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Rund acht Millionen Beschäftigte, der Großteil in Dienstleistungsbranchen, würden von zwölf Euro profitieren.

© imago/Ralph Peters

Ökonomen für höheren Mindestlohn: Von zwölf Euro profitieren acht Millionen Beschäftigte

Der Mindestlohn steigt von aktuell 9,60 im kommenden Jahr auf 10,45 Euro. Nicht nur Olaf Scholz möchte einen großen Schritt auf zwölf Euro.

Olaf Scholz bekommt Rückenwind aus der Wirtschaftswissenschaft: Ein Mindestlohn von zwölf Euro, wie ihn der Kanzlerkandidat der SPD plakatiert, würde nicht nur die Einkommen von acht Millionen Beschäftigten erhöhen, sondern auch das Bruttoinlandsprodukt um 50 Milliarden Euro steigern und dem Staat 20 Milliarden Euro einbringen.

Das jedenfalls haben die Mannheimer Ökonomen Tom Krebs und Moritz Drechsel-Grau im Auftrag der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung ausgerechnet. Einen Abbau von Arbeitsplätzen befürchten die Studienautoren nicht. Die Zahl der Minijobs würde „erheblich“ zurückgehen, doch dafür seien dann deutlich mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu erwarten. Erst wenn der Mindestlohn schnell über 13 Euro stiege, könnte der Arbeitsmarkt „kippen“ und es drohten erhebliche Arbeitsplatzverluste, heißt es in der Studie.

Mit 8,50 Euro ging es 2015 los

SPD und Union hatten zum 1. Januar 2015 einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt. Auslöser dafür waren die stetig schrumpfende Tarifbindung und gleichzeitig der wachsende Niedriglohnsektor in Dienstleistungsbranchen. Ungefähr sechs Millionen Beschäftigte – ein Großteil davon in Ostdeutschland – profitierten vom Mindestlohn. Für weitere Erhöhungen richtete der Gesetzgeber die Mindestlohnkommission ein. Das Gremium wird von Gewerkschaftern und Arbeitgebern paritätisch besetzt und entscheidet alle zwei Jahre über Anhebungen, die sich an der bundesweiten Tarifentwicklung orientieren. Im vergangenen Jahr ließen sich die Arbeitgeber in der Kommission auf mehrere Erhöhungsschritte ein. In der Hoffnung, das Thema aus dem Bundestagswahlkampf raushalten zu können. Aktuell beträgt der Stundensatz 9,60 Euro; über zwei weitere Stufen steigt es weiter an bis auf 10,45 Euro im Juli 2022.

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Das ist derzeit die Gesetzeslage, die ein Bundeskanzler Scholz rasch verändern möchte: Bereits 2022 soll der Mindestlohn auf zwölf Euro steigen. Das wollen die Grünen und die Linken ebenfalls, Letztere propagieren sogar 13 Euro. Mit dem großen Schritt möchten die Parteien einen „Geburtsfehler“ korrigieren: Aus Angst vor Arbeitsplatzverlusten hatte die große Koalition 2015 mit 8,50 Euro eine im internationalen Vergleich eher niedrige Untergrenze gezogen. Es gab dann auch keinen nennenswerten Stellenabbau, anders als von Gegner des Mindestlohns auf der Arbeitgeberseite und in der Wirtschaftswissenschaft vorhergesagt.

"Zwölf Euro sind gut für die Transformation"

Die Autoren der aktuellen Mindestlohnstudio begründen die zwölf Euro auch mit dem Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Angesichts des starken Transformationsdrucks im Zeichen von Klimawandel und Digitalisierung könnten „nur ein angemessener Mindestlohn und eine Stärkung der Tarifbindung“ den „Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit verknüpfen“, meinte Krebs, der für sich und seinen Mit-Autor in Anspruch nimmt, ein zeitgemäßes und mithin glaubwürdiges Rechenmodell angewendet zu haben.

Die Arbeitsproduktivität steigt

„Im Vergleich zu vielen älteren Kalkulationen bildet das dabei verwendete Modell zentrale Parameter deutlich detaillierter und realistischer ab, etwa sozio- ökonomische Merkmale und Qualifikation von Beschäftigten, unterschiedliche Beschäftigungstypen wie Minijobs oder Teilzeitstellen sowie Lohn- und Produktivitätsverteilung“, teilte die Böckler-Stiftung mit. Konkret ergeben sich folgende Effekte: Ein Mindestlohn von zwölf Euro würde die durchschnittliche gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität um knapp ein Prozent steigen lassen. Denn ein höherer Mindestlohn verursacht eine Verlagerung der Beschäftigung von weniger produktiven Jobs hin zu Beschäftigungsverhältnissen mit höherer Produktivität. Die Ökonomen nennen das „Produktivitätspeitsche“. Auch nach der Einführung des Mindestlohns 2015 sei die Arbeitsproduktivität gestiegen.

20 Milliarden Euro mehr für den Staat

Die Folgen der damaligen Einführung – unter anderem eine Verschiebung der Beschäftigung von Minijobs hin zu sozialversicherungspflichtigen Stellen ohne nennenswerte Verluste bei der Gesamtbeschäftigung – hätte das in Mannheim jetzt verwendete Modell korrekt prognostiziert, teilte die Böckler-Stiftung mit und leitetet entsprechend Plausibilität und Glaubwürdigkeit für die nun neu ausgerechneten Folgen von zwölf Euro ab: Langfristig würde die gesamtwirtschaftliche Produktion um etwa 1,5 Prozent pro Jahr steigen, das entspreche 50 Milliarden Euro. Und Finanzämter sowie Sozialkassen bekämen 20 Milliarden Euro zusätzlich.

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