zum Hauptinhalt
Macht keine glückliche Figur. Bundesforschungsministerin. Anja Karliczek (CDU), deren Haus 500 Millionen Euro bereitstellt.

© dpa

Forschungsfabrik Batteriezelle: Zieht die Industrie den Stecker?

Die Forschungsfabrik Batteriezellenfertigung ist ein Vorzeigeprojekt von Anja Karliczek. Jetzt gibt es schon wieder Ärger mit der Industrie.

Am 11. Dezember 2020 bedankte sich Ina Schieferdecker in einem Schreiben an die Mitglieder des „Projektbetreuungskreises“ der Forschungsfabrik Batteriezellenfertigung (FFB) für deren „wesentliche Beiträge“ beim Aufbau der FFB, die aber künftig nicht mehr gebraucht würden.

Die „Governance der FFB wird neu strukturiert“, teilte die Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft mit. Der Kreis werde ersetzt durch einen Beirat der Fraunhofer-Gesellschaft, der den Betreiber der Forschungsfabrik direkt berate. Das passt gut: der Betreiber ist die Fraunhofer Gesellschaft.

Vorausgegangen war ein kleiner Streit ums große Geld. Das Ministerium von Anja Karliczek (CDU) gibt 500 Millionen Euro für die FFB aus, weitere 200 Millionen kommen von Nordrhein-Westfalen. Um noch im Haushaltsjahr 2020 weitere Mittel für die FFB freigeben zu können, brauchte das Ministerium im Herbst eine befürwortende Stellungnahme des Projektbetreuungskreises. Der stimmte zu – unter der Prämisse, dass die Fraunhofer einen Businessplan für die FFB vorlegten.

Die Fraunhofer reagierten mit einer umfangreichen Stellungnahme – ohne Businessplan. Woraufhin sich die Industrievertreter im Betreuungskreis außerstande sahen, über die Freigabe der Steuermittel zu entscheiden. Wofür Hunderte Millionen ausgeben, wenn die Betreiber der FFB nicht genau wissen, was mit dem Geld passiert?

Die Autoindustrie hat das Thema verschlafen

Die Episode ist ein weiteres Beispiel für das schwierige Verhältnis der Wirtschaft zur FFB. Die Idee, mit einer staatlich finanzierten Forschungseinrichtung die Bedingungen für großindustrielle Batteriezellenfertigungen vor allem mit Blick auf die Elektromobilität zu verbessern, entstand im BMBF vor vielen Jahren aus Verdruss: Autohersteller und großer Zulieferer wollten an das Zukunftsthema nicht ran. Den einen waren die Markteintrittskosten zu hoch (Bosch), die anderen sahen die Zelle schlicht als Commodity (Daimler), also ein Zulieferteil, das man bei asiatischen Herstellern kauft. Inzwischen hat sich das geändert. Und zwar gravierend. Allein das Bundeswirtschaftministerium gibt drei Milliarden Euro aus für Batteriezellenprojekte hierzulande, darunter auch Tesla in Brandenburg. Rund ein Dutzend Industrieanlagen sind auf dem Weg gebracht. Und zwar unabhängig von der teuren Forschungsfabrik in Münster, die nicht so recht vom Fleck kommt.

Überraschende Standortentscheidung

Damit die FFB bereits in der Konzeptionsphase eng mit der Industrie und damit potenziellen Anwendern verbunden sei, richtete das BMBF Anfang 2019 eine „Gründungskommission“ ein: Vertreter von Thyssen-Krupp und Manz repräsentierten den Anlagenbau, für Chemie und Grundstoffe waren BASF, Umicore und SGL Carbon in der Kommission dabei, ein BMW-Mann stand für die Autoindustrie und Varta und Customcells für Zellhersteller, die bislang aber noch keine Zellen für Autobatterien produzieren.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Sechs Bundesländer bewarben sich für die prestigeträchtige, neue Einrichtung mit einer Grundausstattung von 150 hochqualifizierten Arbeitskräften. Die Gründungskommission präferierte Ulm, doch der Außenseiter Münster bekam im Juni 2019 überraschend den Zuschlag. Mancher Münsteraner Wissenschaftler kann sich die Entscheidung bis heute nicht erklären. Dass der Wahlkreis von Bundesforschungsministerin Karliczek auch von der Standortentscheidung profitierte, provozierte Spekulationen und Ärger.

"Die Industrie ist verprellt"

Die Ministerpräsidenten der unterlegenen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen waren sauer und forderten in einem gemeinsamen Schreiben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, die Entscheidung „nochmals zu prüfen und uns die fachlichen Gründe transparent und nachvollziehbar darzulegen“. Änderungen im Auswahlverfahren hätten „angedeutet, dass bei der Standortentscheidung nicht nur forschungs- und innovationspolitische Gesichtspunkte von Bedeutung“ gewesen seien.

Das war im Frühsommer 2019. Im Winter 2021 „ist die Industrie völlig verprellt“, wie ein Branchenvertreter sagt. Die Fraunhofer hätten die FFB „gekapert“ und machten nun, was sie wollten. An den potenziellen Anwendern vorbei, immer noch ohne Konzept und ohne Kunden, die der FFB die in Münster entwickelten und produzierten Zellen irgendwann abnehmen müssen. „Dem Ding gehört der Stecker gezogen“, heißt es in der Branche. „Die ganze Anlage kommt zwei Jahre zu spät“, meint ein anderer Industrieller. Namentlich genannt werden möchten sie alle nicht: Zu viel Steuergeld ist im Spiel, und niemand will es sich verscherzen mit den Geldgebern im BMBF und anderen Ministerien.

"Sandkasten der Industrie"

Der Frust war erkennbar am 9. Dezember, als die FFB zu einem industriellen Workshop einlud. Man sei zu spät dran und es drohe die Gefahr „Forschung als Selbstzweck“ zu betreiben, heißt es in einem Protokoll der Sitzung. Die FFB sei schlicht zu weit weg vom Marktgeschehen. Als „Herausforderungen“ hielten die Betreiber von der Fraunhofer-Gesellschaft unter anderem folgende Punkte fest: „Identifikation der Kunden und Aufstellen eines langfristigen Geschäftsmodells“, die „Qualifizierung des deutschen Maschinenbaus“, der gegen die asiatische Konkurrenz bislang nicht zum Zuge kommt, und „Verbesserung der Kommunikation und Kollaboration“.

Die FFB möchte an allen Gliedern der Wertschöpfungskette ansetzen: Von den Zellmaterialien über die Zellfertigung und -anwendung bis hin zum Recycling. Man verstehe sich als „Sandkasten für die Batterieindustrie“. Aber was ist, wenn von den potenziellen Anwendern niemand mitspielt im Sand? „Kein Unternehmen steht der FFB positiv gegenüber“, sagt ein Branchenvertreter. „Man sollte jetzt die Reißleine ziehen und neu überlegen, wozu die FFB bis zum Ende des Jahrzehnts einen Beitrag leisten könnte.“ Doch es gibt Hoffnung: Für diesen Mittwoch ist ein weiterer Workshop mit der Industrie anberaumt. Laut FFB haben sich 60 Unternehmen angemeldet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false