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Stillstand statt Fließband: Deutsche Firmen achten immer noch zu wenig auf Menschenrechtsverletzungen bei Zulieferern anderer Länder.

© Jens Büttner/dpa-Zentralbild

Streit um Lieferkettengesetz dauert an: Die Angst vor einem kostspieligen Bürokratiemonster

Wie stark müssen Firmen ihre Lieferanten überprüfen? Die Regierung tut sich mit der Antwort schwer. Und die Firmen sich mit der praktischen Umsetzung.

Beim Lieferkettengesetz herrscht Stillstand. Nachdem ein Spitzengespräch am vergangenen Freitag zwischen Angela Merkel, Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sowie den drei beteiligten Fachministern keine Einigung herbeiführen konnte, brachten auch die Gespräche in dieser Woche bislang keinen Durchbruch. Dabei gehen die Debattenlinien quer durch die Regierungsfraktionen, da sowohl Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) als auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf ein neues Gesetz drängen, während Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) blockiert.

Im Kern geht es dabei um die Frage, inwieweit deutsche Unternehmen für die Verletzung von Menschenrechten auf vorgelagerten Stationen ihrer Lieferketten verantwortlich sind. Eine vom Auswärtigen Amt durchgeführte Umfrage lieferte im vergangenen Jahr das Ergebnis, dass deutsche Firmen zu wenig darauf achten, unter welchen Bedingungen die von ihnen verarbeiteten Rohstoffe und Bauteile hergestellt werden.

Dem Koalitionsvertrag zufolge ist nach diesem Ergebnis ein Gesetz, das die Einhaltung menschenrechtlicher Standards erzwingt, erforderlich. Im Bundeswirtschaftsministerium hält man jedoch schon die Fragen der Umfrage für unfair und so gestellt, dass das Ergebnis vorher bereits feststand. Das macht die Diskussion um die Ausarbeitung des Gesetzes nicht leichter.

Wirtschaftsverbände unterstützen die Forderung nach der Einhaltung von Menschenrechten auf jeder Station der Lieferkette – laufen aber seit Monaten Sturm gegen ein neues Gesetz. Sie fürchten zusätzliche Kosten und mehr Bürokratie für die Unternehmen. Zudem sei die Einhaltung für viele Unternehmer nur schwer zu kontrollieren.

3000 Zulieferer, häufig nur 300 Euro hohe Rechnungen

Auch beim Mittelständler Delo blickt man skeptisch auf ein mögliches Lieferkettengesetz. Das Unternehmen stellt Klebstoff her und ist in diesem Bereich ein sogenannter Hidden Champion; ein Weltmarktführer, den kaum jemand kennt. Hier spricht man mit Blick auf das Lieferkettengesetz von einem „Placebo für das gute Gewissen“.

Ein Unternehmenssprecher nennt einige Zahlen, um zu zeigen, wie schwer die praktische Umsetzung wäre. Delo bezieht insgesamt von rund 3000 Firmen direkt Produkte. Das kleinste Fünftel davon seien hochspezialisierte Lieferanten, bei denen Delo Artikel im Wert von weniger als 300 Euro pro Jahr bestellt. Bei einem bestimmten Rohstoff reichen beispielsweise 23 Kilogramm für die Herstellung von 80.000 Kilogramm Klebstoff. Wie viele Unternehmen beim Abbau und der Herstellung dieser Produkte vorgelagert sind, sei nur schwer zu beziffern. In jedem Fall, so ist man sich bei Delo sicher, stünde der finanzielle Aufwand, bei jedem Unternehmen vor Ort zu prüfen, ob die Arbeitsbedingungen auch wirklich stimmen, in keinem Verhältnis.

Will die deutschen Unternehmen nicht zu stark belasten: Peter Altmaier (CDU).
Will die deutschen Unternehmen nicht zu stark belasten: Peter Altmaier (CDU).

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Das sei auch schlicht nicht durchführbar. Nach eigenen Angaben bekommt Delo immer häufiger Absagen, wenn sie Überprüfungen durchführen wollen. Man sei ein zu unbedeutender Kunde, so die Begründung. „Aus unserer Sicht braucht es mindestens Bagatellgrenzen im Hinblick auf das jährliche Einkaufsvolumen, eine Whitelisting von Ländern mit hohen Standards sowie eine rechtliche Festlegung, bis zu welcher Stufe die Verantwortung in der Lieferkette reicht und was genau wie überprüft werden muss“, fordert man bei Delo.

Altmaier lehnt Kompromissvorschlag ab

Zuletzt waren Heil und Müller ihrem Ministerkollegen Altmaier bereits entgegengekommen. Sie ließen ihre Forderung fallen, Unternehmen, die gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen, zivilrechtlich zu belangen. Das Kompromissangebot an Altmaier sieht nur noch Bußgeld und administrative Strafen vor, etwa den Ausschluss eines Unternehmens von öffentlichen Aufträgen.

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Dass der Wirtschaftsminister dennoch nicht zustimmt, nennt man bei der Initiative Lieferkette „grob verantwortungslos“. Weiteres Entgegenkommen sei nicht vertretbar. „Die von Altmaier auch noch geforderte Beschränkung der Sorgfaltspflicht auf direkte Zulieferer würde das Gesetz endgültig ad absurdum führen, da es dann weder Kinderarbeit auf Kakaoplantagen noch Umweltschäden im Rohstoffabbau erfassen würde“, so Sprecher Johannes Heeg.

EU könnte Deutschland überholen

In einem anderen von den Kritikern des Gesetzes vorgebrachten Punkt kommt derweil hingegen Bewegung. So warnten Wirtschaftsverbände stets vor einem deutschen Alleingang und forderten eine europäische Lösung. Die zeichnet sich nun ab. Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments präsentierte dazu Ende Januar einen Initiativbericht. Im März steht er im Plenum des EU-Parlaments zur Abstimmung. Im Juni präsentiert die EU-Kommission den Gesetzesvorschlag.

Knackpunkte sind auch hier die Haftung, der Geltungsbereich und die praktische Umsetzung. „Unternehmen müssten dann identifizieren, ob und wie ihre Zulieferer gegen internationale Standards verstoßen“, erklärte die EU-Abgeordnete Lara Wolters, die federführend am Entwurf beteiligt war. Das bedeute nicht, dass sich ein Unternehmen automatisch haftbar mache, wenn in seiner Lieferkette etwas schieflaufe. „Allerdings müsste das Unternehmen nachweisen können, dass es angemessene Prozesse eingerichtet hat, um Risiken zu erkennen und diese zu adressieren.“ Gut möglich, dass sich die EU schneller einig wird als Altmaier, Müller und Heil.

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