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Nicht sehr attraktiv: In Gesundheitsämtern verdienen Ärzte bis zu 1500 Euro weniger als in Krankenhäusern.

© dpa

Ärzte in Gesundheitsämtern: Trotz Personalnot kein Tarif in Sicht

Amtsärzte verdienen weit weniger als Klinikmediziner - auch deshalb bleiben immer mehr Stellen unbesetzt. Doch ein Tarifvertrag ist nicht in Sicht.

Am 16. November wird es ernst, die Tarifverhandlungen des Marburger Bund (MB) mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) gehen in die entscheidende Phase. 5,5 Prozent mehr versucht die Gewerkschaft dabei für die rund 55.000 Ärzt:innen an den kommunalen Krankenhäusern herauszuholen – neben deutlichen Verbesserungen bei Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften.

Doch eine andere Medizinergruppe, die ebenfalls den Kommunen untersteht, bleibt mal wieder außen vor: die in der Corona-Epidemie besonders gefragten Ärzt:innen an Gesundheitsämtern. Im Vergleich zu ihren Kolleg:innen in den Kliniken gelten sie als chronisch unterbezahlt. Und obwohl der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) mittlerweile händeringend nach mehr Fachpersonal sucht und der Bund dafür nun auch mehrere Milliarden Euro zur Verfügung stellt, weigern sich die kommunalen Arbeitgeber weiterhin beharrlich, den ÖGD-Ärzt:innen einen eigenen Tarifvertrag zuzugestehen und den Job dadurch attraktiver zu machen.

„Von Starrsinn geprägte Blockade“

Man habe diesmal „keine erneuten Forderungen zum öffentlichen Gesundheitsdienst erhoben“, bestätigte MB-Chefin Susanne Johna nach dem Start der Tarifverhandlungen vor einem Monat. Begründung: „Die von Starrsinn geprägte Blockade der Arbeitgeber, unsere Verhandlungen zum ÖGD fortzusetzen, lässt sich leider nicht durch Verhandlungen im Krankenhausbereich brechen.“ Hier sei „die Politik gefragt, endlich den zuständigen Ländern und Kommunen klarzumachen, dass Ärztinnen und Ärzte im ÖGD keine Verwaltungsangestellten sind, sondern einen überall gesuchten freien Beruf ausüben.“

Tatsächlich ist der Versuch der Gewerkschaft, die Arbeitgeber im Rahmen von Verhandlungen auch zu einem Tarifvertrag für ÖGD-Ärzt:innen zu bewegen, bereits zwei Jahre her. Damals habe man der VKA „die Zusage abringen können, noch im selben Jahr mit uns separate Tarifverhandlungen zum Öffentlichen Gesundheitsdienst zu beginnen“, erinnert sich MB-Sprecher Hans-Jörg Freese. Bis dahin habe sich die VKA „schlicht geweigert, solche Gespräche aufzunehmen“ – weil ja mit dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVÖD) bereits ein Tarifwerk bestünde, das auch die Ärztinnen und Ärzte im ÖGD erfasse. Die für den Dezember 2019 vorgesehenen Verhandlungen über den ÖGD seien dann jedoch, kaum dass man sie begonnen hatte, „von Arbeitgeberseite mit dem Hinweis unterbrochen worden, zunächst internen Klärungsbedarf aufarbeiten zu müssen“. An diesem Zustand, bedauert Freese, habe sich bislang leider nichts geändert, „so dass sich Marburger Bund und VKA formal weiterhin in Verhandlungen über den ÖGD befinden, diese jedoch von der Arbeitgeberseite blockiert werden“.

Verdi und Beamtenbund ebenfalls mit im Spiel

Bei dem Verhandlungstermin im Dezember 2019 habe man dem Marburger Bund deutlich gemacht, dass sich neben ihm auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der DBB Beamtenbund als Vertreter der Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst fühlten, heißt es dazu bei der VKA. „Wir haben im Moment die Situation, dass diese Tarifpartner ihre Zuständigkeiten miteinander noch nicht geklärt haben und nicht gemeinsam mit der VKA verhandeln“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage des Tagesspiegel Background. Das Angebot der VKA, ein gemeinsames Gespräch zur Lösung dieser Situation zu suchen, sei vom MB seinerzeit abgelehnt worden.

Gleichzeitig stellte die VKA-Sprecherin klar, dass der ÖGD nicht in den Tarifvertrag der Ärzt:innen an kommunalen Kliniken einbezogen werden sollte, wie vom Marburger Bund gefordert. Die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus seien „völlig andere als zum Beispiel im Gesundheitsamt“, betonte sie. „Das müssen und werden wir im Blick behalten. Tarifliche Regelungen müssen zu den tatsächlichen Arbeitsbedingungen passen.“ Im übrigen habe man am 25. Oktober 2020 mit Verdi und DBB Beamtenbund auch für den ÖGD eine Zulage von monatlich 300 Euro vereinbart. „Zudem wurde für zahlreiche Ärztinnen und Ärzte eine weitere Erfahrungsstufe eröffnet, so dass sich auch aus dieser Stufe 6 eine weitere Einkommensverbesserung bzw. Exspektanz ergibt.“ 

Bis zu 1500 Euro weniger als im Krankenhaus 

Ein wenig erinnert das alles an die Situation in der Pflege, wo es trotz extremen Personalnotstands auch erst nach langem Gewürge und politischer Einmischung gelang, eine Bezahlung nach Tarif zu erreichen. Je nach Qualifikation verdienten Ärzt:innen an Gesundheitsämtern 1.000 bis 1.500 Euro weniger als ähnlich qualifizierte Kolleg:innen in den Krankenhäusern, berichtet Ute Teichert, die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). Ein enormer Wettbewerbsnachteil, der hauptverantwortlich für die immer schwerer zu besetzenden Medizinerstellen im ÖGD sei.

Wie viele zusätzliche Ärzte benötigt werden, ist nach Teicherts Worten unklar, weil es – man mag es kaum glauben – keine Zahlen gibt. Das Bundesamt für Statistik sei zwar inzwischen mit einer Erhebung beauftragt worden, habe aber noch keine Ergebnisse veröffentlicht. Laut Bundesärztekammer waren im Jahr 2020 bundesweit insgesamt 3.400 Mediziner:innen in Gesundheitsämtern tätig, darunter knapp 400 Fachärzt:innen. Angesichts von 380.000 Ärzt:innen in Deutschland sei das natürlich viel zu wenig, so Teichert – zumal die Teilzeitquote in den Gesundheitsämtern hier noch gar nicht eingerechnet und ziemlich hoch sei.

Finanzstarke Kommunen locken mit Zulagen

Entsprechend ist die Situation beim Recruiting in den Gesundheitsämtern. Aufgrund der hohen Nachfrage stellten finanzstarke Kommunen Fachärzt:innen Zulagen in Aussicht, berichtet die Verbandschefin. Das bewege sich im Rahmen von 1.000 Euro und mehr pro Monat. Entsprechend gebe es „Wanderbewegungen“ hin zu den besser zahlenden Arbeitgebern. Das alles sei natürlich kein Wunder ohne tarifrechtliche Regelungen. „Wenn man die Gelder nach Gutsherrenart verteilt, gewinnen nun mal diejenigen, die am meisten bieten.“

Es gehe jedoch darum, beim Gesundheitsschutz die gesamte Bevölkerung in den Blick zu bekommen und nicht nur die einzelnen wohlhabenden Kommunen, sagte Teichert dem Tagesspiegel Background. Gerade in Pandemiezeiten, aber auch angesichts neuer Herausforderungen durch den Klimawandel müsse der ÖGD dringend gestärkt werden. Nicht nur, aber auch mit mehr Ärzt:innen, denen man endlich vergleichbare finanzielle Perspektiven und Karrierechancen bieten müsse wie in Krankenhäusern oder beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Brandbrief an die Gesundheitsminister

Verbandsschätzungen zufolge fehlen in den Gesundheitsämtern rund 10.000 Fachkräfte. Dem im September 2020 beschlossenen „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ zufolge sollen bis Ende 2021 zusätzliche 1.500 Stellen geschaffen sein, bis Ende 2022 dann nochmal 3.500. „Wir brauchen alles“, so Teichert: Hygienekontrolleur:innen, Epidemiolog:innen, Biolog:innen, Public-Health-Expert:innen. Nun verschärfe sich die Situation erneut: Man komme „schon wieder nicht mehr hinterher mit den Kontaktnachverfolgungen“. Zwar seien die Besetzungen regional unterschiedlich. Es lasse sich aber absehen, dass die Situation im Winter wieder explodieren und man in neuerliche Überlastungen hineinlaufen werde.

Erst im Juli hatten Teichert und MB-Chefin Johna in einem Brandbrief an die Finanzminister- und Gesundheitsministerkonferenz der Länder nochmals auf einen Tarifvertrag für ÖGD-Ärzt:innen gedrängt. Ein Schwerpunkt des Paktes für den ÖGD liege auf verbesserter Personalgewinnung für die Gesundheitsämter, heißt es darin. „Es wäre fatal, wenn zwar neue Stellen geschaffen und finanziert würden, diese jedoch mangels Attraktivität und schlechter Bezahlung nicht nachbesetzt werden könnten.“ Und, so die Warnung: Künftige Krisen wären dadurch dann „noch schwerer zu bewältigen“. Gesundheitsexperten aus dem Bundestag sehen das genauso. Unterschrieben wurde der Brief auch von Janosch Dahmen (Grüne), Karl Lauterbach (SPD), Rudolf Henke (CDU) und Harald Weinberg (Linke).

Antwort des amtierenden GMK-Chefs Klaus Holetschek vom 11. Oktober: Der Wunsch nach einem eigenen Tarifvertrag werde von den Gesundheitsminister:innen der Länder „nachdrücklich unterstützt“. Schließlich sollten vergleichbare Tätigkeiten „auch vergleichbar und der Tätigkeit angemessen vergütet werden, damit mit der ÖGD weiterhin das notwendige ärztliche Personal gewinnen und binden kann“. Nur so könne „auf dem angespannten Arbeitsmarkt die Konkurrenzfähigkeit gegenüber den übrigen ärztlichen Vergütungssystemen im Klinikbereich und dem Medizinischen Dienst gewahrt werden“. Allerdings bleibt es auch hier beim bloßen Appell: Fragen der Tarifordnung fielen, so teilte Bayerns Gesundheitsminister bedauernd mit, „maßgeblich in die Kompetenz der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber bzw. der Tarifgemeinschaft deutscher Länder“ und seien „daher unserer unmittelbaren Einflussnahme entzogen“.

Streik während der Coronakrise nicht realisierbar

Der Marburger Bund jedenfalls ließ es an klaren Worten nicht fehlen. Der ÖGD werde „oft als dritte Säule der Versorgung bezeich­net“, so Verbandsvize Andreas Botzlar. „Von der VKA wird er allerdings wie das fünfte Rad am Wagen behandelt.“ Dass den Ärzt:innen im ÖGD ein eigener Tarifvertrag verweigert werde, stehe „im krassen Widerspruch zu den Krokodilstränen, die von den Arbeitgebern angesichts der Situation des ÖGD in der Corona-Pandemie vergossen werden.“ Und Verbandschefin Johna stellte nicht nur die Frage, weshalb sich „junge Kolleginnen und Kollegen, denen überall die Türen offenstehen“, für den ÖGD entscheiden sollten, wenn die Gehaltsunterschiede zur Arbeit im Krankenhaus so riesig seien. Sie erinnerte auch daran, dass 70 Prozent der Amtsärzte in den nächsten zehn bis 15 Jahren das Rentenalter erreichen.

Knapp ein Jahr sind diese Appelle mittlerweile alt. Gefruchtet haben sie bisher nicht. Dazu trug auch die Coronakrise bei. Ein Streik wäre in dieser Situation „nicht realisierbar gewesen, ohne dass davon die Eindämmung von Infektionen und andere Aufgaben in der Bewältigung der Pandemie betroffen gewesen wären“, räumt MB-Sprecher Freese ein. Deshalb müsse nun der politische Druck auf die Kommunen erhöht werden, sagte er Tagesspiegel Background. Wenn sich die VKA weiter querstelle, werde „es nicht gelingen, die massiven Personalprobleme im ärztlichen Bereich zu lösen, die sich seit Jahren verschlimmern“. Es reiche nicht, Stellen auszuschreiben, auf die sich niemand bewirbt. Schon jetzt gebe es Gesundheitsämter in Deutschland ohne ärztliche Leitung. „Es liegt nun auch an der neuen Bundesregierung, den kommunalen Arbeitgebern klarzumachen, welche Verantwortung sie für die Zukunft des ÖGD und damit auch für die Versorgung der Bevölkerung tragen.“

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