zum Hauptinhalt
Von Rückschlägen gebeutelt: die "MACSF" von Isabelle Joschke schleppt sich jetzt mit lädiertem Kiel in Sicherheit.

© Ronan Gladu / VG2020

Vendée Globe – Aufholjagd in der Rush Hour: Wie lange hält man das aus?

Weniger als 5000 Meilen vor dem Ziel kommen die technischen Vorteile von Boris Herrmanns „Seaexplorer“ zum Tragen. Isabelle Joschke muss aufgeben.

Als sich Romain Attanasio vor ein paar Wochen verplapperte und verriet, dass die dreißig Soloskipper untereinander durch eine WhatsApp-Gruppe verbunden seien, da kam heraus, dass sie auf Betreiben Boris Herrmanns eingerichtet worden war. Der Deutsche sei auch derjenige, meinte der 43-jährige Franzose, der sie am intensivsten nutze. „Manchmal werfen wir ihm vor, dass er zu viel rede.“

An einem Beitrag für die „FAZ“ berichtet Herrmann nun, dass die Kommunikation zwischen den Skippern abgebrochen sei. Im Süden sei man noch füreinander da gewesen, doch seit es nach der Umrundung Kap Hoorns auf die Schlussetappe gehe, gibt kaum ein Segler mehr etwas von sich preis. „Wir sind wieder zu echten Konkurrenten geworden.“

Das würde den Hamburger wohl betrüben, der einräumt, gar nicht so gerne alleine unterwegs zu sein, wenn er nicht gerade mit Wucht an den anderen vorbeiziehen würde. Die „Seaexplorer“ findet auf der Rückseite eines ausgeprägten Tiefdruckwirbel die Bedingungen vor, die ihre großen, schweren Flügelschwerter benötigen.

Binnen eines Tages hat sich Herrmann vom neunten auf den sechsten Rang verbessert, segelt meistens drei bis vier Knoten schneller als die Segler in unmittelbarer Nähe, Jean Le Cam und Benjamin Dutroux. Da ihre Imoca-Yachten keine Foils besitzen, scheint sich endlich mal auszuzahlen, worauf Herrmann die ganze Zeit gehofft hatte – dass sein „fliegendes“ Boot in kurzer Zeit so viel mehr Strecke gutmachen kann, damit er in einem neuen Wettersystem verschwinde.

Immer im Austausch. Boris Herrmann gründete eine WhatsApp-Gruppe für alle Skipper.
Immer im Austausch. Boris Herrmann gründete eine WhatsApp-Gruppe für alle Skipper.

© Andreas Lindlahr

Seine Ausgangslage ist günstig, um Mitte der Woche sogar zu den Spitzenreitern aufzuschließen, deren Fortkommen durch einen Hochdruckrücken erschwert wird. Noch hat Charlie Dalins „Apivia“ in den vergangenen 24 Stunden die größte Distanz zurückgelegt und den 430-Meilen-Vorsprung, den der führende Yannick Bestaven am Hoorn noch besaß, wettgemacht. Doch von hinten rauschen Herrmann und der etwas vor ihm liegende Louis Burton heran. Und beide könnten es wegen der meteorologischen Tücke des südlichen Atlantiks ebenfalls bis aufs Podium schaffen.

Endlich wieder Sommer. Charlie Dalin, der Montagnacht wieder die Führung übernahm.
Endlich wieder Sommer. Charlie Dalin, der Montagnacht wieder die Führung übernahm.

© Charlie Dalin / Apivia

Vor allem Burtons Aufholjagd ist bemerkenswert. Im Indischen Ozean hatte der Skipper der zitronengelben „Bureau Vallee“ zeitweilig an zweiter Position gelegen und gehörte danach zur Verfolgergruppe, die von Rang vier bis zehn hinter Bestaven hersauste. Doch südlich von Tasmanien bekam er Probleme mit seinem Großsegel, das er nicht mehr ganz nach oben ziehen konnte. Im Windschatten von Macquarie Island behob er den Schaden, was eines der Meisterstücke dieses Rennens bleiben wird.

Die Distanz zur Spitze betrug schließlich 800 Meilen. Doch Burton, der die Siegeryacht des Vendée Globes von 2016 unverändert segelt und nur ein geringes Budget zur Verfügung hat, blieb seiner Linie treu. Er brauchte elf Tage, um sein altes Päckchen einzuholen. Bei Kap Hoorn lag er an sechster Position, nun hat er es auf Rang vier geschafft – mit besten Aussichten nach vorne.

So stark wie die Männer. Isabelle Joschke wollte solche Unterschiede vergessen machen.
So stark wie die Männer. Isabelle Joschke wollte solche Unterschiede vergessen machen.

© Ronan Gladu / VG2020

Wenn es dagegen um Isabelle Joschke ruhiger geworden ist, dann liegt es an ihrer dramatischen Lage. Die Deutsch-Französin hat das Rennen aufgegeben, nachdem der Kiel ihrer „MASCF“ nur noch unkontrolliert unter dem Boot hin und her schlingert. Er lässt sich weder hydraulisch einstellen, noch arretieren. Derzeit navigiere sie „nach dem Wetter“, wie die 43-Jährige am Sonntag mitteilte. Das bedeutet, dass sie ihr instabiles Gefährt so gut es geht vor dem Wind hält. Seitendruck würde die „MACSF“ zwar nicht unbedingt kentern lassen, aber doch unnatürlich hart auf die Seite werfen.

Diese Art Schaden war bei Imoca-Yachten früherer Generationen öfter aufgetreten. Manche Boote hatten manövrierunfähig aufgegeben werden müssen oder sanken gar. Durch ein einheitliches System glaubte man das Problem gebändigt zu haben. Doch Joschkes Racer hat das Einheitssystem noch nicht.

Das Boot galt, als es 2007 unter dem Namen „Safran“ für Marc Guillemot gebaut wurde, als innovativer Leichtbau. Nun zählt es zu der Generation von früheren Nicht-Foilern, die aufwendig modernisiert und wie Hermanns „Seaexplorer“ nachträglich mit großen Foils ausgerüstet wurde. Ein diffiziles Unterfangen wie Sam Davies‘ bereits ausgeschiedene „Initiatives Coeur“ und die gesunkene „PRB“ zeigen. „Seaexplorer“ und „MASCF“ nutzen dasselbe Foil-Design. 

Joschke erwarb sich ihre Hochseemeriten auf der Figaro-Tour, die den Solo-Nachwuchs auf küstennahen Strecken denselben Strapazen aussetzt, die es später beim Vendée Globe zu bestehen gilt. Eigentlich hätte sie schon 2016 an den Start gehen sollen, doch bekam sie das nötige Budget nicht zusammen. Nach dem Rennen kam die Versicherungsgruppe MASCF auf sie zu. Als Teammanager und Co-Skipper hatte sie nun den Vendée-Globe-Altmeister Alain Gaultier an ihrer Seite. Trotzdem gelang es ihr nach zwei abgebrochenen Qualifikationsrennen erst im letzten Moment, die nötigen Voraussetzungen für eine Teilnahme zu erfüllen.

Per Anhalter durch die Galxis... Isabelle Joscke umrundete Cap Horn mit einem bereits lädierten Schiff.
Per Anhalter durch die Galxis... Isabelle Joscke umrundete Cap Horn mit einem bereits lädierten Schiff.

© Isabelle Joschke / MACSF

Auch in das Vendée Globe startete Joschke mit Mühe. Ihr Ehrgeiz war, den Unterschied zwischen Männern und Frauen vergessen machen. Um den physischen Nachteil ihrer kleinen Statur auszugleichen, ließ sie Fußpedale am Grinder anbringen. Als sie im Südatlantik ihren Rhythmus fand, zählte sie oft zu den Schnellsten im Feld. Beharrlich arbeitete sie sich an die Spitzengruppe heran, in der sie als einzige Frau mithielt, und überholte auch Boris Herrmann immer wieder mal.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Das Desaster kündigte sich an als eine Woche zuvor ein Hydraulikzylinder kaputtgegangen war, mit dem der Schwenkkiel zur Seite geneigt wird. Der Rückschlag ereilte sie, nachdem ihr bei Kap Hoorn  erst die Windanzeige verlorengegangen und dann auch noch ein Gennaker zerrissen war. Als sie endlich schlafen wollte, hörte sie verdächtig knarzende Geräusche. Daraufhin blockierte Joschke den Kiel mittig, der immerhin Zweidrittel des Bootsgewichts von 7,7 Tonnen ausmacht. Aber dieser Mechanismus brach nun ebenfalls.

So sieht sich die zierliche Madame einer großen Herausforderung gegenüber. Wie Land erreichen, wenn es nur mit Rückenwind geht? Zu Wochenbeginn segelt sie in der Mitte des Südatlantiks nur immer weiter vom Land weg. Sie muss um das Tief einmal herumfahren in der Hoffnung, Brasilien auf der anderen Seite erreichen zu können. Im Notfall gäbe es hier wohl Schifffahrtsrouten, aber ist das ein Trost?

Was sich derweil an der Spitze des Rennens tut, ähnelt immer mehr den harten Positionskämpfen, wie man sie zuletzt beim Volvo Ocean Race beobachten konnte. Und da segelten acht- bis zehnköpfige Mannschaften gegeneinander. Die Wettermodelle sind so gut geworden, dass die Skipper alle dieselben schmalen Übergänge ansteuern und sich auf engstem Raum Kämpfe um jede Meile liefern.

Doch wie lange kann ein Mensch das alleine durchhalten? Noch ist das Ziel etwa 19 Tage entfernt. Und da entwickelt sich etwas, das noch nie gut ausgegangen ist: ein Kampf von "Freunden" um die Krone.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false