jens Spahn hat behauptet, es gebe eine Alternative zu unserem Tarifvertrag, indem er den Dienstgebern die Refinanzierung der Personalkosten angeboten hat: Wenn sich die Pflegeheimbetreiber oder ambulanten Pflegedienste an einen Tarif halten, übernimmt die Pflegeversicherung die Kosten. Diese Aussage Spahns hat dann offenbar manche Dienstgeber von der Zustimmung zur Allgemeinverbindlichkeit unseres Tarifes abgehalten.

Das klingt doch gut, denn das Ziel einer höheren Tarifbindung könnte auch damit erreicht werden.
Warten wir ab, ob Jens Spahn den Vorschlag ernst meint und Taten folgen lässt, oder ob das ein Ablenkungsmanöver war, um die Allgemeinverbindlichkeit des Flächentarifs zu verhindern. Wenn er es ernst meint, dann muss ausgeschlossen werden, dass Arbeitgeber auf Gefälligkeitstarifverträge von Pseudo-Gewerkschaften Bezug nehmen können und weiter Dumpinglöhne zahlen. Die Erwartungen von 1,2 Millionen Beschäftigten in der Pflege richten sich an Spahn. Er muss einen Gesetzgebungsvorschlag machen

Frank Werneke (53) ist seit anderthalb Jahren Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und damit oberster Interessenvertreter von rund zwei Millionen Verdi-Mitgliedern.
Frank Werneke (53) ist seit anderthalb Jahren Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und damit oberster Interessenvertreter von rund zwei Millionen Verdi-Mitgliedern.

© imago images/photothek

Und wenn nicht?
Dann werden wir die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu einem zentralen Thema im Bundestagswahlkampf machen. Und sicherlich nicht nur wir. In der Pandemie ist doch allenthalben deutlich geworden, zu welchen Bedingungen in der Pflege gearbeitet wird.

Wie viele der 1,2 Millionen Beschäftigen werden gegenwärtig nach Tarif bezahlt?
Es gibt mehrere Tarifverträge, die insgesamt etwa ein Fünftel der Beschäftigten erreichen. Die größte Bedeutung hat der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, der für rund zehn Prozent unmittelbar gilt. In der Logik des Vorschlags von Spahn wäre das dann die Leitwährung für die Bezahlung in der Altenpflege. Wir werden sehen, ob das die privaten Anbieter mitmachen. Im Moment freuen sich Arbeitgebervertreter wie Rainer Brüderle und Steffen Kampeter ja einen Wolf, weil sie dazu beigetragen haben, die Verbesserung der Bedingungen in der Pflege verhindert zu haben.

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Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände BDA, fordert Sie auf, die „Selbstverzwergung“ zu überwinden und nicht nach dem Staat zu rufen. Wenn Verdi mehr Mitglieder hätte in der Pflege, dann gäbe es das ganze Theater nicht.
Herr Kampeter hat sich dem Ziel verschrieben, Tarifverträge in der privaten Altenpflege zu verhindern. Es gibt zwei BDA-Mitgliedsverbände aus der Pflege, deren Geschäftszweck allein die Verhinderung von Tarifverträgen ist. Kampeter macht sich zum Claqueur dieser Verbände. Das ist schon bemerkenswert, früher hatte die BDA den Anspruch das Tarifvertragssystem zu stabilisieren.

Neben der Pflege sind auch andere Verdi-Branchen stark betroffen von der Pandemie. Welche Erwartungen haben Sie an die Ministerpräsidentenkonferenz in der kommenden Woche?
Trotz des zunehmenden Drucks hat die Begrenzung des Infektionsgeschehens höchste Priorität. Zweitens sollten wir einen bundesweit einheitlichen Fahrplan haben, ab welcher Inzidenz geöffnet darf. Für weitere Öffnungen sollte die 50 unterschritten sein. Und dann brauchen wir verlässliche Zukunftskontrollen. Im vergangenen Frühjahr hat es da viel Schlendrian gegeben.

Aber als Hotspot ist der Einzelhandel bislang nicht aufgefallen.
Die Schutzkonzepte müssen da sein und angewendet werden. Gerade im Moment haben wir reihenweise Auseinandersetzungen in Handelsbetrieben um Hygienekonzepte mit den Arbeitgebern. Das ist viel Schaumschlägerei beim Handelsverband HDE dabei. In der Praxis müssen unsere Kolleginnen und Kollegen hart auf Einhaltung der Konzepte drängen.

Hoffen Sie auf die Schnelltests?
Wenn damit vor dem Geschäft, dem Restaurant oder Theater sichergestellt werden kann, dass von Besuchern und Kundinnen kein Risiko ausgeht, wäre das ein großer Fortschritt. Der Bundesgesundheitsminister hat ausreichende Kapazitäten versprochen. Ich bin gespannt. Für den Handel, den Tourismus und die Kulturwirtschaft könnten die Tests eine Öffnung in absehbarer Zeit ermöglichen. Vielleicht sogar vor Ostern.

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