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Energiebaum. Ein Windrad steht im Wald Peterberg bei Vossenack. Auch in Nordrhein-Westfalen ist der Bau von Windrädern in Wäldern umstritten.

© Oliver Berg/dpa

Klimaziele erfordern mehr Windkraft: Sollten mehr Windräder in Wäldern gebaut werden?

Einige Bundesländer öffnen ihre Forste für Windkraft, auch um EU-Klimaziele zu erreichen. Andere schließen sie. Die Kompromisssuche ist politisch heikel.

Von Jakob Schlandt

Der Umweltausschuss des Bundestages will in der kommenden Woche Woche ergründen, wie sich erneuerbare Energien „naturnah und landschaftsverträglich“ ausbauen lassen. Als wäre das nicht schwierig genug, verklagt die EU-Kommission Deutschland wegen jahrelanger Versäumnisse bei Ausweisung und Erhalt von rund 4600 Schutzgebieten gemäß der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH).

Solche Gebiete – häufig im Wald gelegen – darf der Mensch möglichst naturverträglich nach gewissen Kriterien nutzen, auch für die Windenergie. Mit genauen Detailinformationen über die Klage rechnet die Bundesregierung in den kommenden Wochen. Wahrscheinlich ist, dass Deutschlands offenbar eklatanter Habitat-Nachholbedarf die Ausweisung von Standorten für Windkraft weiter erschweren wird. Insbesondere der Ausbau von Windkraft im Wald – kaum vermeidbar, falls Deutschland mit seinen Erneuerbaren-Zielen dem jüngst verschärften Emissionsminderungsziel der EU folgt – dürfte damit politisch noch brisanter werden.

„Wind im Wald ist ein sehr emotionales Thema, mit dem man in der Politik Wählerstimmen gewinnen oder verlieren kann“, sagt Holger Ohlenburg, Windkraftexperte beim Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE), das im Auftrag des Bundesumweltministeriums tätig ist. Stark engagierte und gut vernetzte Bürgerinitiativen gegen Windkraft spielten eine gewisse Rolle, so Ohlenburg. „Das führt dazu, dass Politiker sich gut überlegen, wie sie mit dem Thema Wind im Wald umgehen sollen, insbesondere vor Wahlen.“

Die AfD wehrt sich gegen zwei Windräder

In Thüringen, in dessen Landtag die AfD mit 22 Sitzen zweitstärkste Kraft ist, wird im Herbst gewählt. Dort hat das Parlament kürzlich beschlossen, den Wald durch eine Gesetzesänderung wieder komplett für die Windenergie zu schließen, nachdem er 2016 und 2019 vorsichtig geöffnet worden war. In den Wäldern des Bundeslandes drehen sich bisher laut Fachagentur Windenergie an Land ganze zwei Windräder.

Nordrhein-Westfalen hat Windkraft im Wald im Juli 2019 insofern eingeschränkt, als Waldgebiete nur dann in Frage kommen, wenn nachgewiesen wird, dass der Windenergiebedarf sich nicht außerhalb von Wäldern decken lässt.

Windturbinen in den Wald zu stellen, bedeutet erhebliche Eingriffe. Pro Anlage wird im Durchschnitt 0,4 Hektar Baumbestand gerodet. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Oliver Luksic, der kürzlich in einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung mit Fragen nach der Entwicklung der Windenergie in Wäldern gelöchert hat, verweist gegenüber Tagesspiegel Background auf die „enorme Auswirkung auf ihre Umgebung, auf Natur und Wald, Vögel und Wildtiere, Lärm und Landschaft“. Hinzu kämen besondere Herausforderungen durch Zufahrtswege und Brandschutzanforderungen.

Oliver Luksic (FDP) wollte von der Bundesregierung wissen, wie sich die Zahl der Windräder in Wäldern zuletzt entwickelt hat.
Oliver Luksic (FDP) wollte von der Bundesregierung wissen, wie sich die Zahl der Windräder in Wäldern zuletzt entwickelt hat.

© IMAGO / Christian Spicker

Luksic hatte unter anderem gefragt, wie sich die Anzahl der Windräder im Wald und die installierte Leistung in den vergangenen fünf Jahren entwickelte, wie viele Anlagen in dieser Zeit eine Planfreigabe erhielten, bei welchen Projekten es eine Umweltverträglichkeitsprüfung gab, wie viele Hektar von Wald- zu Windkraftflächen wurden, ob Kahlschlagflächen dabei waren und welche Kompensationsmaßnahmen es gab.

Knappe Antwort der Bundesregierung

Die knappe Antwort wirkt, als wolle sich im Bundeswirtschaftsministerium bei dem heiklen Thema niemand Probleme schaffen: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Angaben vor. Für die Genehmigung der Windenergieanlagen sind die Länder und Kommunen zuständig. Zudem werden Ersatzmaßnahmen individuell in jeder Genehmigung geregelt.“ Im Wirtschaftsministerium weiß man, welchen Druck die bundesweit vernetzten, ausgerechnet von einem seiner eigenen Mitarbeiter koordinierten Anti-Windkraft-Bürgerinitiativen aufbauen können.

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Die Bundesländer indes müssen sich dem Thema stellen und tun es auf unterschiedliche Weise. Mit den Verschärfungen in Thüringen und Nordrhein-Westfalen schrumpft die Gruppe der Länder, die Windenergie im Wald zulassen, laut KNE auf sechs: Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland.

In die Gegenrichtung geht das eher waldarme Flächenland Niedersachsen. Dort sieht der aktuelle Entwurf des Landesraumordnungsprogramms Grundsätze für eine Öffnung vor. Tabu bleiben sollen unter anderem Waldschutzgebiete und besonders alte, historische Teile des Waldes. Genutzt werden sollen vorbelastete, beispielsweise von Schädlingen befallene Flächen.

In Baden-Württemberg rechnet der grüne Umweltminister Franz Untersteller mit einem Windkraftbedarf von zwei Prozent der Landesfläche. Momentan werden kaum 0,4 Prozent dafür genutzt. Mehr Fläche für Windenergie in der Regionalplanung zu verankern werde eine Aufgabe für die nächste Landesregierung nach der Wahl im März sein, sagte Untersteller im Interview mit Tagesspiegel Background. Eine Schlüsselrolle spiele „der Staatswald, der ungefähr ein Drittel der Waldflächen in unserem Land ausmacht. Da ließen sich mehrere hundert Anlagen aufstellen, es braucht aber die richtigen Regelungen.“

Aufforstung für jede Rodung

Das KNE appelliert an die Bundesländer, Waldflächen nicht kategorisch vom Ausbau der Windkraft auszuschließen. „Es ist klar, dass wir in Deutschland nicht in allen Ländern beziehungsweise Regionen genug geeignete Offenland-Fläche für den zur Erreichung der Energiewende-Ziele notwendigen Ausbau haben“, sagt KNE-Experte Ohlenburg. Deshalb solle unter bestimmten Voraussetzungen Windenergie im Wald geprüft werden, dort gebe es Möglichkeiten, „auch unter umfassender Beachtung der Naturschutzgesichtspunkte“.

Das KNE führt in seinen Publikationen Kriterien für eine naturverträgliche Integration von Windkraftanlagen auf. Genutzt werden sollen vorrangig sogenannte Kalamitätsflächen, also Bereiche, in denen der Borkenkäfer oder andere Schädlinge die Bäume so stark geschwächt haben, dass sie im Sturm brechen oder gefällt werden müssen. Auszuschließen seien Flächen mit altem, artenreichem Laub- und Laubmischwald oder einem hohen Besatz von „Höhlenbäumen“, die beispielsweise Vögeln oder Fledermäusen Lebensraum bieten. Standorte sollen so gewählt werden, dass möglichst wenig Wege neu gebaut werden müssen.

Für jede Rodung für eine Windkraftanlage ist die Aufforstung von Ersatzfläche gesetzlich vorgeschrieben. Nach KNE-Einschätzung können solche Kompensationen und mit der Windenergie verbundene Aufwertungsmaßnahmen in Wäldern und Forsten einen Umbau in Richtung Klimaresilienz unterstützen, wenn sie gut gemacht werden – allerdings langfristig und auf sehr begrenzter Fläche.

Das Bundesamt für Naturschutz empfiehlt ebenfalls, naturnahe Wälder freizuhalten und stattdessen Standorte in intensiv forstlich bewirtschafteten Wäldern zu suchen, besonders in Kiefern- und Fichtenforsten. Mit wachsendem Interesse am Wald rechnet auch die Fachagentur Windenergie an Land, die den Ausbau dokumentiert und regelmäßig veröffentlicht. Ende 2019 standen in deutschen Wäldern demnach 2020 Windturbinen mit 5450 Megawatt Leistung. 88 Prozent davon wurden seit 2010 errichtet. Die meisten Wald-Windräder drehen sich in Rheinland-Pfalz (452), gefolgt von Hessen (434) und Baden-Württemberg (330).

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