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Entscheidung an der Ladentheke: Wegen der hohen Lebensmittelpreise kaufen viele Verbraucher Sonderangebote.

© imago images/Martin Wagner

Haltungskennzeichnung für Schweine: Ins eigene Fleisch geschnitten

Die Koalition streitet über die Finanzierung für mehr Tierwohl. Aber die Landwirte brauchen Planungssicherheit, sonst geben sie auf. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Heike Jahberg

Cem Özdemir hat Pech. Wäre er nicht erst jetzt Agrarminister, sondern wäre er das schon in der vergangenen Legislaturperiode gewesen, wäre manches leichter. Das gilt vor allem für das erste, große Projekt seines Hauses: die Haltungskennzeichnung. Durch die sollen alle Kunden künftig erfahren, wie ein Schwein gelebt hat, bevor es zum Schnitzel geworden ist. Hat es im Stall vor sich hinvegetiert, hatte es wenigstens etwas mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben, Außenkontakt oder Auslauf? Kommt es gar aus einem Biobetrieb?

Das verpflichtende, staatliche Kennzeichen, das Özdemir am Dienstag vorgestellt hat, soll den Verbrauchern das auf einen Blick zeigen. Der Grünen-Minister startet klein: Erst geht es nur um Schweinefleisch im Handel, später sollen Geflügel und Rinder folgen, und eines Tages sollen auch Kantinenbesucher und Restaurantgäste informiert werden.

Bewährungsprobe: Bekommt Cem Özdemir das nötige Geld zusammen?
Bewährungsprobe: Bekommt Cem Özdemir das nötige Geld zusammen?

© dpa/Fabian Sommer

Die Haltungskennzeichnung ist überfällig, wenn man mehr Tierwohl in Deutschland will. Eigentlich war man sich darüber schon in der vergangenen Legislaturperiode einig, doch leider ist das Label damals gescheitert. Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner wollte eine Lösung auf freiwilliger Basis, die SPD nicht.

Die Zeit drängt, die Probleme nehmen zu

Wertvolle Zeit ist verplempert worden. Das hatte Konsequenzen. Von 2010 bis 2020 hat sich die Zahl der schweinehaltenden Betriebe halbiert. Vor allem kleine Schweinehalter geben auf. Das hat viele Gründe. Landwirte verdienen mit dem Verkauf ihrer Tiere nicht genug, um Dünger und Futtermittel zu bezahlen. Die Bundesbürger essen immer weniger Schweinefleisch. Zugleich machen Aldi und Co. ihren Fleischlieferanten immer strengere Vorgaben. Sie wollen künftig nur noch Fleisch aus besserer Haltung verkaufen.

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Viele Schweinehalter müssten dazu ihre Ställe umbauen, doch das Geld ist nicht da. Özdemir will helfen und verspricht staatliche Fördergelder. Doch das wird auf Dauer nicht reichen. Die eine Milliarde Euro, die der Minister hat, reicht nur für den Start. Und dann? Werden dann die Verbraucher zur Kasse gebeten, weil die Mehrwertsteuer auf Fleisch von neun auf 19 Prozent steigt oder kommt die Tierwohlabgabe von 40 Cent pro Kilo Schwein?

Kann man in diesen Zeiten Lebensmittel teurer machen?

In normalen Zeiten wäre das ein vernünftiger und höchst überfälliger Schritt. Zumal wenn man zugleich Obst und Gemüse billiger macht. Doch leider sind die Zeiten nicht normal. Angesichts der hohen Lebensmittelpreise sparen viele Menschen am Essen. Sie kaufen Sonderangebote und greifen zu den Handelsmarken der Supermärkte. Preisaufschläge für mehr Tierwohl kommen da zur Unzeit. Die FDP hat das erkannt und blockiert. Höhere Preise für Lebensmittel sind mit ihr nicht zu machen.

Schweine sollen es besser haben: Damit der Staat den Landwirten Geld gibt, müssen die Tiere mindestens Kontakt zur Außenwelt, besser aber Auslauf haben.
Schweine sollen es besser haben: Damit der Staat den Landwirten Geld gibt, müssen die Tiere mindestens Kontakt zur Außenwelt, besser aber Auslauf haben.

© Marijan Murat/dpa

Und nun? Özdemir sitzt in der Klemme. Die Bauern drängeln. Sie wollen und sie brauchen verbindliche Finanzierungszusagen, die zehn, besser aber 20 Jahre halten. So lange dauert es, einen Stall abzubezahlen. Und ohne verbindliche Leitplanken gibt es kein Geld von der Bank. In vielen Betrieben stehen die Jungen jetzt vor der Frage, ob sie den Hof übernehmen. Das tun sie aber nur, wenn sie mit ihrer Arbeit Geld verdienen.

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Jetzt entscheidet sich, welchen Weg Deutschland geht. Eine bessere Tierhaltung hilft den Tieren, der Umwelt und den Landwirten. Meinen wir es ernst mit dem Umbau? Dann müssen wir dafür bezahlen. Entweder an der Ladentheke oder, wenn die FDP eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Einführung einer Tierwohlabgabe blockiert, über Steuerzahlergeld.

Mehr Tierwohl zum Nulltarif gibt es nicht. Wer auf Zeit spielt, schneidet sich ins eigene Fleisch. Ohne Einigung in der Koalition löst sich das Problem nämlich von selbst, weil noch mehr Tierhalter hierzulande aufgeben. Das Schnitzel kommt dann aus Spanien – ganz ohne Haltungskennzeichnung.

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