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Ein Gaszähler.

© IMAGO/Christian Ohde

„Extrem bittere Pille“: Verbände und Opposition kritisieren Gasumlage scharf

Nach der Festlegung der Gasumlage häufen sich die Forderungen nach mehr Entlastung der Bürger. Die Linke ruft zu Protesten auf.

Angesichts von Mehrkosten in Milliardenhöhe für private Haushalte und Unternehmen infolge der Einführung der Gasumlage häufen sich die Forderungen nach weiteren staatlichen Hilfen - insbesondere für Einkommensschwächere. Die Umlage bedeutet für eine Familie Mehrkosten von fast 600 Euro im Jahr für Gas. Ohne Mehrwertsteuer, wie von der Regierung gewünscht, wären es 484 Euro. Die Unternehmen belastet die Umlage laut Wirtschaftsforschern mit 5,7 Milliarden Euro.

Die Höhe der Gasumlage gaben am Montag die Gasnetzbetreiber bekannt: Sie beträgt ab Oktober 2,419 Cent. Das sind für einen Familienhaushalt mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden 576 Euro, für einen Singlehaushalt mit 5000 Kilowattstunden Verbrauch 144 Euro.

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Auf Unternehmensseite sind laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vor allem energieintensive Grundstoffindustrien wie die Chemie- und Metallindustrie sowie Hersteller und Verarbeiter von Glas, Keramik, Steinen und Erden betroffen. Allein diese drei Branchen trügen mehr als die Hälfte der Mehrkosten.

Auf die deutsche Chemie-Industrie kommen zusätzliche Belastungen von mehr als 3 Milliarden Euro zu, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes VCI, Wolfgang Große Entrup, am Montag. Die Umlage sei zwar volkswirtschaftlich das beste Modell, bedeute aber für die ohnehin hart getroffene Branche eine „extrem bittere Pille“. Die Umlage müsse durch staatliche Zuschüsse möglichst gering gehalten werden. Die Mittel dazu könnten aus Mehreinnahmen bei der Umsatzsteuer in Folge der hohen Energiepreise gegenfinanziert werden.

Die Maschinenbauer rechnen ebenfalls mit einer deutlichen Belastung durch die Gasumlage. „Zusammen mit massiv steigenden Gas- und Strompreisen bis hin zu Problemen, überhaupt Angebote zu bekommen, wird die Energieversorgung zur massiven Herausforderung für den Mittelstand“, sagte Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes VDMA. „Bei den Gaspreisen gehen wir davon aus, dass wir mittelfristig im Vergleich zum Vorkrisenniveau mindestens eine Verdreifachung sehen werden.“

Entlastungen für Gaskundinnen und -kunden forderten nicht nur Verbraucherschützer und Sozialverbände, sondern auch Unternehmensverbände. Der Energiewirtschaftsverband BDEW etwa schlug vor, die Mehrwertsteuer auf den Gas- und den Strompreis auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent zu senken, und zwar für mindestens zwei Jahre. Davon würden auch Unternehmen profitieren.

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Sozialverbände schlugen etwa eine Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes und eine Ausweitung des Wohngeldanspruchs vor, die Einführung einer Kindergrundsicherung und eine Energiepauschale auch für Menschen in Rente. Auch ein Wärmekontingent von 10.000 Kilowattstunden pro Haushalt zu einem fairen Preis gehört zu den Vorschlägen.

Die Gewerkschaft Verdi brachte einen Gaspreisdeckel für den „normalen Verbrauch“ für eine vierköpfige Familie von 12.000 Kilowattstunden ins Gespräch. Die Kosten für diese Gasmenge müssten auf dem Niveau von 2021 gedeckelt werden.

„Die Gasumlage kann nicht ohne ein Entlastungspaket eingeführt werden“, verlangte auch der Verbraucherzentrale Bundesverband. Noch seien viele Fragen offen - daher müsse die Regierung die Einführung der Umlage verschieben: „Solange die Koalition über weitere Entlastungsmaßnahmen streitet, soll die Umlage steuerfinanziert werden.“

Scharfe Kritik aus der Opposition

Die Linke rief Bürger zu Demonstrationen gegen die geplante Gasumlage auf die Straße. „Ich hatte Ihnen ja einen heißen Herbst der sozialen Proteste gegen die soziale Kälte der Bundesregierung angekündigt“, sagte Parteichef Martin Schirdewan am Montag in Berlin. Weil sich die Bundesregierung für einen unsozialen Kurs entschieden habe, „werden wir diesen Protest mit unterstützen, werden ihn da, wo wir können, auch mit organisieren“.

Linken-Chef Schirdewan plädierte abermals für einen Gaspreisdeckel: Ein Grundkontingent für Heizen, Kochen und Warmwasser solle allen Gaskunden zu einem Fixpreis zur Verfügung gestellt werden. Nur zusätzlicher Verbrauch würde mehr kosten.

Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Julia Klöckner, bezeichnete die Gasumlage als „notwendig, aber falsch umgesetzt“. „Es wurde zu spät entdeckt, dass die Gasumlage mehrwertsteuerpflichtig ist“, sagte die CDU-Politikerin am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Mehrwertsteuerbefreiung müsse erst im EU-Rat einstimmig beschlossen werden, die Genehmigung dafür könne bis zu acht Monate dauern.

„Hier haben (Wirtschaftsminister Robert) Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian) Lindner (FDP) geschlafen. Denn man hätte die Umlage auch so ausgestalten können, dass sie nicht mehrwertsteuerpflichtig wird“, erklärte Klöckner.

Auch für Unternehmen, die auf Gas angewiesen seien, bedeute die Umlage Milliardenmehrkosten, sagte Klöckner. Hinzu kämen stark gestiegene Gas- und Stromkosten. „Wir müssen aufpassen, dass nicht Arbeitsplätze in Gefahr geraten.“

„Gasumlagebelastung ohne Entlastungsprogramm ist respektlos“

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte, dass die Bundesregierung parallel zur Bekanntgabe der Gasumlage kein Entlastungsprogramm vorgestellt hat. „Die Gasumlagebelastung ohne gleichzeitiges Entlastungsprogramm zu präsentieren, ist respektlos“, sagte Dobrindt am Montag der Deutschen Presse-Agentur.

Bei der Ampel herrscht Konfusion statt klarer Kurs: Mehrwertsteuer-Problematik ungelöst, Rentner-Berücksichtigung bei der Energiepauschale ungelöst, Energiekosten-Explosion für mittlere und kleinere Einkommen ungelöst, aber Gasumlage-Belastungen beschlossen“, bemängelte Dobrindt. „Die Ampel zeigt sich als die Koalition der schnellen Belastungen und des mangelnden Respekts.“ Nun sei dringend ein Entlastungspaket nötig. Sonst würden die Energiekosten für viele Familien zur Armutsfalle.

Grünen-Chefin nennt weitere Entlastungsmöglichkeiten

Grünen-Chefin Ricarda Lang nannte ein stark ausgebautes Wohngeld, ein höheres Kindergeld oder eine Neuauflage der Energiepreispauschale als Möglichkeiten, die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Auch eine Steuer auf kriegsbedingte Übergewinne könne dabei helfen, „die zu entlasten, die unter den steigenden Preisen am stärksten leiden“.

Aus der FDP kam unmittelbar Widerspruch. Der Abgeordnete Christoph Mayer erklärte, die bereits auf den Weg gebrachten Entlastungspakete begännen erst zu wirken. Als weitere Entlastung sei eine Wohngeldreform vereinbart. Priorität müsse der Abbau der kalten Progression haben. Eine Verlängerung der Akw-Laufzeiten könne zudem preisdämpfend wirken. (dpa, AFP)

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