zum Hauptinhalt
Nicht nur die Präsenzkultur, sondern auch die technischen Voraussetzungen machen das Homeoffice in vielen Behörden schwer.

© Stephanie Pilick/dpa

Teilweise die Hälfte der Mitarbeiter im Büro: Regierung fordert Homeoffice – und scheitert in den eigenen Behörden

In vielen Behörden und Ministerien herrscht eine Präsenzkultur, die in der Corona-Pandemie verwundert. Der Staat setzt seine eigenen Ziele nur lückenhaft um.

Während Geschäfte seit Wochen geschlossen sind, ändert sich der Büroalltag für viele Angestellte in Behörden offenkundig kaum. Eine Pflicht für Arbeitgeber, ihre Beschäftigten von zu Hause arbeiten zu lassen, gibt es nicht.

Bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA) beispielsweise arbeiten von fast 100.000 Beschäftigten laut einer Sprecherin „in Spitzenzeiten“ nur knapp 50 Prozent zu Hause. Auch bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund liegt der Anteil einem Sprecher zufolge bei rund 50 Prozent.

„Für alle Behörden war das ein radikaler Umstieg“, sagt Gerhard Hammerschmid, Director beim Digital Governance Center der Hertie School in Berlin. Selbst auf dem Höhepunkt des ersten Lockdowns sei ein Viertel der befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Büro gewesen, berichtet Hammerschmid über das Ergebnis einer aktuellen Studie, die er im Auftrag der Beratungsagentur Next:Public durchgeführt hat.

In der Verwaltung sei man „weit entfernt“ davon, dass Beschäftigte monatelang nicht ins Büro gehen müssten, wie es in der Privatwirtschaft vielfach die Regel sei. Für die Studie hatten Hammerschmid und sein Team im vergangenen Sommer 6147 Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter aller Ebenen befragt.

Dabei stellte sich auch heraus: Es liegt längst nicht immer an fehlender Ausstattung, wenn es mit dem Homeoffice nicht klappt. „Die bestehende Verwaltungskultur ist eine sehr starke Präsenzkultur“, sagt Hammerschmid. „Man profiliert sich durch Anwesenheit, zum Beispiel in Konferenzen. Führungskräfte erwarten das von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Vorgesetzte hätten häufig kein Vertrauen darin, dass ihre Mitarbeitenden zu Hause genauso gut arbeiten würden wie im Büro. Oftmals scheint es auch am digitalen Mindset fehlen. Da berichtet eine Führungskraft eines öffentlichen Verkehrsbetriebs, dass bei ihnen auch die Mitarbeitenden der Verwaltung trotz ordentlicher technischer Ausstattung zu Hause regelmäßig ins Büro kämen, da „die obere Führungsebene deutlich gemacht hat, dass sie Anwesenheit und Sichtbarkeit erwartet.“ Der Chef einer Beratungsstelle, die derzeit nur Telefon- oder Video-Beratung macht, gestattet keine Beratung aus dem Homeoffice heraus – wer trotzdem zu Hause arbeiten möchte, muss nachweisen, was er „in dieser Zeit Sinnvolles“ tut.

Hammerschmid betont, es gebe natürlich auch Behörden, in denen alles perfekt funktioniere. Solche Fälle sind nach seiner Erfahrung, insbesondere auf kommunaler Ebene, aber eher die Ausnahme als die Regel.

Auch Berliner Verwaltungen und Bundesministerien mit Problemen

Deutlichen Verbesserungsbedarf gibt es auch in Berliner Behörden. Zwar wurden 2020 zusätzliche Kapazitäten für die Arbeit von zu Hause aus geschaffen, diese reichen aber längst nicht aus. Aktuell ist rund ein Zehntel aller Berliner Verwaltungsmitarbeiter Homeoffice-fähig, zusätzliche Technik soll im Januar eintreffen. Vor diesem Hintergrund sorgten zuletzt Aussagen des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) für Kritik. Er hatte Arbeitgeber dazu aufgefordert, ihren Mitarbeitern die Arbeit im Homeoffice zu ermöglichen. Ein Großteil der 120.000 Mitarbeiter Berliner Behörden ist davon weit entfernt.

"Arbeitet der auch?", fragt sich so mancher Dienstherr, wenn er die Mitarbeiter nicht mehr im Blick hat.
"Arbeitet der auch?", fragt sich so mancher Dienstherr, wenn er die Mitarbeiter nicht mehr im Blick hat.

© Lisa Ducret/dpa

Offiziell sieht man in den Bundesbehörden kein Problem. Entsprechend der Beschlüsse von Bund und Ländern sei die Präsenzpflicht auf einen „zwingenden dienstlichen Bedarf“ beschränkt, heißt es beispielsweise unisono aus den 14 Bundesministerien. Die Möglichkeiten für ihre Beschäftigten, den heimischen Arbeitsplatz zu nutzen, schätzt man allerdings sehr unterschiedlich ein. Während im Bundesfinanzministerium (BMF) laut Sprecher lediglich zwischen 60 und 80 Prozent von zu Hause arbeiten, gibt das Entwicklungshilfeministerium (BMZ) die Quote mit 80 bis 85 Prozent an.

Ausgerechnet das Bundesarbeitsministerium (BMAS) kann diesbezüglich keine konkreten Angaben machen. Dabei will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gerade ein Recht auf Homeoffice für Arbeitnehmer einführen. Im Schnitt kommen die Ministerien nach einer aktuellen Abfrage von Tagesspiegel Background auf eine Homeoffice-Quote von rund 75 Prozent. Anfang März hatte es noch geheißen, dass mit den verfügbaren Endgeräten zwei Drittel aller Mitarbeiter der Bundesministerien in die Lage versetzt werden könnten, von zu Hause aus zu arbeiten.

Das Vertrauen in die Mitarbeiter fehlt

Häufig geht es immer noch um fehlende technische Ausstattung. Mitarbeitende des Sozialen Dienstes der Justiz in Brandenburg etwa monieren, dass Homeoffice bei ihnen gar nicht möglich sei. Es gebe weder Laptops noch Handys. Letzteres soll sich nach Angaben des Oberlandesgericht Brandenburg bald ändern. Bei den Laptops macht eine Sprecherin den Beschäftigten hingegen wenig Hoffnung: Die zentrale Beschaffung sei überlastet.

Die Grünen wollen das ändern - und denken zunächst aber weiterhin an die Versäumnisse der Privatwirtschaft. So fordert die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt ein Recht auf Homeoffice samt Bußgeldern für uneinsichtige Firmen. Und auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wirbt für mehr Homeoffice. Für diesen Mittwoch kündigte er einen „Homeoffice-Gipfel“ mit Wirtschaft und Gewerkschaften an, um mehr Heimarbeit in Bayern durchzusetzen.

Zur Startseite