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Rund eine Million Metaller haben sich nach Angaben der IG Metall seit Anfang März an Warnstreiks beteiligt.

© dpa

Tarifkompromiss in der Metallindustrie: Auf der Höhe der Zeit

Abschluss nach 7. Verhandlungsrunden: 500 Euro in diesem Jahr und ab 2022 eine Vier-Tage-Woche mit Lohnausgleich möglich.

Am Ende einer langen Nacht gab es am Dienstagmorgen in Düsseldorf nur Sieger zu bestaunen. Die Arbeitgeber feierten die Tarifautonomie und den überraschend günstigen Tarifkompromiss, und die IG Metall sah ihre Hauptforderung einer Vier-Tage-Woche mit Teillohnausgleich als ein Instrument zur Beschäftigungssicherung umgesetzt. Über Monate hatten sich die Verhandlungen hingezogen, weil die Positionen in der Pandemie noch weiter auseinanderlagen als bei Verteilungskonflikten in normalen Zeiten: Die IG Metall war mit einer Forderung von vier Prozent ins Rennen gegangen, die sowohl für eine Stabilisierung der Einkommen als auch für einen Teillohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzung zu verwenden wären; ferner wollte die Gewerkschaft in so genannten Zukunftstarifverträgen eine Mitgestaltung der Arbeitnehmer in der Transformation festschreiben.
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Die Arbeitgeber wiederum argumentierten mit den Folgen der Coronapandemie und wollten eine Kostenentlastung zumindest für die Unternehmen in Schwierigkeiten. Am Ende müssen sie in diesem Jahr „nur“ eine Coronahilfe von 500 Euro zahlen in der Kernbranche der deutschen Industrie mit ihren knapp 3,8 Millionen Beschäftigten.

Zeit statt Geld

Teurer wird es im nächsten Jahr, wenn erstmals ein so genanntes Transformationsentgelt in Höhe von 18,4 Prozent eines Monatseinkommens zu zahlen ist; von 2023 an sind dafür jedes Jahr 27,6 Prozent fällig. Dieses Geld kann ausgezahlt oder mit einer Arbeitszeitverkürzung verrechnet werden – Zeit statt Geld, um Arbeitsplätze sich sichern. Zuzüglich des tariflichen Zusatzgeldes, das IG Metall und Arbeitgeber bereits 2018 vereinbart haben, könnte dann tatsächlich eine Vier-Tage-Woche eingeführt werden, ohne das Monatseinkommen zu reduzieren. Die IG Metall verspricht sich davon eine Sicherung der Jobs vor allem im Wandel der Autoindustrie vom Verbrennungsmotor zur Elektromobilität. Die Geschichte wiederholt sich: Vor einem Vierteljahrhundert hatte VW eine Vier-Tage- Woche mit teilweisen Lohnausgleich eingeführt und dadurch mehr als 20 000 Arbeitsplätze gesichert.

Geringe Rendite, weniger Geld

Den Corona-Pilotabschluss 2021 für die Metallindustrie handelten die nordrhein-westfälischen Tarifpartner aus, die bereits im Frühjahr vergangenen Jahres einen ersten Corona- Kompromiss erzielt hatten. NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff sprach am Dienstag von einer „schmerzhaften Entgelterhöhung“ 2022, doch aus seiner Sicht überwogen die positiven Bestandteile des Tarifpakets: Wenn Unternehmen in diesem Jahr bei der Netto-Umsatzrendite unter 2,3 Prozent bleiben, dann dürfen sie die eigentlich im Oktober anstehende Auszahlung des tariflichen Zusatzgeldes von rund 400 Euro um sechs Monate verschieben oder sogar ganz aussetzen. Dieser Punkt war den Arbeitgeber wichtig, um auf die unterschiedliche Situation der Betriebe reagieren zu können. „Wir haben erstmals einen automatisch wirksamen Entlastungsmechanismus für krisenbetroffene Unternehmen“, freute sich Kirchhoff. Nach Schätzungen von Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberdachverbandes Gesamtmetall, dürfte etwa ein Drittel der Metallbetriebe dafür in Frage kommen, da sie im laufenden Jahr unter der Rendite von 2,3 Prozent bleiben und dies auch gegenüber den Arbeitnehmervertretern belegen wollen.

Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberdachverbandes Gesamtmetall, freut sich über den Tarifabschluss in der Pandemie: "Die Politik könnte sich uns zum Vorbild nehmen."
Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberdachverbandes Gesamtmetall, freut sich über den Tarifabschluss in der Pandemie: "Die Politik könnte sich uns zum Vorbild nehmen."

© picture alliance/dpa

Der Tarifabschluss sei „ein Punktsieg“ für die Vernunft“, meinte Knut Giesler, der nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef und Verhandlungsführer. Immerhin habe man ein Bein in die Tür bekommen bei dem Bemühen, die Zukunft in den Unternehmen gemeinsam zu gestalten. Die IG Metall ist alarmiert, weil rund die Hälfte der Unternehmen keine Vorstellung von der Zukunft habe, Mit Zukunftstarifverträgen wollte die Gewerkschaft Einfluss nehmen auf die Gestaltung der Transformation. Das funktioniert indes auch künftig ausschließlich freiwillig. „Nur die Unternehmen machen davon Gebrauch, die das auch wollen“, sagte Wolf, und Kirchhof ergänzte: „Die unternehmerische Freiheit bleibt gewahrt.“

Im Herbst 2022 steht der nächste Konflikt an

Die Arbeitgebervertreter rechnen in den wichtigsten deutschen Industrien, dem Maschinen- und dem Fahrzeugbau, mit einer Rückkehr auf das Niveau vor Corona frühestens 2023 und hätten deshalb auch gerne eine Tarifvertrag bis 2023 abgeschlossen. Die IG Metall dagegen erwartet den Beginn eines neuen Aufschwungs in diesem Herbst und beharrte deshalb auf einer relativ kurzen Laufzeit des neuen Tarifes bis September 2022. In gut anderthalb Jahren könnte also der jetzige Coronaabschluss korrigiert werden, sofern die Industrie in eine Boomphase gerät. „Die Tarifautonomie funktioniert in der Krise“, resümierte Gesamtmetall-Chef Wolf selbstbewusst den Kompromiss von Düsseldorf. „Wäre schön, wenn sich die Politik ein Beispiel an uns nehmen würde“.

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