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Weltklasse. Die deutschen Maschinenbauer sind in vielen Bereichen international Marktführer. Die wichtigsten Exportmärkte sind die USA und China.

© Jens Büttner/dpa

Industriestandort Deutschland: „Wir brauchen nicht „Technologieklarheit“ im Sinne von VW, sondern Technologieoffenheit“

Maschinenbaupräsident Karl Haeusgen über China und Joe Biden, die Zukunft des Verbrennungsmotors und sozialen Zusammenhalt. Und bayerische Kantinen in China.

Karl Haeusgen, Jahrgang 1966, ist Hauptaktionär des bayerischen Familienunternehmens HAWE Hydraulik SE und Enkel eines der beiden Firmengründer. Der Betriebswirt Haeusgen führte den Vorstand des gut 2500 Mitarbeiter in 18 Ländern zählenden Unternehmens bis 2019 und wechselte dann in den Aufsichtsrat. Seit einem halben Jahr ist Haeusgen im Ehrenamt Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), dem 3300 Unternehmen angehören. Mit rund einer Million Beschäftigte ist der Maschinenbau neben dem Fahrzeugbau der wichtigste Industriezweig hierzulande.
Herr Haeusgen, die Belegschaft in Ihrem neuen Werk im chinesischen Wuxi wünscht sich eine Kantine im bayerischen Stil. Wie darf man sich das vorstellen?
(lacht) Je weiter man sich von Deutschland entfernt, desto mehr wird deutsche Lebenskultur als bayerische Lebenskultur verstanden. Und die chinesischen Kollegen wünschten sich eben ein Wirtshaus als Kantine mit rustikalen Holztischen und Vertäfelungen an den Wänden. Auf den Tisch kommt aber regionale Küche.

Was macht HAWE in Wuxi?
Hydraulische Komponenten für Windräder, Solaranlagen, Medizintechnik und Baumaschinen. Wir bauen ein neues Werk mit 25.000 Quadratmetern Fläche, sodass Wuxi nach Kaufbeuren unser größter Standort sein wird. Grundlage dafür ist die Erwartung eines weiteren starken Wachstums in China und im gesamten asiatisch-pazifischen Raum.

HAWE ist typisch für den deutschen Maschinenbau mit einer hohen Exportquote und stetig zunehmendem Geschäft in China. Wie wichtig ist dafür das Ende 2020 abgeschlossene Investitionsabkommen der EU mit China?
Die Maschinen- und Anlagenbauer haben heute noch einen relativ guten Marktzugang in China, deshalb ist das Investitionsabkommen aus aktueller Sicht operativ nicht so relevant. Auf lange Sicht ist es jedoch essenziell, dass China in die Weltgemeinschaft und -wirtschaft eingebunden ist. Dazu trägt das Abkommen bei.

China entwickelt sich von einer verlängerten Werkbank des Westens zu einem Technologieriesen, der den Weltmarktführern im Maschinenbau gefährlich werden kann.
Unser Werk in Wuxi ist auch dem Umstand geschuldet, dass der Wertschöpfungsanteil vor Ort größer werden muss. Reine Exportmodelle nach China sind nicht das, was die chinesische Regierung künftig will. Für den typischen deutschen Maschinenbauer mit 200 oder 250 Mitarbeitern ist es natürlich schwierig, in China eine Produktion aufzubauen. Langfristig gibt es aber vermutlich keine Alternative. Von dem, was Volkswagen in China verkauft, werden mindestens 90 Prozent vor Ort produziert; von dem, was unser Maschinenbau in China verkauft, stammt ein wesentlich kleinerer Teil aus chinesischer Produktion. Das wird sich zumindest bei den größeren Unternehmen in den nächsten Jahren ändern.

Zieht uns die Nachfrage der Chinesen wieder einmal aus der Rezession?
Über einige Quartale wird das vermutlich so sein, wenn auch nicht in allen Bereichen des Maschinenbaus. Die Chinesen setzen gerne auf Infrastrukturprogramme zur Konjunkturstützung, das betrifft dann zum Beispiel Energietechnik und Bauwirtschaft. Davon profitieren wir als Zulieferer chinesischer Maschinenbauer. Es gibt aber die Gefahr eines Strohfeuers: Nach der Finanzkrise hatten wir 2010 bis 2012 einen Boom bei Baumaschinen, was dann dazu führte, dass der Markt 2014/2015 völlig einbrach. Dieses Risiko besteht jetzt auch.

Karl Haeusgen, Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA.
Karl Haeusgen, Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA.

© picture alliance/dpa/VDMA/Teichm

Die riesigen Konjunkturprogramme der USA und der EU dürften bald umgesetzt werden, die chinesische Nachfrage ergänzen und dem Maschinenbau eine goldene Post-Corona-Epoche bescheren.
Ich bin zuversichtlich, dass es aufwärts geht. Von einer Ära wie in den 20er-Jahren möchte ich aber nicht sprechen. Das war vor 100 Jahren ein Tanz auf dem Vulkan und „Vulkanfaktoren“ haben wir gegenwärtig auch – wenn auch andere.

Welche?
Dazu gehören die Problematik der weltweiten Ungleichheit sowie der systemische Gegensatz zwischen China und den USA. Und vor allem die Bedrohung durch den Klimawandel!

Sie haben sich sehr über die Abwahl Donald Trumps gefreut. Macht sich Joe Biden bereits bemerkbar?
Allein die positiven Erwartungen sind schon viel wert. Das Bekenntnis zur globalen Zusammenarbeit lässt hoffen, dass Investitionsbremsen gelockert und Projekte freigeschaltet werden.

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Sie halten aber auch Biden für einen Protektionisten.
In der Vergangenheit waren es immer die Demokraten, die protektionistische Neigungen hatten. Unter Trump ist es dann so schlimm gekommen, dass wir jetzt froh sind über die Demokraten. Ein erstes gutes Zeichen ist die vorläufige Einigung im Subventionsstreit bei Boeing und Airbus. Das zeigt, dass die Vernunft zurückkehrt.

Was war der größte Fehler von Trump?
Handelspolitisch sicher der Ausstieg aus dem transpazifischen Abkommen TTP drei Tage nach Beginn seiner Präsidentschaft. Das war das Dümmste, was er machen konnte, weil er eine Grundlage für den Umgang mit China aufgegeben hat.

Macht es Biden besser?
Er kennt die Bedeutung von Klimaschutz und multilateralen Partnerschaften. Das ist dann wieder auch eine große Chance für den Maschinen- und Anlagenbau, ohne den die Transformation von Industrie und Verkehr nicht gelingen wird.

Im Verkehr dreht sich alles um Elektroautos. VW hat gerade den Bau von sechs großen Batteriezellfabriken in Europa angekündigt. Können die Europäer den Vorsprung der Asiaten und Teslas aufholen?
VW hat sich für Elektromobilität entschieden, und das ist auch völlig in Ordnung und für dieses Unternehmen der richtige Weg. Aber es kann nicht sein, dass die Strategie von VW zu einer nationalen Strategie erhoben wird. Wir brauchen nicht „Technologieklarheit“ im Sinne von Volkswagen, sondern Technologieoffenheit im Interesse der gesamten Industrie.

Das klingt eher skeptisch.
Hoffentlich geht es uns mit den Batterien nicht so wie beim Impfstoff: Heute ein knappes Gut und morgen im Überfluss vorhanden. Es gibt auch andere Technologien, die uns weiterbringen. Synthetische Kraftstoffe zum Beispiel sind meiner Einschätzung nach unverzichtbar.

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Um den Verbrennungsmotor zu retten?
Der deutsche Maschinenbau ist enorm vielfältig und bietet viele Lösungen. Dazu gehört Batterietechnologie, Wasserstoff mit Brennstoffzelle und der Kolbenmotor mit nicht fossilen Brennstoffen aus grünem Wasserstoff.

Was halten Sie von einem Verbot neuer Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor 2030 oder spätestens 2035?
Nicht der Verbrennungsmotor ist das Problem, sondern die fossilen Brennstoffe. Ich bin dagegen, einen Motor zu verbieten. Es verkürzt die Diskussion und wäre sogar klimaschädlich, weil man klimanützlichen Technologien, die mit dem Kolbenmotor verbunden sind, den Massenmarkt abschneiden würde.

Es wird wohl so kommen, wenn demnächst die Grünen in der Bundesregierung sitzen.
Nicht unbedingt. Die Grünen sind nach meiner Erfahrung offen für eine differenzierte Diskussion, auch wenn das gerade veröffentlichte Parteiprogramm erhebliche Zweifel weckt. Wenn wir nur den riesigen Bestand an Autos sehen und die durchschnittliche Nutzung von knapp zehn Jahren, dann ist doch völlig klar, dass wir für den Bestand auch synthetische Kraftstoffe brauchen, um weniger CO2 zu emittieren. Es wird aber niemand Raffinerien bauen und in die Weiterentwicklung der Technologien investieren, wenn es heißt, 2035 ist Schluss.

Setzt voll auf Elektroautos: VW-Chef Herbert Diess.
Setzt voll auf Elektroautos: VW-Chef Herbert Diess.

© Christophe Gateau/dpa

Nach den Erfahrungen mit Lieferkettengesetz und Homeoffice-Pflicht: Wir groß ist Ihre Angst vor staatlichen Eingriffen?
Ich habe keine Angst, sondern ein kritisch-positives Politikbild. Wir brauchen Zusammenarbeit statt Konfrontation. Das Miteinander von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ist absolut unverzichtbar und unser Standortvorteil. Sollte es eine schwarz-grüne Koalition geben, dann könnten sich beide Parteien komplementär ergänzen. Wenn eine angemessene Wirtschaftspolitik kombiniert wird mit einer angemessenen Klimapolitik, dann kommt etwas Gutes dabei raus.

Warum sind Sie so vehement gegen das Lieferkettengesetz als ein Instrument zum Schutz der Menschenrechte?
Weil es um die Frage geht, was Aufgabe der Politik ist und was Aufgabe der Wirtschaft. Wenn es zum Beispiel um die Benachteiligung religiöser Minderheiten in vielen Teilen der Welt und damit auch in Maschinenbau-relevanten Märkten geht, dann ist das eine Aufgabe der Politik. Diese Aufgabe mit erheblicher Bußgeldandrohung auf die Wirtschaft abzuwälzen, ist nicht in Ordnung.

Selbst Daimler mit 60.000 Lieferanten findet das Gesetz prinzipiell richtig.
Daimler hat auch riesige Stabsabteilungen, die sich mit solchen Themen befassen und zum Beispiel Zertifizierungsvorschriften und Risikoanalysen entwickeln und umsetzen können. Und sie werden von ihren Zulieferern entsprechende Zusicherungen verlangen und damit den Druck weitergeben. Was passiert, wenn ein Whistleblower zum Beispiel eine Diskriminierung bei einem Zulieferer in der Lieferkette anzeigt? Muss ich dann zwei Prozent meines Jahresumsatzes als Strafe zahlen? Wird das nicht dazu führen, dass Unternehmen sich aus solchen Lieferketten zurückziehen? Damit wäre nichts gewonnen für die Menschen vor Ort.

Sie wollen also gar kein Gesetz?
Es wäre wirklich toll, wenn wir ein Sorgfaltspflichtengesetz bekämen, das realistische und umsetzbare Vorgaben macht. Ein Gesetz zu machen, das aufgrund seiner Realitätsferne nicht die Akzeptanz der Wirtschaft findet, verfehlt seine Ziele. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass kein deutsches Maschinenbauunternehmen wissentlich in seiner Lieferkette Kinderarbeit und überhaupt Menschenrechtsverletzungen duldet.

Sie plädieren für eine „soziale Globalisierung“ und „sozialen Zusammenhalt“. Was meinen Sie konkret damit?
Unser Wirtschaftssystem wird nur funktionieren, wenn es gelingt, Ungleichheiten nicht zu groß werden zu lassen. Es liegt an uns zu beweisen, dass die soziale Marktwirtschaft das gewährleistet. Auch bei unseren Nachbarn. Wenn wir zum Beispiel auf den nordafrikanischen Küstengürtel schauen, dann liegt es an uns, dort zu Arbeitsplätzen und Wohlstand beizutragen und Fluchtursachen zu bekämpfen. Grüner Wasserstoff aus Nordafrika zum Beispiel kann ein Gewinnerprojekt für alle Beteiligten werden.

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