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Ein Auto, viele Teile. Gerade Industriekonzerne sind auf viele Zulieferer angewiesen.

© Marijan Murat/dpa

"Nachhaltigkeit ist nicht gratis": Warum Daimler das Lieferkettengesetz befürwortet

60.000 Lieferanten hat Daimler, sie zu überprüfen ist aufwändig. Vorständin Renata Jungo Brüngger erklärt im Interview, warum sie trotzdem für das neue Gesetz ist.

Renata Jungo Brüngger ist Chefjuristin beim Autobauer Daimler. Als Vorstandsmitglied ist die Schweizerin seit 2016 für die Ressorts Integrität und Recht zuständig.

Frau Jungo Brüngger, das Bundeskabinett will an diesem Mittwoch das Lieferkettengesetz beschließen. Daimler spricht sich dafür aus. Warum?
Daimler unternimmt seit Jahren große Anstrengungen, damit unsere Lieferketten „sauber“ sind und die Menschenrechte in unseren Geschäftsbeziehungen hochgehalten werden. Wir begrüßen daher, dass die Bundesregierung nun diesen Schritt macht. Der vorliegende Referentenentwurf ist zwar sehr ehrgeizig: Beispielsweise beziehen sich die Transparenzanforderungen auf die gesamte Wertschöpfungskette und gehen sehr weit. Wir halten auch die geplanten Bußgelder und die Dokumentationspflichten für überhöht und gerade für kleinere Unternehmen kann die Umsetzung eine große Herausforderung darstellen. Dennoch: Die Bundesregierung geht bei diesem Entwurf insgesamt mit Augenmaß vor.

Was meinen Sie mit Augenmaß?
Der Begriff Lieferketten beschreibt die komplexe Situation eines weltweit tätigen Unternehmens wie Daimler unzureichend. Wir haben allein 60 000 direkte Lieferanten. Es handelt sich also um komplizierte Geflechte von sehr vielen direkten Lieferanten und noch viel mehr Sublieferanten. Da können wir nicht jede einzelne Lieferkette einmal im Jahr überprüfen. Man muss vielmehr nach einem risikobasierten System vorgehen. Der Entwurf fordert, dass das Unternehmen sowohl zunächst im eigenen Bereich genau hinschaut als auch bei direkten Lieferanten Risikoanalysen vornimmt. In der tieferen Lieferkette muss ein Unternehmen dann tätig werden, wenn es handfeste Hinweise für Menschenrechtsverletzungen oder umweltbezogene Verstöße gibt. Dieses geplante Stufenmodell halten wir für angemessen und praktikabel. Bei Daimler gehen wir auch schon so vor.

Renata Jungo Brüngger ist Chefjuristin bei Daimler und sitzt im Vorstand.
Renata Jungo Brüngger ist Chefjuristin bei Daimler und sitzt im Vorstand.

© dpa

Wie überwachen Sie bei Daimler die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards?
Ganz aktuell beschäftigen uns sehr die Lieferketten im Bereich der Elektromobilität. Für die Produktion von Batteriezellen wird Kobalt benötigt. Kobalt wird auch in Minen in Risikogebieten in Afrika abgebaut, etwa in der Demokratischen Republik Kongo. Seit 2018 machen wir unsere Kobalt-Lieferketten transparent. Wir haben uns verpflichtet, zukünftig Kobalt nur aus zertifizierten Minen zu beziehen und unterstützen Betriebe mit hohen Standards. Auch die Sublieferanten werden einbezogen. Wir machen das nicht alles selbst. Wir lassen durch unabhängige Experten Prüfungen vor Ort durchführen. Im Rahmen von 60 Überprüfungen dieser Art in den letzten Jahren sind auch wiederholt Missstände aufgedeckt worden. Daher haben wir auch die Lieferbeziehungen zu Unternehmen gestoppt, die sich nicht an Sicherheits- und Menschenrechtsstandards gehalten haben. Beim Rohstoff Kobalt legt Daimler schon heute Sorgfaltspflichten an den Tag, die oberhalb der Standards sind, die uns das Lieferkettengesetz abverlangen würde, wenn es eines Tages in Deutschland in Kraft tritt.

Warum hat Daimler hier schon so viel gemacht, bevor es ein Liefergesetz gibt?
Der Konzern hat sich der Nachhaltigkeit verpflichtet. Da sind hohe Investitionen und Bemühungen nötig. Nachhaltigkeit gibt es nicht gratis. Das gilt für die Erreichung der CO2-Ziele ebenso wie für eine nachhaltige Geschäftsstrategie im sozialen Bereich. Lassen Sie uns aber nicht nur über Kosten und Risiken für Unternehmen reden, sondern auch über die Chancen. Unsere Kunden wollen kein Produkt kaufen mit Materialien, die unter Verletzung von Menschenrechten und Umweltstandards hergestellt wurden. Unsere Produkte werden so attraktiver, und die Glaubwürdigkeit des Unternehmens steigt. Das sind für uns Werte, die essentiell sind. Aber das Wichtigste ist: Die Lebensbedingungen vor Ort für die Menschen werden verbessert.

Das Gesetz sieht auch vor, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen gegen Unternehmen in Deutschland klagen können. Auch Gewerkschaften und NGOs sollen dieses Recht bekommen. Ist Daimler damit einverstanden?
Schon heute sehen sich global tätige Unternehmen einer Vielzahl von Klagen und Klagemöglichkeiten ausgesetzt. Der Gesetzgeber ist gut beraten, uns nicht eine neue Klageflut zu bescheren. Wichtig ist, präzise zu formulieren. Ein Beispiel: Es heißt im Gesetz, Gewerkschaften und NGOs könnten klagen, wenn es gravierende Verletzungen innerhalb der indirekten Lieferketten gibt. Da kommt es dann aber auf die Definition an. Noch ist mir das im Gesetzentwurf zu vage. Da fordere ich mehr Rechtssicherheit für Unternehmen ein.

Die EU bereitet auch ein Lieferkettengesetz vor. Ist es nicht besser, auf eine europäische Lösung zu warten? Schließlich haben die 27 Mitgliedstaaten ihre Kompetenzen in der Handelspolitik ja auch an die EU-Kommission abgegeben.
Wir können keinen Flickenteppich gebrauchen. Eine europaweite Regelung ist sicherlich anzustreben. Schon allein weil die Unternehmen ohnehin den gleichen Regeln im EU-Binnenmarkt unterworfen sind. Wir müssen aber auch darauf achten, dass die EU nicht noch draufsattelt. Der deutsche Gesetzgebungsvorschlag ist – wie gesagt – ambitioniert, aber bewahrt Augenmaß. Ich wünsche mir, dass der Vorschlag, den die EU-Kommission für Mitte des Jahres angekündigt hat, keine überzogenen Sorgfaltspflichten festschreiben will, die nicht umsetzbar sind und den Menschen vor Ort nichts bringen. Der EU-Gesetzgeber muss dann darauf achten, dass unsere Unternehmen auch im Hinblick auf andere Wirtschaftsregionen wie etwa USA und China keine Wettbewerbsverzerrungen fürchten müssen.

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