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Und tschüss. Reiner Hoffmann am 1. Mai auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor. Der gebürtige Wuppertaler führte acht Jahre den DGB.

© AFP

Führungswechsel beim DGB: Runter von der Bühne

Nach acht Jahren an der DGB-Spitze geht Reiner Hoffmann in Rente. Die Nominierung von Nachfolgerin Yasmin Fahimi gilt als dubios.

Zu viel Nähe zur SPD kann gefährlich sein. Vor vier Jahren wurde Reiner Hoffmann mit nur 76,3 Prozent der Stimmen als DGB-Vorsitzender wiedergewählt, da er sich zuvor auf einem Parteitag der Genossen für eine Fortsetzung der großen Koalition eingesetzt hatte. Das ging vielen Delegierten auf dem DGB-Bundeskongress gegen den Strich. 2014 war Hoffmann mit satten 93 Prozent als Nachfolger von Michael Sommer ins Amt gekommen. Jetzt geht der fast 67-jährige Hoffmann in Rente.

Die erste Frau an der DGB-Spitze

Am kommenden Montag wählt der Bundeskongress zum ersten Mal eine Frau an die Spitze des Dachverbands der acht Einzelgewerkschaften. Yasmin Fahimi ist in der Öffentlichkeit bekannt geworden als Generalsekretärin der SPD. Rund 400 Gewerkschafter kommen in Berlin zusammen, und ein prominenter Gast hat sich auch angemeldet: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht auf dem Parlament der Arbeit, wie der alle vier Jahre stattfindende Kongress genannt wird.

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„Gewerkschaften sind Mitgliederorganisationen“, sagt Hoffmann. Mehr als 120 000 Beitragszahler haben die IG Metall, Verdi und Co. allein im vergangenen Jahr verloren. Als Hoffmann 2014 an den Start ging, waren es 6,1 Millionen Mitglieder, jetzt sind es 5,7 Millionen. Der gebürtige Wuppertaler, ausgebildet beim Chemiekonzern Hoechst und seit 50 Jahren Mitglied der SPD und der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), hatte viele Jahre beim Europäischen Gewerkschaftsbund in Brüssel gearbeitet. Von den Erfahrungen in der heterogenen europäischen Szene profitierte Hoffmann in Berlin: Der freundliche DGB-Chef moderierte erfolgreicher als sein Vorgänger die widerstreitenden Interessen im Dachverband.

Das war einmal: Michael Vassiliadis, Vorsitzender IG BCE, Reiner Hoffmann und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann (von links) 2015 einträchtig bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Das war einmal: Michael Vassiliadis, Vorsitzender IG BCE, Reiner Hoffmann und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann (von links) 2015 einträchtig bei einer Pressekonferenz in Berlin.

© picture alliance / dpa

Hoffmann beendete den Streit um die Tarifeinheit und die immer wieder aufflackernden Konflikte um Organisationsgrenzen zwischen den Industriegewerkschaften und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Seine Integrationskompetenz stabilisierte den DGB, und Hoffmanns beinahe schon freundschaftliche Beziehung zu Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer verschaffte den Sozialpartnern Einfluss. Als die Bundesregierung zu Beginn der Pandemie Hilfsmaßnahmen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer entwickelte, waren Hoffmann und Kramer dabei. „Wir sind relativ gut durch die Pandemie gekommen", sagt Hoffmann. „Der Sozialstaat hat sich bewährt.“

Mitbestimmung nicht auf der Höhe der Zeit

Im vergangenen Herbst begleitete der DGB-Vorsitzende die Koalitionsverhandlungen der Ampelparteien – und war begrenzt erfolgreich. Die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro finden die Gewerkschaften gut, obgleich der erneute Eingriff des Staates ein Symptom ist für die Schwäche des Tarifsystems: Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften verlieren Mitglieder und damit auch Gestaltungsmacht. Dabei geht es im rasanten Wandel von Wirtschaft und Arbeitswelt um Gestaltung – inklusive zusätzlicher Arbeitnehmerrechte. „Die Mitbestimmung werden wir weiterentwickeln", heißt es dazu vage im Koalitionsvertrag. Die neue DGB-Vorsitzende wird sich über die Einzelheiten der Weiterentwicklung mit Parteifreund und Arbeitsminister Hubertus Heil rasch verständigen. Bei der FDP und den Arbeitgebern braucht Fahimi Überzeugungskünste.

Fahimi sitzt für die SPD im Bundestag

In den vergangenen Wochen hat sich die SPD-Politikerin in den DGB-Landesbezirken vorgestellt. 1967 in Hannover geboren, Elektrotechnik und Chemie studiert, von 1998 bis 2014 bei der IG BCE, zuletzt Abteilungsleiterin für Grundsatzfragen und politische Planung, dann bis 2015 Generalsekretärin der SPD im Willy-Brandt-Haus, anschließend Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium und seit 2017 Bundestagsabgeordnete. Mit ihrer Wahl zur DGB-Vorsitzenden legt sie das Mandat nieder.

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In den DGB-Bezirken hinterließ Fahimi den Eindruck einer sachkundigen, breit aufgestellten aber nicht oberflächlich informierten Gewerkschafterin, die um die Themen der Basis weiß: Die Industrie steckt in der Transformation, Hunderttausend Arbeitsplätze sind in Gefahr. In den Dienstleistungsbereichen wiederum wird häufig, auch wegen des schwachen Organisationsgrads der Gewerkschaften, prekär gearbeitet.

Die erste Vorsitzende des DGB wird voraussichtlich die SPD-Politikerin Yasmin Fahimi. Am 9. Mai stellt sie sich auf dem Bundeskongress des Gewerkschaftsbundes zur Wahl.
Die erste Vorsitzende des DGB wird voraussichtlich die SPD-Politikerin Yasmin Fahimi. Am 9. Mai stellt sie sich auf dem Bundeskongress des Gewerkschaftsbundes zur Wahl.

© dpa

Durch Integrationskompetenz ist Fahimi bislang nicht aufgefallen, bei der SPD als auch bei der IG BCE erinnern sich Mitarbeitende an rüde Umgangsformen. Um an der DGB-Spitze zu reüssieren, sollte sie das Vertrauen von Frank Werneke gewinnen. Der Verdi-Vorsitzende führt mit der 1000-Berufe-Gewerkschaft einen kleinen DGB, der seine eigene Lobbyarbeit erledigt und sich dabei auch mit den Industriegewerkschaften anlegt. Zur Stellenbeschreibung der oder des DGB-Vorsitzenden gehört vorrangig die Interessenvertretung für die fünf kleinen Einzelgewerkschaften. Kurzum: Zwischen den Großen moderieren und den Kleinen einen Stimme geben.

Schlechte Startbedingungen

Fahimi kommt mit schwerem Gepäck ins Amt, weil die Umstände ihrer Nominierung durch die Vorsitzenden der acht Gewerkschaften speziell waren. Die drei Hauptdarsteller, Jörg Hofmann (IG Metall), Frank Werneke (Verdi) und Michael Vassiliadis (IG BCE), gaben ein tolles Stück, in dem der oder die Schurken nicht so einfach zu erkennen sind.

Hofmann hatte das Vorschlagsrecht für die DGB-Spitze und fand keinen Kandidaten und schon gar keine Kandidatin in den Reihen der 2,2 Millionen Mitglieder zählenden IG Metall. Im Herbst 2021 schlug er dann überraschend Vassiliadis vor. Werneke lehnte ab. „Im DGB findet sich eine große politische und auch kulturelle Spannweite wieder, der/die Vorsitzende muss diese Vielfalt widerspiegeln. Das habe ich bei Michael Vassiliadis nicht gesehen“, erklärt Werneke seine Vorbehalte. Die nächste Überraschung dann im Januar: Hofmann schlägt wieder Vassiliadis vor, Werneke lehnt wieder ab. Die dritte Überraschung folgt ein paar Tage später: Hofmann präsentiert Yasmin Fahimi als Kandidatin – die Lebensgefährtin von Vassiliadis. Diesmal stimmt Werneke zu, weil er nicht anders kann.

Verdi-Chef votierte mehrmals gegen Vassiliadis

Die Geschichte hat noch eine Vorgeschichte. Im September 2019 wurde Werneke als Nachfolger von Frank Bsirske zum Verdi-Vorsitzenden gewählt. Kurz darauf melden sich die Industriegewerkschafter bei dem Neuen. Ob er einverstanden sei, dass Vassiliadis Hoffmann beim DGB ablöse. Und zwar nicht erst nach Ende dessen Wahlperiode 2022. Werneke sagt nein und will sich zu dem Vorgang nicht weiter äußern. „Gespräche unter Vorsitzenden sind vertraulich“, sagte er dem Tagesspiegel auf Anfrage. „Ganz sicher ist es so, dass Reiner Hoffmann zu jedem Zeitpunkt seiner Amtszeit die volle Unterstützung von Verdi und mir hatte.“

Aber offenkundig nicht von Hofmann und Vassiliadis. „Die personellen Sondierungen im Herbst 2019 hatten hypothetischen Charakter und dienten lediglich der Vorbereitung für den Fall, dass Reiner Hoffmann mit Erreichen des Rentenalters im Folgejahr vorzeitig hätte aus dem Amt scheiden wollen“, teilen Vassiliadis und Hofmann mit.

Hoffmann hat indes nach seiner Wiederwahl 2018 keineswegs an ein vorzeitiges Ausscheiden gedacht. Auch nicht im Herbst 2019. „Seinerzeit wurden mehrere Personen angesprochen, darunter auch Vorsitzende von Einzelgewerkschaften“, erläutern Hofmann/Vassiliadis. „Die Sondierungen wurden jedoch nicht zum Abschluss gebracht, da sich Reiner Hoffmann entschieden hatte, über die volle Amtszeit zur Verfügung zu stehen.“ Zwei Jahre später begannen die Sondierungen erneut. Und endeten bei Yasmin Fahimi.

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