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Volle Konzentration. Taiwo Awoniyi vom 1. FC Union hat den Ball genau im Blick.

© AFP

St. Pauli schliddert aus dem Pokal: Der 1. FC Union zieht ins Halbfinale ein

Der große Traum lebt weiter. Der 1. FC Union erreicht durch einen 2:1-Erfolg gegen den Zweitligisten St. Pauli das Halbfinale im DFB-Pokal.

Etwa eine Stunde vor dem Anpfiff wurde das Hip-Hop plötzlich von Klaviernoten unterbrochen, die allen Anwesenden irgendwie bekannt vorkamen. Wie schon in anderen deutschen Stadien am Wochenende war am Dienstag in der Alten Försterei plötzlich das Friedenslied „Imagine“ von John Lennon zu hören.

Neben den ukrainischen Fahnen auf den Rängen und der Schweigeminute vor Anpfiff galt das als kleine Erinnerung daran, dass es derzeit viel Wichtigeres gibt, als die künstlichen Emotionen und Träume eines Fußballstadions.

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Dennoch darf man auch und gerade in schweren Zeiten wie diesen die Freude am Banalen nicht verlieren, und so war dies trotz des dunklen Hintergrunds ein fröhlicher Abend in Berlin-Köpenick. Trotz eines frühen Rückstands kämpfte sich der 1. FC Union zu einem 2:1-Sieg gegen den FC St. Pauli. Damit feierte er seinen ersten Heimsieg im Pokal seit 21 Jahren und zog zum ersten Mal seit der legendären Saison 2000/01 wieder ins Halbfinale des DFB-Pokals ein. „Wir sind froh, dass wir weiter sind. Das ist schon etwas Besonderes“ sagte Unions Kapitän Christopher Trimmel.

Wie schon im Achtelfinale gegen Hertha BSC spielte Andreas Voglsammer auch diesmal die Rolle des Pokalhelden. Im Olympiastadion im Januar hatte der 30-Jährige mit einem eleganten Seitfallzieher die frühe Führung erzielt. Diesmal kam er erst spät von der Bank und schlug 15 Minuten vor dem Ende eiskalt zu.

„Drei Siege für den großen Traum!“ lautete die Botschaft, die die Union-Fans an den Zaun gehängt hatten. Nun sind es nur noch zwei, und in Köpenick träumt man weiterhin vom ersten nationalen Titel seit dem FDGB-Pokalsieg 1968. Man könnte sogar sagen, dass die Chancen nie größer waren. Neben dem SC Freiburg und RB Leipzig, die beide am Mittwochabend spielen, gehört die Mannschaft von Urs Fischer nun zu den Favoriten.

St. Pauli ging durch einen Freistoß in Führung

Fischer hatte schon vorab angekündigt, dass er leicht rotieren könnte, und genau das tat er. Von einer schwächeren Startelf als üblich konnte trotzdem keine Rede sein. Statt Stammtorwart Andreas Luthe stand zwar Frederik Rönnow im Tor der Köpenicker, doch vorne rückte der zuletzt auf der Bank verbliebene Star-Stürmer Taiwo Awoniyi für Voglsammer wieder in die Startelf.

Der Bundesligist war in den ersten Minuten dominant, und schon nach einer halben Minute leitete Awoniyi den ersten Abschluss für Sheraldo Becker ein, kurze Zeit später schoss Christopher Trimmel einen Freistoß aus guter Position direkt in die Mauer.

Doch es waren die Gäste, die sich effizienter zeigten. Nach einem Ballverlust von Paul Jaeckel brachte Timo Baumgartl Daniel Kofi Kyereh kurz vor dem Strafraum mit einem Foul zu Boden, und der Hamburger Stürmer setzte den Freistoß selbst elegant an der Mauer vorbei ins Tor. Mit ihrem zweiten Torschuss gingen die Gäste aus St. Pauli in Führung.

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Dank einer gefährlichen Flanke von Trimmel hatten die Berliner die Chance auf den sofortigen Ausgleich, doch der Ball zischte am langen Pfosten an Niko Gießelmann vorbei. Als Becker eine Pirouette im Strafraum hinlegte und Dennis Smarsch zu einer Reflexparade zwang, war wieder Feuer auf den Rängen.

Mit der letzten Aktion vor dem Pausenpfiff schlug Union endlich zu. Nach einem langen Ball von Baumgartl setzte Awoniyi Jakov Medic unter Druck. St. Paulis Torwart Dennis Smarsch rutschte aus, konnte zwar noch gegen Awoniyi klären, nicht mehr aber gegen Becker, der den Ball ins leere Netz lupfte.

Voglsammer kam und traf

Nach dem Seitenwechsel wirkten die Gastgeber immer gefährlicher und kamen durch Baumgartl, Trimmel und Grischa Prömel zu drei guten Chancen. Langsam wurden die Nerven auch sicht- und hörbar. Becker sah zuerst wegen eines kleinen Streits mit dem Schiedsrichter die Gelbe Karte, kurz darauf plädierten die Berliner vergeblich auf Elfmeter, nachdem der eingewechselte Voglsammer im Strafraum zu Boden gegangen war.

Es gab mal Zeiten, da St. Pauli mit einem Freundschaftsspiel zur finanziellen Rettung von Union beigetragen hat. Wenn es aber jemals eine wirkliche Freundschaft zwischen diesen beiden Fanlagern gegeben hat, dann war an diesem Abend davon wenig zu spüren. Eine Viertelstunde vor Schluss schallten die „Scheiß St. Pauli“-Rufe lauter denn je von der Waldseite hinter dem Gästetor.

Doch plötzlich wurde der Frust zur Freude. Wieder brachte Union den Gegner mit einem langen Ball unter Druck, und diesmal war es Medic, der im Duell mit Voglsammer ausrutschte. Im Eins-gegen-eins gegen Smarsch blieb der 30-Jährige ruhig, und schob den Ball ins untere Eck. „Der Trainer hat mir bei der Einwechslung gesagt, dass ich Gas geben soll“, sagte er.

Das tat er, und in der ersten Minute der Nachspielzeit wäre ihm fast noch das 3:1 gelungen, doch der Ball landete am Pfosten. Das aber juckte am Ende keinen der 10.000 euphorischen Fans. Im Pokal zählt nur der Sieg, um den Traum weiter am leben zu halten.

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