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Unter Zeitdruck. Nicht nur in den großen Tiefseehäfen sind die Lieferketten stark beeinträchtigt. Auch im Hinterland von Europas wichtigstem Hafen Rotterdam sind die Transportabläufe inzwischen massiv gestört.

© imago images/Jochen Tack

Probleme bei den Lieferketten: "Weihnachtsgeschenke sollte man dieses Jahr schon im Oktober bestellen“

Rohstoffe fehlen, in der Logistik herrscht Chaos. Vor dem Hafen von Rotterdam warten Schiffe 200 Stunden auf die Einfahrt. Wirtschaft und Klima nehmen Schaden.

Immer wenn über Schiffsstaus berichtet wird, ist Kawus Khederzadeh etwas irritiert. „Wir sehen in den Nachrichten Bilder aus China und Los Angeles, aber den Stau vor unserer Haustür nehmen wir nicht wahr“, sagt Khederzadeh, der beim Logistikkonzern Contargo ein Containerterminal in Frankfurt am Main leitet.

Das Unternehmen transportiert Waren und Leercontainer von den großen europäischen Seehäfen ins Hinterland und zurück. Besonders entlang der Rheinschiene ist Contargo aktiv und verbindet 25 Terminals mit den Westhäfen Amsterdam, Antwerpen, Rotterdam und Zeebrügge. Wann immer es geht, setzt Contargo dabei Binnenschiffe und Güterzüge ein, Lkw übernehmen nur die letzten Kilometer zum Kunden. Doch im Hinterland von Europas wichtigstem Hafen Rotterdam sind diese intermodalen Transportketten inzwischen massiv gestört.

Besonders katastrophal ist die Lage bei der Rheinschifffahrt, berichtet Khederzadeh. „Gerade stehen neun unserer Schiffe vor einem Terminal in Rotterdam, die knapp 3000 Standard-Container löschen oder laden wollen“, sagt er im Gespräch mit Tagesspiegel Background. „Und das erste dieser neun Schiffe ist seit dem 10. September dort.“ Die Binnenschiffe von Contargo hätten in Rotterdam derzeit eine durchschnittliche Wartezeit von 200 Stunden. „Wie willst du es jemanden erklären, dass du zehn Tage wartest, um endlich an den Kai zu kommen?“

Seeschiffe werden immer größer

Fragt man den erfahrenen Logistik-Manager, wie es zu der aktuellen Krise kam, antwortet Kawus Khederzadeh trocken: „Einen Verstopfungszuschlag erheben wir schon seit über drei Jahren.“ Seeschiffe würden immer größer und transportierten immer mehr Container, erklärt er. Und zugleich verkürzten sich die Liegezeiten in den Häfen.

Entlang der komplexen Lieferketten stehen alle Beteiligten zunehmend unter Zeitdruck. Wenn dann die Terminals stillstehen, weil wegen Personalmangels Kranführer oder andere Hafenmitarbeiter fehlen, gerät alles aus dem Takt. Die Wirtschaft hat „Just in Time“ bis zu einem Punkt getrieben, an dem der Welthandel kaum noch funktioniert.

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Corona habe diese grundlegende Krise weiter verschärft, sagt Khederzadeh. Wegen der Pandemie nahmen die großen Reedereien Schiffe aus ihrer Flotte und wurden nach dem Ende des ersten Lockdowns dann von einem großen Ansturm überrascht. Da die Amerikaner etwas schneller neue Ware aus China und Ostasien orderten, schickten viele Reeder ihre Schiffe zudem statt nach Europa auf die Pazifikroute.

Viele Container sind gestrandet

Im amerikanischen Hinterland seien nun viele Container gestrandet, sagt Khederzadeh, weil dort die Logistikketten nicht so gut organisiert seien wie im dicht besiedelten Westeuropa. Leercontainer, die wiederum in China fehlen, um neue Ware zu verstauen. Hinzu kamen noch die Suez-Kanal-Blockade und die Sperrung von Terminals in den Häfen Yantian und Ningbo wegen Chinas No-Covid-Strategie. Folglich erreicht derzeit kaum ein Seeschiff die großen europäischen Häfen wie Rotterdam pünktlich.

„Wir sind die Letzten in der Kette und müssen versuchen, aufzuholen“, sagt Khederzadeh. Von den Terminals in den großen Seehäfen wie Rotterdam fühlt er sich schlecht behandelt. Verspätungen teilen sie meist nur ihren direkten Kunden mit, den See-Reedereien und großen weltweit tätigen Speditionen. Khederzadeh muss dann hoffen, dass er rechtzeitig informiert wird.

Auch Handwerksbetriebe in Deutschland sind immer mehr von Störungen in Lieferketten betroffen. Am häufigsten fehlen derzeit Metalle, Kunststoffe und Elektronikkomponenten.
Auch Handwerksbetriebe in Deutschland sind immer mehr von Störungen in Lieferketten betroffen. Am häufigsten fehlen derzeit Metalle, Kunststoffe und Elektronikkomponenten.

© Christophe Gateau/dpa

„Transporte mit dem Binnenschiff sind nicht mehr planbar“, sagt er. Wegen Verzögerungen bei den Seeschiffen müssen die Rheinschiffer oft tagelang vor den Kais ankern, weil die Terminals die wertvollen Liegeplätze lieber für die ungleich lukrativeren Ozeanriesen bereithalten. Immer wieder kommt es sogar dazu, dass Binnenschiffe kurz vor Rotterdam umkehren und mitsamt der vollen Exportcontainer nach Deutschland zurückfahren, weil der maritime Weitertransport komplett gestrichen wurde.

Einige Terminals in Rotterdam halten auch die Termine zum Entladen von Güterzügen nicht ein. Um halbwegs im Fahrplan zu bleiben, bringen die Lokführer deshalb immer wieder einzelne Exportcontainer zurück zu Khederzadeh nach Frankfurt. „In unserem Terminal wird dann der Platz knapp“, sagt er. Andererseits fehlen ihm Leercontainer. Nicht selten muss er inzwischen die Transportgefäße in Mannheim abholen lassen, um die Ware eines fünf Kilometer entfernten Kunden zu verstauen.

Immer wieder Beschwerden von Güterbahnen

Contargo, das zu Europas größten Anbietern im sogenannten kombinierten Verkehr gehört, ist dabei kein Einzelfall. Die Dispositionsabteilungen der Speditionshäuser gerieten wegen der enormen Schiffsverspätungen im Im- und Export zunehmend an ihre Leistungsgrenzen, erklärt Frank Huster, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Spedition und Logistik (DSLV) auf Anfrage. Es müssten derzeit bis zu einem Drittel mehr Ressourcen eingesetzt werden, „um im Hinterlandverkehr die gleiche Containermenge bewältigen zu können“.

Auch das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) registriert immer wieder Beschwerden von Güterbahnen. In Hamburg sei die Situation dabei noch etwas schlimmer als in Rotterdam. Hier verzögerten sich Abfahrten häufig um bis zu 24 Stunden und das nicht nur wegen verspäteter Seeschiffe. Aus Platzmangel würden die Terminals Container immer häufiger „zubuddeln“ – sprich so lagern, dass sie kaum zu erreichen seien, sagt NEE-Sprecherin Daniela Morling auf Anfrage.

Wegen der vielen Verspätungen schwenkten viele Unternehmen wieder auf den flexiblen Lkw um, berichtet Khederzadeh – dabei sei das angesichts der Klimakrise genau das Falsche. Allerdings müssten auch Lkw-Fahrer häufig stundenlang an den Terminals warten und könnten dann wegen ihrer abgelaufenen Arbeitszeiten nicht weiterfahren. „Auch bei Ihnen ist der Frust groß.“

Bei seinen Kunden spürt der Contargo-Manager viel Ärger. Wirtschaft und Handel haben kaum noch Planungssicherheit, sie müssten Transporte viel früher beauftragen, sagt er. Bis dahin dürften die Verbraucher die Kosten für die Transportkrise zahlen – und ebenfalls mit Lieferschwierigkeiten kämpfen. „Das Weihnachtsgeschenk sollte man dieses Jahr am besten schon im Oktober bestellen“, rät Kawus Khederzadeh.

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