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Noch fahren die Züge regulär, die Bahn arbeitet einem Bericht zufolge aber bereits an einem Notfahrplan, sollte es zu Streiks kommen.

© imago images/Stefan Zeitz

Streik droht bei der Bahn: Lokführer stellen Weichen für Arbeitskampf

Die Lokführer-Gewerkschaft GDL bereitet einen Streik vor – die Bahn will weiter verhandeln. Minister Scheuer mahnt zur Besonnenheit.

Zuletzt hatte der Briefträger im Frankfurter Baumweg viel zu schleppen. Tausende Umschläge mit brisantem Inhalt trafen ein in der Zentrale der Gewerkschaft der Lokführer (GDL). Am Freitag war Einsendeschluss für die Sendungen, die an diesem Montag geöffnet und dann wie bei einer Briefwahl ausgezählt werden: für oder gegen Streik.

Es gibt keinen Zweifel, dass die große Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden GDL-Mitglieder für einen Arbeitskampf votiert hat. Schließlich hat GDL-Chef Claus Weselsky seine Leute über Monate auf die Zuspitzung des Tarifkonflikts vorbereitet. Er rechnet mit einer Zustimmung von mehr als 90 Prozent. Jetzt wird es ernst. Am Dienstag informiert der Gewerkschafter, was er plant. Der Arbeitskampf kommt – aber wann und wo und wie?

Vor ein paar Tagen erst hatte Bahn-Chef Richard Lutz an die GDL appelliert, die Erholung des Schienenverkehrs nach der Coronakrise nicht durch einen Streik zu gefährden und die Belegschaft des Staatskonzerns nicht zu spalten.

Die Spaltung ist aber schon lange Fakt: Auf der einen Seite steht die gerne krawallige GDL mit schätzungsweise 25.000 Mitgliedern, auf der anderen Seite die Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG mit gut 1800.00 Mitgliedern, die von der GDL gerne als „Hausgewerkschaft“ der Bahn-Spitze denunziert wird.

Mit der Entscheidung des Bahn-Managements, in diesem Jahr erstmals das Tarifeinheitsgesetz anzuwenden, das die größere Gewerkschaft privilegiert, hat sich die Spaltung vertieft. Im aktuellen Tarifkonflikt geht es wegen der Tarifeinheit vorrangig um Organisationsmacht und nur vordergründig um Geld.

„Wir sind bereit, erneut die Hand auszustrecken und gemeinsam eine Regelung zu suchen, die ein geordnetes Nebeneinander der Gewerkschaften bei der Bahn ermöglicht“, hatte DB-Personalvorstand Martin Seiler Mitte Juli mitgeteilt und explizit betont, dass damit eine Existenzsicherung der GDL verbunden sei.

Konflikt nutzen, um Mitglieder zu gewinnen

Ziel sei eine einvernehmliche Lösung zwischen GDL, EVG und DB darüber, wie die Tarifeinheit beziehungsweise die Tarifpluralität in den Betrieben der Bahn vereinbart werden kann. Weselsky reagierte auf das Ansinnen mit einer Attacke. „Es handelt sich wieder nur um die x-te Neuauflage der sattsam bekannten Taktik‚ Tarnen, Tricksen, Täuschen“. Von dem Ziel, „die GDL zu eliminieren, ist der Arbeitgeber in Wahrheit keinen Millimeter abgerückt“. Der Arbeitskampf der GDL ist also nach Einschätzung des GDL-Vorsitzenden ein Existenzkampf.

Weselsky, 1959 in Dresden geboren und einst Lokführer und Schienenfahrzeugschlosser bei der Deutschen Reichsbahn, führt die GDL seit 2008. Den aktuellen Konflikt, der bereits im vergangenen Herbst begann, als sich die EVG mit der Bahn auf einen Spartarifvertrag verständigt hatte und eine Schlichtung mit der GDL scheiterte, will Weselsky nutzen, um Mitglieder zu gewinnen.

Denn das ist der Kern des Tarifeinheitsgesetzes: Die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb gibt den Ton an. Und das ist bei der Bahn die EVG. In den 300 Betrieben des riesigen DB-Konzerns hat die GDL nur in 16 Betrieben die Mehrheit und damit die Tarifhoheit. Die 16 sei Quatsch, sagt Weselsky, die Bahn habe keine Beweise dafür vorgelegt. „Spätestens hier wird klar, was von den Schalmeienklängen einer angeblich ‚geordneten Koexistenz der Gewerkschaften’ zu halten ist“, sagt Weselsky. „Doch die Friedhofsruhe, die der Arbeitgeber uns zugedacht hat, kriegt er nicht.“ Also auf in den Arbeitskampf.

Keine Lösung erkennbar

„Wer so laut schreit, der kann nicht mehr auf Unentschieden spielen“, heißt es beim Beamtenbund dbb, zu dem auch die GDL gehört, über die Dynamik des Konflikts, für den derzeit keine Lösung erkennbar ist. Noch hat Weselsky breite Unterstützung in der Dachorganisation, weil auch der dbb das Tarifeinheitsgesetz mit großem Misstrauen sieht und weil Weselsky der einzige Arbeiterführer mit Strahlkraft in den Reihen des Beamtenbundes ist.

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Dass mit der Unterstützung durch den dbb kann sich aber schnell ändern, wenn Lehrer und Beamte nicht mehr mit der Bahn ins Büro kommen und sie gleichzeitig mit ihren dbb-Mitgliedsbeiträgen den Streik der GDL finanzieren müssen.

Womöglich eskaliert die GDL den Arbeitskampf in Stufen. Im August ein paar Tagen den Güterverkehr lahmlegen – das würde nur die Bahn und ihre gewerbliche Kundschaft schmerzen, aber nicht die breite Masse der Bahnfahrer. Ende August oder sogar erst Anfang September könnte die Streikwelle hoch schwappen.

Minister Scheuer mahnt zur Besonnenheit

Dann kommt die Bundestagswahl in Sichtweite, und die Politik, konkret der Bund als Eigentümer der Bahn, wird sich die Endphase des Wahlkampfs nicht von Weselsky versauen lassen und deshalb das Bahn-Management zum Einlenken drängen. So könnte das Kalkül der GDL aussehen. Vielleicht ist es aber auch ganz anders. Frühestens am Dienstag wird Weselsky seine Karten auf den Tisch legen.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mahnt die Tarifparteien zur Besonnenheit. „Gerade jetzt brauchen wir ein Miteinander“, sagte Scheuer der „Welt am Sonntag“. Die Deutsche Bahn rief die GdL derweil zu weiteren Verhandlungen am Montag auf. „Diesen Streik braucht jetzt wirklich niemand“, sagte Seiler der „Bild am Sonntag“. „Letztlich ist das eine Attacke auf das ganze Land.“ Laut der Zeitung arbeitet die Bahn bereits an einem Notfahrplan für den Fall von Streiks.

Was die Bahn anbietet

Seiler bietet 1,5 Prozent zum 1. Januar 2022 und 1,7 Prozent zum 1. März 2023 mit einer Laufzeit des neuen Tarifvertrags bis zum 30. Juni 2024. Angeboten werden der GDL ferner ein Arbeitgeberbeitrag in Höhe von 3,3 Prozent zur betrieblichen Altersvorsorge sowie „ein erweiterter Kündigungsschutz und Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen und die Fortsetzung der Rekrutierungs- und Qualifizierungsoffensive“.

Den Kündigungsschutz hat Weselsky als schlechten Witz qualifiziert, da die Bahn Tausende zusätzlicher Mitarbeiter suche und die Arbeitsplätze im direkten Bereich, also in den Zügen und Werkstätten, sowieso sicher seien. „Wir brauchen keinen Kündigungsschutz für den viel zu großen Wasserkopf“, sagt Weselsky und hält den Abbau von Personal sogar für „zwingend erforderlich“ – im Bahn-Tower am Potsdamer Platz, da sitzt der Vorstand.

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