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E-Roller kommen nun auch auf dem Land an.

© Paul Hanna/Reuters

Mithilfe von digitalen Tools: Die E-Roller-Welle schwappt aufs Land

In den Metropolen nerven die auf Gehwegen geparkten Gefährte viele. Doch nun zieht es Lime, Tier und andere Anbieter auch in Mittel- und Kleinstädte.

Bunte Roller-Haufen in den Innenstädten, querliegende Fahrzeuge auf dem Gehweg: Solche Bilder sind es, die Tretroller für viele zum Ärgernis machen und ihnen den Ruf einbringen, die Innenstädte zuzumüllen. Ein Vorwurf, der teilweise berechtigt ist. Tatsächlich haben die Anbieter ihre Fahrzeuge mit der Zulassung des Verkehrsmittels zunächst in den Zentren der Großstädte verteilt. 

Lange Zeit, so konnte man den Eindruck gewinnen, lieferten sich die Anbieter aus den USA, Deutschland und Skandinavien einen Kampf um Berlin, Hamburg und München: Wo einer auftauchte, zogen die anderen in der Regel innerhalb von kurzer Zeit nach. Vor allem Berlin gilt in der Branche als „Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur“, was dazu führte, dass zeitweise absurd viele Fahrzeuge herumstanden. Bis zu acht Anbieter gleichzeitig strebten in Berlin zu Beginn des Hypes im Sommer 2019 auf den Markt, übrig geblieben sind fünf, der letzte startete erst kürzlich

„Städte mit höherer Bevölkerungsdichte lassen sich einfacherer wirtschaftlich betreiben als Städte mit niedriger“, erläutert ein Lime-Sprecher im Background-Gespräch. Auch deshalb dürfte das Gros der Anbieter nach der Zulassung der Fahrzeuge 2019 zunächst dort gestartet sein. 

In der dritten Saison seit dem Start haben die Anbieter ihre Strategie teilweise geändert. Die vier größten und am längsten in Deutschland aktiven Verleiher Lime, Tier, Bird und Voi sind aktuell auch in mittelgroßen deutschen Städten aktiv. Die Anbieter konzentrieren sich dabei jedoch jeweils auf wenige Bundesländer. In rund 65 der insgesamt mehr als 2000 deutschen Städte und Kommunen ist nach Angaben von Lime aktuell mindestens ein E-Roller-Verleiher aktiv.

So ist das von Uber und der Google-Mutter Alphabet finanzierte Lime in diesem Jahr von 25 auf 52 deutsche Städte gewachsen, darunter auch kleinere wie Laatzen in der Nähe von Hannover mit 40.000, der niedersächsischen Gemeinde Garbsen mit 63.000 und Wilhelmshaven am Jadebusen mit 76.000 Einwohner:innen. 

Es rollt in Troisdorf, Poppenbüttel und Wesseling 

Das Berliner Start-up Tier hat seine grün-schwarzen Roller unter anderem in Troisdorf und Herford verteilt. Das in Schweden gegründete Start-up Voi hat seine lachsfarbenen Fahrzeuge in den Hamburger Außenbezirken Berne und Poppenbüttel gestellt, weil von dort besonders viele Menschen regelmäßig in die Hansestadt pendeln.

Auch in der Schweiz testet Voi nach Angaben des für den deutschsprachigen Raum verantwortlichen Managers Claus Unterkircher sein Geschäftsmodell in kleineren Städten, darunter das 25.000-Einwohner-Städtchen Frauenfeld im Kanton Thurgau. Die erst vor einem Jahr in Deutschland gestartete Ford-Tochter Spin hat bisher ohnehin einen großen Bogen um Berlin, Hamburg und München gemacht. Spin ist vor allem in nordrhein-westfälischen Städten und Kleinstädten wie Köln, Essen, und Wesseling aktiv. Angeblich will der US-Autobauer Ford den E-Roller-Verleiher abstoßen, munkelt man in der Branche.

Bei der Entscheidung, wo ein Anbieter aktiv wird, fließen viele Überlegungen ein. „Am wichtigsten ist für uns die Nachfrage vor Ort, aber auch die politischen Rahmenbedingungen spielen eine Rolle“, sagt ein Lime-Sprecher. Der Rivale Tier wird konkreter: „Neben Faktoren wie der Topografie, der Einwohnerdichte und der Infrastruktur für Mikromobilität – zum Beispiel Fahrradwege – ist für uns auch das bestehende Nahverkehrsangebot ein wichtiges Kriterium“, sagt Tier-Sprecher Florian Anders auf Nachfrage. Außerdem habe der Dialog mit den Städten „oberste Priorität“. 

Das dürfte auch daran liegen, dass Städte und Kommunen auf das anfängliche Chaos auf den Straßen reagiert haben. War der Markt zu Beginn völlig unreguliert, sodass jeder Verleiher die Fahrzeuge prinzipiell erstmal überall verteilen konnte, greifen die Städte zunehmend durch. Einige verbieten das junge Fortbewegungsmittel ganz, zumindest zweitweise – allen voran in den USA, von wo aus die dort 2017 losgetretene E-Roller-Welle nach Deutschland schwappte. 

London und Paris versuchen die Welle durch eine Ausschreibung zu brechen. Dort sind die Anbieter angehalten, sich um eine von wenigen Lizenzen zu bewerben, um ihren Dienst in der Stadt anbieten zu können. Auch in Berlin denkt der Senat über ein Vergabeverfahren und eine Obergrenze für die Roller nach. 

Joachim Wahle plädiert für „einen offenen, diskriminierungsfreien Zugang für alle Anbieter“. Davon würden auch die Kund:innen profitieren, glaubt Wahle, der mit seinem Krefelder Unternehmen TraffGo Road digitale Dienste für das Park- und Verkehrsmanagement entwickelt. „Wettbewerb unter mehreren Anbietern ist sinnvoll“, ist Wahle überzeugt, „das gibt Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit, ihren Anbieter nach persönlichen Präferenzen zu wählen“. Für die einen sei die Ausleihgebühr pro Roller entscheidend, die anderen der Rollertyp. Bei kommunalen Ausschreibungen indes bekomme häufig der den Zuschlag, der das günstige Angebot verspricht. 

Eine Plattform für alle soll bei der Verteilung helfen

Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Hamburger Beratungsgesellschaft Von Beust und Coll hat Wahle das vom Bundesverkehrsministerium geförderte Projekt „Scoop“ gestartet. Entwickelt werden soll eine Plattform, auf der E-Roller-Anbieter sich zusammentun und einer Stadt ihre Daten bereitstellen können – ähnlich wie das in Hamburg, München, und Köln schon der Fall ist. 

Vor allem kleinere Städte und Anbieter könnten profitieren, wenn sie eine solche Plattform nicht selbst aufsetzen müssen, sondern eine vorhandene Infrastruktur nutzen können, glaubt Wahle. „Eine Kooperation mit der Plattform erleichtert für die Anbieter die Erschließung neuer Märkte.“

Vor dem Roll-out in einer neuen Stadt müssten sie nicht mehr einzeln mit dem dortigen Ansprechpartner verhandeln, sondern könnten sich mit Hilfe des Plattformbetreibers innerhalb kurzer Zeit anbinden lassen und loslegen. Nebenbei liefere eine solche Plattform den Städten und Kommunen einige Echtzeitdaten über die E-Roller-Flotten, sodass sich beispielsweise falsch abgestellte Fahrzeuge gegebenenfalls innerhalb von kurzer Zeit ausfindig machen und umparken ließen. 

Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert die von Wahle betriebene Initiative Smart Parking e.V., die bereits mehr als 200 Städte in Deutschland und Österreich betreut, darunter auch Berlin. Darin haben sich alle Park-App-Betreiber zusammengeschlossen, mit denen der Parkvorgang digital gestartet werden kann. Manche rechnen je Transaktion ab, andere erheben eine Fixgebühr. 

Bei den Anbietern zeigt man sich offen für eine Mehrbetreiber-Plattform. Bei Voi sei man überzeugt, dass intermodale Plattformen einen Mehrwert bieten könnten, so deren Deutschland-Manager Unterkircher. Auch Tier begrüßt das Projekt, „gerade, wenn es um ein einheitliches Verfahren für den Datenaustausch mit den Städten geht“.

Andere, wie die Ford-Tochter Spin, zeigen sich abwartend: Es gebe auch viele andere Anregungen und Ideen, wie man geteilte Mikromobilität noch besser einsetzen könne.

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