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Die Sterne stehen für Daimler günstig: Die meisten Klagen hat der Konzern bisher gewonnen.

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Update

Bundesgerichtshof zum Dieselskandal: „Thermofenster“ allein rechtfertigt keinen Schadensersatz für Daimler-Fahrer

Es gibt trotzdem Hoffnung für die Kunden, sagen Anwälte. Gerichte müssen Manipulationsvorwürfe prüfen. ADAC: Klagen gegen Daimler sind schwieriger als gegen VW.

Im Dieselabgasskandal hat Daimler vor dem Bundesgerichtshof wie erwartet einen Punktsieg erzielt. Die höchsten deutschen Zivilrichter erklärten am Dienstag, der Einbau eines Thermofensters allein rechtfertige noch keinen Anspruch auf Schadensersatz (Az. VI ZR 128/20). Ein Thermofenster legt einen Temperaturbereich fest, in dem die Abgasreinigung reduziert oder sogar abgeschaltet wird. Die Technik wird in der Autoindustrie häufig eingesetzt. Um welche Temperaturen es geht, ist dabei unterschiedlich.

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Der Europäische Gerichtshof hatte im vergangenen Dezember im Fall von Volkswagen kritisch über Abschalteinrichtungen wie das Thermofenster entschieden (C-693/18). Nur wenn ein Motorschaden plötzlich und gewaltsam auftrete, sei eine Abschalteinrichtung zur Vorbeugung zulässig, hatte der EuGH geurteilt.

Auto des Anstoßes: ein Mercedes-Diesel C 220 d.
Auto des Anstoßes: ein Mercedes-Diesel C 220 d.

© dpa

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte jedoch bereits im Januar und bei der mündlichen Verhandlung zur aktuellen Dieselklage Ende Juni durchblicken lassen, dass die Existenz eines Thermofensters allein die Autohersteller nicht zum Schadensersatz verpflichtet - anders als eine Software, die zwischen Prüfstand und normalem Fahrbetrieb differenziert.

Was Daimler von VW unterscheidet

Dieser Punkt unterscheidet den Daimler-Fall von Volkswagen. VW hatte in Millionen Dieseln heimlich eine Betrugssoftware eingesetzt, die in Behördentests verschleierte, dass eigentlich zu viele Schadstoffe ausgestoßen wurden. Dagegen gebe es bei Daimler keine Software, die in einen anderen Modus schalte, wenn das Auto auf dem Prüfstand stehe, sagte der Senatsvorsitzende Stephan Seiters in Karlsruhe. Das Thermofenster arbeitet also immer gleich, ob auf der Straße oder im Test. Sein Einsatz allein reicht folglich nicht aus, um Schadensersatz auszulösen. Dazu bräuchte es Hinweise auf ein „besonders verwerfliches Verhalten“ bei Daimler-Verantwortlichen. „Dies ist im Streitfall nicht festgestellt“, so der BGH.

Warum es für Kunden trotzdem Hoffnung gibt

Während Daimler das Urteil begrüßte, sehen Klägeranwälte in der Entscheidung aber auch Grund zur Hoffnung für Dieselkunden. Denn der sechste Zivilsenat des BGH hob mit seiner Entscheidung das Urteil der Vorinstanz auf und forderte das Oberlandesgericht Karlsruhe auf, erneut über den Fall zu verhandeln. Der Kläger, der im Jahr 2012 für 35.000 Euro einen neuen Mercedes C220 BlueEfficiency mit dem Dieselmotor OM651 gekauft hatte, hatte nämlich bemängelt, dass neben dem Thermofenster weitere Abschalteinrichtungen verbaut sind. Das Oberlandesgericht hatte das ignoriert. Zu Unrecht, wie der BGH meint.

Der Kläger hatte sich auf Zeitungsberichte berufen. Mehr könne man von einem Außenstehenden nicht erwarten, sagte der Seiters „Diese Entscheidung wird auch für andere deutsche Gerichte eine Signalwirkung haben, die solchen Anschuldigungen bisher nicht ausreichend nachgegangen sind“, sagte Rechtsanwalt Claus Goldenstein, der das erste Dieselurteil vor dem BGH erstritten hatte.

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ADAC sieht die Sache skeptisch

Silvia Schattenkirchner, Leiterin des Verbraucherrechts beim ADAC, ist vorsichtiger in ihrer Bewertung: Für Daimler sei das Urteil ein Erfolg, weil Klagen wegen des Thermofensters nun auch höchstrichterlich eine Absage erteilt worden sind. "Damit dürften sich Tausende von Klagen erledigt haben", sagte die Juristin dem Tagesspiegel. Auf der anderen Seite habe der BGH eine Tür geöffnet, die die Vorinstanz zugeschlagen hatte. Doch dass das Oberlandesgericht Karlsruhe nun prüfen muss, ob andere unzulässige Vorrichtungen verbaut worden sind, bedeute nicht, dass diese Klage auch gewonnen wird.

Zu viele Abgase? Im Dieselskandal geht es immer um die Frage, ob die Autos auf der Straße mehr Stickoxid ausstoßen als sie dürfen.
Zu viele Abgase? Im Dieselskandal geht es immer um die Frage, ob die Autos auf der Straße mehr Stickoxid ausstoßen als sie dürfen.

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Musterklage gegen Daimler

Gegen solche Abschalteinrichtungen wendet sich auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen mit seiner neuen Musterfeststellungsklage gegen Daimler. Die Verbraucherschützer wollen anhand von einigen Modellen der SUV-Diesel GLK und GLC gerichtlich klären lassen, dass der Speichermodus, der die Einspritzung von Adblue-Harnstofflösung reguliert, die Abgasrückführung und die Regelung der Kühlmitteltemperatur rechtswidrig sind und von Daimler vorsätzlich und sittenwidrig verwendet worden sind. Verbraucher, die sich der Klage anschließen, verhindern zudem, dass die Verjährung ihrer Ansprüche einsetzt. Daimler weist die Vorwürfe zurück und verweist darauf, dass bislang der allergrößte Teil der Klagen gegen den Konzern abgewiesen worden ist.

Immer mehr Klagen gegen Daimler

Während die Klagen gegen Volkswagen zurückgehen, rückt zunehmend Daimler in den Focus der Dieselklagen. Das Oberlandesgericht Stuttgart, an dem Daimler seinen Unternehmenssitz hat, verzeichnete im vergangenen Jahr mit über 4800 neuen Abgasfällen den stärksten Zuwachs, in den ersten vier Monaten dieses Jahres kamen bereits weitere 2320 Berufungen hinzu. Nach Angaben des Deutschen Richterbunds haben sich die Fälle gegen Daimler 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast verdreifacht.

Warum Klagen gegen Daimler schwieriger sind

Dass die meisten Klagen gegen Daimler gescheitert sind, führt ADAC-Juristin Schattenkirchner darauf zurück, dass die Fälle VW und Daimler nicht vergleichbar seien. Nach Meinung der meisten Gerichte sei ein "arglistiges Vorgehen" wie bei VW bei Daimler nicht zu erkennen. Unterm Strich müssen Kläger Daimler nicht nur unzulässige Technik, sondern auch eine arglistige Täuschung nachweisen. Daimler müsste also nachweisbar das Ziel verfolgt haben, die Abgaswerte auf dem Prüfstand zu verbessern, die Kunden darüber zu täuschen und zu schädigen. "Die Hürden für Diesel-Besitzer, gegen den schwäbischen Autobauer wegen der Abgasaffäre erfolgreich auf Schadensersatz zu klagen, sind also höher als im Fall von VW", warnt die Expertin.

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