zum Hauptinhalt
Der GRG-Chef Stephan Schwarz in seinem Büro in der Berliner Fasanenstraße. Er zieht um in die Martin-Luther-Straße - den Sitz der Wirtschaftsverwaltung.

© Doris Spiekermann-Klaas

Engagiert und frei von Ideologien: Stephan Schwarz wird Berlins neuer Wirtschaftssenator

Stephan Schwarz war langjähriger Berliner Handwerkspräsident, Unternehmer und Arbeitsmarktpolitiker. Nun wird er Wirtschaftssenator in Berlin.

In seinem letzten ehrenamtlichen Job lernte der Unternehmer Stephan Schwarz einen versierten Klassenkämpfer kennen und schätzen. Frank Bsirske, ehemals Verdi-Vorsitzender, und der Mittelständler Schwarz gehörten zu an aktivsten Mitgliedern im Rat der Arbeitswelt, der vor knapp zwei Jahren von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) als Beratungsgremium berufen wurde.

Im vergangenen Sommer stellte der Rat seinen ersten Bericht vor – und plädierte dabei unter anderem für starke Einschränkungen der Minijobs. Auch der Unternehmer Schwarz, der sich in den Monaten zuvor hatte überzeugen lassen, dass die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse eher schaden als nutzen.

Schwarz erklärte den Vorschlag der sukzessiven Abschaffung der Minijobs mit deren Missbrauchsanfälligkeit, den Kosten für die Betriebe, wettbewerbsverzerrenden Effekten und der unzureichenden Brückenfunktion hin zu regulären Arbeitsverhältnissen.

Schließlich sei in der Pandemie die Krisenempfindlichkeit deutlich geworden: Im Frühjahr 2020 seien mehr als 550 000 Minijobs verschwunden. Die Wertschätzung beruhte auf Gegenseitigkeit: Bsirske war beeindruckt vom ideologiefreien, klaren Blick des Unternehmers Schwarz auf die Verhältnisse. Künftig als Wirtschaftssenator mit einem weiten Horizont auf die Berliner Wirtschaft.

Typisch Schwarz. Vorfestlegungen sind ihm fremd, und ob als Berliner Handwerkspräsident oder Unternehmer – er hat immer wieder mit unkonventionellen Einschätzungen überrascht. Zum Beispiel im Spätsommer 2015, als die Flüchtlingskrise sich zuzuspitzen begann.

"Es gibt keine guten und schlechten Flüchtlinge"

Es mache keinen Unterschied, ob jemand Wirtschaftsflüchtling ist oder „richtiger“ Asylsuchender, der verfolgt wurde, sagte Schwarz damals dem Tagesspiegel. „Jemand, der eine neue Lebensperspektive sucht, ist mir ebenso willkommen, wie ein Mensch aus einem Bürgerkriegsland“, meinte der Arbeitgeber, in dessen Firma mehr als 100 Nationalitäten arbeiten. „Ich finde das in der öffentlichen Diskussion auch abstoßend: Hier sind die guten und da die bösen Flüchtlinge.“ Als Handwerkspräsident gehörte Schwarz zu den Mitbegründern von Arrivo, dem Berliner Integrationsprojekt.

Positive Reaktionen von Verbänden 

Ein Unternehmer, der sozial denkt und eine Vorstellung von guter Arbeit hat - das gefällt Christan Hoßbach, dem DGB-Vorsitzenden von Berlin-Brandenburg. Schwarz habe zwar keine Verwaltungserfahrung, kenne aber die Strukturen und Akteure in der Berliner Wirtschaft, sagte Hoßbach dem Tagesspiegel. Der Gewerkschafter erhofft sich neue Impulse für die Industriepolitik.

UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck zeigt sich mit der Ernennung von Schwarz ebenfalls zufrieden. Mit ihm übernehme ein "erfolgreicher Berliner Familienunternehmer" den Posten, der über "langjährige Praxiserfahrung" verfüge, sagt Amsinck. "Wir erhoffen uns von ihm die richtigen Impulse, damit die Firmen in der Hauptstadt große Aufgaben wie Digitalisierung und Dekarbonisierung erfolgreich bewältigen können."

Die IHK schätzt das sozialliberale Profil des neuen Senators: Als Unternehmer sei Schwarz ein Liberaler, der sich der sozialen Verantwortung bewusst sei und deshalb in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft stehe, die als rheinischer Kapitalismus in den westdeutschen Nachkriegsjahrzehnten für einen Ausgleich der Interessen stand. Für die Firma von Stephan Schwarz gilt das jedenfalls.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Sein Großvater Walter Schwarz hatte am 20. Februar 1920 in Kreuzberg die Glasreinigungsgesellschaft (GRG) mit zwei Angestellten gegründet. Abgesehen von den Nazi-Jahren und den Turbulenzen nach dem Mauerbau ging es stetig bergauf. Fenster müssen regelmäßig geputzt werden, Schaufenster sowieso und die gläsernen Fassaden von Bürogebäuden auch. „Wir haben immer schwarze Zahlen geschrieben und mussten deswegen nie Mitarbeiter betriebsbedingt kündigen“, erzählt Schwarz, der die Familienfirma in der dritten Generation führt. Sein Bruder Heiko ist für die Niederlassung in Hamburg zuständig.

Mitarbeiter im Mittelpunkt

Bei Dienstleistern mit einem Lohnkostenanteil von mindestens 80 Prozent ist der Stellenwert der Beschäftigten besonders hoch. 1970 hieß es anlässlich des 50. Geburtstags, neben der technischen Entwicklung und dem sozialen Fortschritt hätte die „dynamische Unternehmensführung“ die GRG verändert. „Das Wichtigste jedoch ist gleich geblieben: der Mitarbeiter.“

Und für den beziehungsweise die Mitarbeiterinnen haben sich Walter Schwarz, anschließend sein Sohn Hans-Jochen und dann wiederum dessen Sohn Stephan immer etwas einfallen lassen. Eine Unterstützungskasse hilft zum Beispiel bei Zahnersatz; in der hauseigenen Akademie wird Sprachunterricht angeboten und Walter Schwarz lockte einst jugoslawische Arbeitskräfte mit Werkswohnungen nach West-Berlin, als im August 1961 ein Drittel der Belegschaft hinter der Mauer verschwand und neues Personal gebraucht wurde.

[Lokale Wirtschaft, Politik, Kultur und mehr in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken, hier kostenlos zu haben.]

Heute besorgt die GRG Unterkünfte im Raum Passau für rumänische Arbeitskräfte, die in der Reinigung von Krankenhäusern und Kurkliniken eingesetzt werden. „Die kommen nur, wenn es Wohnungen gibt und wir die Behördengänge erledigen“, sagt  Stephan Schwarz, der vor knapp 20 Jahren schon einmal in der Berliner Wirtschaftspolitik aktiv wurde. Mittelbar jedenfalls.

Gemeinsamer Auftritt mit Wolfgang Clement 

Die Stimmung war miserabel im Handwerk, als Schwarz und Wolfgang Clement im Februar 2003 im Tempodrom auftraten. Der junge Berliner Firmenchef wurde gefeiert und der Bundeswirtschaftsminister beinahe von den aufgebrachten Unternehmern von der Bühne gebrüllt. So war das damals in Krisendeutschland - Lohnnebenkosten, Bürokratie und Zahlungsmoral machten den Handwerkern zu schaffen.

Und die Konjunktur sowieso. Schwarz sprach auf Einladung des Berliner Handwerkspräsidenten Hans-Dieter Blaese auf der Kundgebung, und er machte seine Sache so gut, dass er ein paar Monate später dessen Nachfolger wurde. Ein 38-jähriger studierter Philosoph und Historiker löste den 73-jährigen Blaese ab. Und das funktionierte prächtig.

Berliner Handwerk neu aufgestellt

Piefig und träge, konservativ und immer ein wenig hinterm Baum - das verbreitete Image der Handwerker passte so gar nicht zu dem jungen Intellektuellen, der auch in den Jahren im Amt nicht zum schnöden Funktionär wurde. „Ein Glücksfall“ sei er gewesen, sagt IHK-Chef Jan Eder über den „Menschenfänger“ Schwarz. Eder muss es wissen, denn die Zusammenarbeit der beiden Kammern war noch nie so intensiv gewesen wie in den Jahren von Schwarz und Handwerksgeschäftsführer Jürgen Wittke auf der einen und Eder sowie IHK-Präsident Eric Schweitzer auf der anderen Seite.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Schwarz hatte nach dem plötzlichen Tod des Vaters 1996 die Leitung des Familienunternehmens übernommen. Gemeinsam mit seinem Bruder entwickelte er die GRG-Services rasant, in manchen Jahren wurden 500 Leute eingestellt. Heute beschäftigt der Gebäudedienstleister gut 4200 Mitarbeiter.

Ärger mit der Wirtschaftssenatorin

Schwarz wurde auch noch Vizepräsident der IHK - und trat 2014 von diesem Amt zurück, als ihm der Umgang von Schweitzer mit der damaligen Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer missfiel. Yzer hatte sich verrannt im Streit um die Spitze der landeseigenen Messe Berlin, die in den Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftsverwaltung fällt. Die Senatorin wollte den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans-Joachim Kamp loswerden und Messe-Chef Christian Göke am besten gleich mit.

Eder, auch Mitglied des Messe-Aufsichtsrats, positionierte sich mit Schweitzer an der Seite von Kamp/Göke. Schwarz vermittelte dann einen Kompromiss, über dessen Zustandekommen Vertraulichkeit vereinbart wurde - die dann jedoch von Yzer und Schweitzer gebrochen wurde. Schwarz sah seine Glaubwürdigkeit beschädigt - und trat zurück vom Ehrenamt bei der IHK. Der moralische Kompass hatte ausgeschlagen, und es war für ihn wohl eine Frage von Würde und Anstand, sich von den Spielereien und Tricksereien Schweitzers zu distanzieren.

Zur Startseite