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Das Netz für alle. FDP und Grüne würden die Schieneninfrastruktur der Deutschen Bahn unternehmerisch gerne stärker vom Betrieb trennen, um mehr Wettbewerb zu schaffen.

© Imago/Blickwinkel

Die Weichen neu stellen: Grüne, FDP und SPD beraten über Bahnreform

In den Verhandlungen über eine Ampelkoalition wird offenbar darüber gestritten, ob Infrastruktur und Zugverkehr getrennt werden sollen

Die Verhandlungen über eine Ampelkoalition haben eine hitzige Debatte um eine Neustrukturierung der Deutschen Bahn (DB) ausgelöst. Im aktuellen „Spiegel“ ist zu lesen, FDP und Grüne hätten eine „Zerschlagung“ des Staatskonzerns vorgeschlagen.

Hinter dem politisch aufgeladenen Begriff verbergen sich zwei Reformmodelle. Variante 1: Die Infrastruktur der Bahn würde in eine gemeinwohlorientierte, öffentliche Gesellschaft abgespalten. Damit blieben der DB als Konzern die drei Transportbereiche Regio-, Fern- und Güterverkehr. Variante 2: Es würde eine Holding gebildet, unter der dann der Netzbetrieb neben dem Zugbetrieb organisiert wäre – jeweils mit einem eigenen Vorstand und einem separaten Budget; formal bliebe dabei die Einheit des Konzerns erhalten, die Umstrukturierung wäre weniger zeitaufwendig.

Manche sprechen von einer Zerschlagung

Obwohl ein Umbau in diese Richtung von Fachleuten seit Jahren gefordert und auch gerade wieder von der Monopolkommission der Bundesregierung empfohlen wurde, ließ die Empörung am Freitag nicht lange auf sich warten. Die der SPD nahestehende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) warnte vor der angeblichen „Zerschlagung des Konzerns“. Ein solcher Schritt „würde einen Stillstand bei der Verkehrswende bedeuten“, sagte der stellvertretende EVG-Vorsitzende Martin Burkert der Deutschen Presse-Agentur: „Diese Zeit haben wir nicht. Die Politik muss jetzt die Schiene voranbringen und Geld in die Hand nehmen.“ Die EVG kündigte „massive Proteste“ an, sollte eine künftige Ampelkoalition den Konzern aufsplitten: „Die Trennung ist für uns eine rote Linie.“ Ganz ähnlich äußerte sich die Linkspartei.

Eine völlig andere Position vertreten die Konkurrenten des Staatskonzerns. Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen, sagte am Freitag: „Aus Sicht der Wettbewerber der DB im Güterverkehr ist eine Bahnreform II unverzichtbar. Die Verweigerung der Diskussion durch die Sozialdemokrat:innen sorgt lediglich dafür, dass der unbefriedigende Status quo erhalten bleibt – Fortschritt geht anders.“ Eine „anhaltend miserable Qualität für alle Kund:innen“, steigende Verschuldung und immer wieder verfehlte wirtschaftliche Ziele sprächen eindeutig dafür, „den Patienten DB zu untersuchen und zu kurieren“.

Flixtrain findet die Aussichten verlockend

Auch für den bekanntesten Konkurrenten der Bahn im Fernverkehr, Flixtrain, sind die Aussichten auf eine Strukturveränderung verlockend. André Schwämmlein, Geschäftsführer des Flixmobility-Konzerns, kündigt im „Spiegel“ an, das Angebot von Flixtrain auszubauen, sollte die Bundesregierung den Schienensektor reformieren. Bisher bedient das Unternehmen in Deutschland nur ein halbes Dutzend Strecken. „In Ländern, die erfolgreich Wettbewerb auf die Schiene gebracht haben, sind Infrastruktur und Betrieb getrennt“, sagte Schwämmlein. Deshalb müsse auch Deutschland den Staatskonzern entflechten. Anders als die heutige Bahn hätte ein eigenständiger Netzbetreiber ein wirtschaftliches Interesse, mehr Verkehr und damit auch mehr Wettbewerb auf die Schiene zu bringen.

Schwämmlein fordert zudem, die Trassenpreise dauerhaft an die reinen Nutzungskosten zu koppeln, nicht an die Vollkosten der Infrastruktur. Das würde eine Absenkung von 80 Prozent im Vergleich zum aktuellen Niveau bedeuten. An einem solchen Schritt hätte eine unabhängige Betreibergesellschaft eher Interesse als die DB in ihrer jetzigen Form, so Schwämmlein. „Wir könnten schon 2022 unser Angebot ausweiten, indem wir beispielsweise auf unseren bestehenden Strecken mehr Fahrten anbieten“, sagte Schwämmlein weiter. „Entscheidender aber ist das Signal, dass es sich lohnt, in neue Züge zu investieren.“

Auch die Führungsetage könnte sich verändern

Im Zuge der Debatte legte der Grünen- Finanzexperte Sven Giegold auch nahe, die DB-Tochtergesellschaften im Ausland zu verkaufen. „Ich frage mich, ob die Bahn sich mit dem Güterverkehr in aller Welt weiterhin beschäftigen muss. Oder ob sie lieber den Bahnverkehr im Inland und zu den Nachbarländern ausbaut“, sagte Giegold der „Rheinischen Post“. Giegold sitzt im Europa-Parlament und ist Teil der Finanz-Arbeitsgruppe bei den Ampel-Koalitionsverhandlungen.

Die mit mehr als 30 Milliarden Euro verschuldete Bahn hatte bereits versucht, die Auslandsnahverkehrstochter Arriva abzustoßen. Dies scheiterte aber unter anderem an der Coronakrise. Im Fokus steht zudem die internationale Speditionstochter Schenker. Sie war zuletzt der wichtigste Gewinnbringer für den Staatskonzern. Ein Verkauf könnte nach Expertenschätzungen einen Erlös von mehr als zehn Milliarden Euro bringen. So unterschiedlich die Auffassungen von FDP und Grünen auf der einen Seite und den Sozialdemokraten auf der anderen Seite in puncto Strukturreform sind – ein größerer Umbau in der Führungsetage des Staatskonzerns gilt als sehr wahrscheinlich. Konzernchef Richard Lutz und sein Vize, der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU), haben bei den Ampelparteien keinen guten Stand. Pofalla leitet bei der Bahn die wichtige Infrastruktur-Sparte.

Zumindest bei der SPD und den Arbeitnehmer:innen der DB hat die bisherige Güterbahn-Chefin Sigrid Nikutta starke Unterstützung. So könnte sie schon bald Konzernchef Lutz ablösen. Auch Aufsichtsratschef Michael Odenwald wird voraussichtlich seinen Posten verlieren. Er war stets auf Unionsticket unterwegs.

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