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Allein mit seinem Schmerz. Timo Werner hatte gegen Nordmazedonien die Siegtorchance auf seinem Fuß und vergab kläglich.

© dpa

Wie Mario Gomez bei der EM 2008: Timo Werner und sein dramatischer Fehlschuss

Bei der Niederlage gegen Nordmazedonien offenbart die deutsche Nationalmannschaft erneut ihre Schwächen. Dem Team fehlt der gute alte Mittelstürmer.

So viel Glück muss man erst einmal haben. Das Glück, dass man gegen einen ultradefensiven Gegner plötzlich Platz zum Kontern hat. Dass sich auf einmal Räume öffnen, die man zuvor nur aus Erzählungen kannte und dass der bis dahin so diszipliniert verteidigende Gegner in einem Moment der Unordnung erwischt wird.

Ja, das war wirklich ein unverschämtes Glück, das die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gut zehn Minuten vor dem Abpfiff des WM-Qualifikationsspiels gegen Nordmazedonien hatte. Serge Gnabry spielte den Ball in die Tiefe, Ilkay Gündogan hatte Platz und eine Idee, und Timo Werner in etwa die gleiche. Jedenfalls sprintete der Stürmer in den Strafraum, brachte sich in perfekte Abschlussposition, bekam den Ball von Gündogan zugespielt – und stolperte ihn dann irgendwie mit dem linken Fuß weit rechts am Tor der Nordmazedonier vorbei.

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Die Szene erinnerte auf beeindruckende Weise an einen der legendärsten Fehlschüsse der deutschen Fußballgeschichte. Damals, EM 2008, letztes Vorrundenspiel gegen Österreich, als die Deutschen um den Einzug ins Viertelfinale bangen mussten. Mario Gomez hatte die Führung auf den Fuß. Er stand schon fast auf der Linie des österreichischen Tores und brachte es irgendwie fertig, den Ball trotzdem noch über die Latte zu bugsieren.

Im Juni 2008 ging die Sache zumindest für die deutsche Mannschaft glimpflich aus. Sie gewann durch ein Freistoßtor von Michael Ballack 1:0, zog in die nächste Runde ein und erreichte am Ende sogar das EM-Finale.

Im März 2021 hingegen fügten sich die Dinge leider nicht mehr zum Guten. „Ich habe das Gefühl gehabt, dass das so ein bisschen einen Knacks gab für die Mannschaft“, sagte Bundestrainer Joachim Löw über Werners Fehlschuss. Fünf Minuten später traf Eljif Elmas für die Nordmazedonier zum 2:1-Endstand.

Es mangelt an Präzision und Entschlossenheit

Werners verdaddelte Chance fasste die Niederlage der Nationalmannschaft ebenso kurz wie perfekt zusammen. Im entscheidenden Moment fehlten den Deutschen Präzision, Entschlossenheit und Durchschlagskraft. Werner war für Gündogans Zuspiel schon einen Tick zu weit vorausgesprintet, Ball und Füße verhedderten sich ein wenig, und am Ende musste Werner den linken Fuß nehmen anstelle des rechten, was bei einer Hereingabe von der linken Seite generell keine besonders gute Idee ist.

„Das tut mir leid für Timo“, sagte Ilkay Gündogan, der gegen Nordmazedonien Manuel Neuer als Kapitän vertrat. „Er ist derjenige, der das Tor am allermeisten machen will.“ Mario Gomez hatte in den Jahren 2008 ff. lange zu knabbern an seinem Fehlschuss gegen Österreich. Er wurde nie der international herausragende Stürmer, der er ersten Prognosen zufolge hätte werden sollen. Und auch bei Timo Werner ist ein negativer Effekt zumindest nicht komplett auszuschließen.

Der 25-Jährige befindet sich momentan ohnehin in einer Phase des Zweifelns, nachdem er im vergangenen Sommer für 53 Millionen Euro aus Leipzig zum FC Chelsea gewechselt ist. Neuer Verein, neues Land, neue Umgebung: Die Eingewöhnung gestaltet sich schwieriger als gedacht. Seit Ende November hat Werner für seinen neuen Klub nur ein Tor erzielt – es war zugleich das einzige in insgesamt 14 Einsätzen in diesem Jahr.

Timo Werner hat seinen Stammplatz verloren

Auch in der Nationalmannschaft ist seine Position inzwischen prekär. In den drei Qualifikationsspielen gegen Island, Rumänien und Nordmazedonien war er jeweils nur Ersatz. Löw bot stattdessen Werners Londoner Teamkollegen Kai Havertz auf, der eigentlich offensiver Mittelfeldspieler ist.

Dabei galt Timo Werner einmal als Deutschlands große Sturmhoffnung – zumal er mit seiner Zielstrebigkeit dem Bild eines typischen Abschlussstürmers von allen potenziellen Kandidaten für die Position im Angriff noch am nächsten kommt. Aber ein klassischer Mittelstürmer, der sich im Strafraum zuhause fühlt, ist auch Werner nicht. Genau den aber brauchen Bundestrainer Löw und die Nationalmannschaft.

Das Offensivspiel der Deutschen gegen Nordmazedonien war jedenfalls ein beeindruckendes Plädoyer für den guten, alten Mittelstürmer, für den kompromisslosen Knipser, der nur einen Weg kennt: den zum Tor. Die deutschen Aushilfsangreifer wählten am Mittwochabend in Duisburg verlässlich den Umweg, legten lieber quer oder ab und verpassten dadurch immer wieder den richtigen Moment. „Wir waren zu zögerlich im Abschluss, wir haben zu viel klein, klein gespielt“, sagte Löw. „Ich hätte mir gewünscht, dass man konsequent den Abschluss sucht.“ Timo Werner hat es immerhin versucht.

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